"Ich hab nicht versucht, das wirklich darzustellen, was da abging"

Sven Regener im Gespräch mit Joachim Scholl · 10.03.2011
Für den Autor und "Element of Crime"-Frontmann Sven Regener sind Blogs eine willkommene Möglichkeit, um die Erlebnisse auf Tournee noch einmal neu zu erfinden. Er habe sich in seinem Blog teilweise "ausgedachten" Problemen gestellt, auch weil seine Bandkollegen nicht erwähnt werden wollten. Nun erscheinen die Einträge als Buch unter dem Titel "Meine Jahre mit Hamburg-Heiner".
Joachim Scholl: Sven Regener – Millionen Leser verehren ihn als Autor der großen Trilogie um Herrn Lehmann, aber viele, viele Musikkenner schätzen auch den Sänger und Frontmann der Band Element of Crime. Jetzt präsentiert Sven Regener ein neues Buch, das beiderlei Fans freuen dürfte, denn "Meine Jahre mit Hamburg-Heiner" ist das gedruckte Kondensat von Weblogs, die Sven Regener in den letzten fünf Jahren verfasst hat. Und dort ist auch viel über das Innenleben seiner Band zu lesen. Und das genau in jenem Stil, wie man ihn aus seinen Romanen kennt. Sven Regener ist jetzt im Studio – willkommen im "Radiofeuilleton"!

Sven Regener: Ja, hallo!

Scholl: "Ob das wohl klappt?" Das ist der erste Satz am 19. September 2005, das klingt nach: Wer hat mir denn diesen Floh ins Ohr gesetzt, einen Weblog anzulegen, will ich doch eigentlich gar nicht. War es so?

Regener: Ja, ein bisschen war das so. Das war tatsächlich die Idee von Torsten von Universal, der sagte: Sven, mach das mal, das macht man jetzt, Blogs. Und ihr seid auch eh so eine online-affine Band, und du kannst doch so gut schreiben, mach das mal, das ist Promo. Ich sagte: Torsten, was soll das, was soll ich denn da schreiben? Ja irgendwas, ist doch völlig egal. Was natürlich schon wieder erstens beängstigend ist, aber dann natürlich irgendwie auch verlockend. Weil wenn man so frei agieren kann, sich dann selber irgendwie so am Riemen reißen muss und was überlegen muss. So was lockt mich dann, und da habe ich damit angefangen.

Scholl: Das war die Zeit, ich hab noch mal nachgeschaut, als "Neue Vahr Süd", Band zwei der Lehmann-Trilogie, ein Jahr draußen war, die Megalesetour vorbei, war das so ein bisschen auch literarischer Stillstand, so mal was anderes ausprobieren?

Regener: Nein, es war eher so, wir hatten ja dann die neue Platte gerade fertig, "Der Mittelpunkt der Welt", die auch dann sehr erfolgreich war. Wir waren sehr glücklich mit der Platte, und die kam halt raus. Und es ist ja immer dasselbe: Man ist erst sehr lange nach innen beschäftigt mit dem Songschreiben, mit dem Aufnehmen der Platte, und das ist ohne jedes Publikum erst einmal entstanden. Und plötzlich geht man damit nach außen. Man macht diese Interviews, also richtige Reisen, wo man also nur Interviews gibt – davon handelt auch der erste Blog –, dann teilweise nach Wien muss, um da Interviews zu geben und so'n Kram, oder wir spielen da so Radiokonzerte und so. Und plötzlich dieser Übergang, sozusagen völlig nach innen reingezogen in die Band, wie so eine Muschel, die sich geschlossen hat, so ein Krebs, der untern Stein gekrochen ist. Und plötzlich muss man wieder raus, und da sind diese ganzen Leute und wollen das wissen und das Publikum will das hören und so weiter, oder auch nicht, und man muss dazu was sagen und so. Und da war eigentlich das mit dem Blog gar nicht so schlecht, weil man dann noch mal so eine andere Ebene hatte, auf der man zumindest eine virtuelle Wirklichkeit noch mal kreiert. Ich hab nicht versucht, das wirklich darzustellen, was da abging.

Scholl: Und dann kam also "Die Jahre mit Hamburg-Heiner", das ist Ihr Gesprächspartner in diesen Notizen, Sven Regener. Der ruft Sie immer an, obwohl es ihn ja gar nicht gab oder gibt, nicht wahr? Erzählen Sie mal von dem Heiner!

Regener: Ja, das war auch ... Ich hab erst gedacht, als ich das jetzt retrospektiv alles zusammenstellte, und es ist eigentlich nichts ausgelassen worden, alle Blogs sind da drin, aber ich hab gedacht, beim ersten wäre der noch gar nicht dabei gewesen, hatte also erst Zweifel, ob man das eigentlich so nennen kann, mein ich. Und dann habe ich den ersten noch mal gelesen und dann habe ich gedacht, das stimmt tatsächlich, am dritten Tag schon ruft Hamburg-Heiner an. Und das lag wahrscheinlich daran, dass mir nach dem zweiten Tag schon die Luft zu dünn wurde. Die Blogluft wurde dünn, wie es auch irgendwo heißt. Weil einfach nur ganz alleine mit mir selbst über meinen Kram so erzählen, das fand ich dann auch zu langweilig. Wenn man sich dann gar nicht so einer kritischen Nachfrage und sagen wir mal so einem virtuellen Zweikampf stellen muss, dann fand ich das eigentlich zu langweilig. Ich fand's gut, diese Telefonate haben ein bisschen was von so Kung-Fu-Kämpfen – ständig versucht der eine den anderen irgendwie auf die Matte zu bekommen, und mal gewinnt der eine, mal gewinnt der andere. Und das hat mich eigentlich dann über die Zeit gebracht, und dann hab ich auch Feuer gefangen eigentlich mit dieser Bloggerei, weil sonst hätte ich nicht gewusst, wie ich das auf Dauer bringen soll. Weil einfach nur aus meinem täglichen Leben, das finde ich auch zu eitel, so wichtig ist das nicht. Aber wenn man dann mit so einer ausgedachten Figur plötzlich die seltsamsten Dinge abhandeln kann, um dadurch auch die Wirklichkeit, die man da darstellt, plötzlich einen völlig irrealen Dreh und surrealen Drall so bekommt, dann fängt es an Spaß zu machen.

Scholl: "Meine Jahre mit Hamburg-Heiner: Logbücher", das ist das neue Buch von Sven Regener. Sven Regener ist hier im Deutschlandradio Kultur zu Gast. Wie gesagt, man erfährt eine Menge, so weit ich auch sehe zum ersten Mal, wie es in Ihrer Band Element of Crime so zugeht, über das Tourleben, das Musikschreiben, Management, wenn eben die neue Platte kommt, es gibt Fotos. War das auch eine Absicht, so mal den Element-Fans was zu liefern in der Art?

Regener: Ja, das war im Grunde genommen auch das ein bisschen was, wie wir es ankündigten. Einige von denen sind direkt auch bei www.element-of-crime.de, also unserer eigenen Homepage erschienen als Blogs, und das war eigentlich ein Angebot vor allem an die Abonnenten des Newsletters und dass man sagte, Leute, wir gehen jetzt auf Tournee, es gibt dann auch einen Blog. Das wird ja viel gemacht, aber das Interessante war halt, dass wir letztendlich eigentlich gar nicht die Absicht hatten, wirklich was, wie es tatsächlich ist, zu erzählen, weil das oft eigentlich abturnt und langweilig ist. Also der erste richtige Tour-Blog zum Beispiel handelt eher davon, wie ich die ganze Zeit Paranoia schiebe, weil ich erstens das Gefühl hab, die anderen sind alle gegen mich, zweitens die alle nicht im Blog erwähnt werden wollen, ich also irgendwie was über diese Tournee schreiben muss, ohne die anderen zu erwähnen, also letztendlich auch so ausgedachte Probleme, die man sich in den Weg stellt und wo man dann versuchen muss, damit umzugehen. Und das war sehr reizvoll.

Scholl: Also kein Rock'n'Roll-Leben mit Fernseher irgendwie aus dem Fenster schmeißen und mit dem Motorrad in den Swimmingpool fahren, so Led-Zeppelin-Geschichten?

Regener: Das wird thematisiert, aber es wird auch ziemlich klar, also auch eigentlich mit Hamburg-Heiner, dass das im Grunde genommen nichts bringt, das auch noch alles zu erzählen, weil man das ja alles schon kennt, Fernseher aus dem Fenster. Ja, das ist letztendlich auch eine fade Angelegenheit. Ich fand diesen Paranoia-Aspekt interessanter. Es gibt auch sozusagen einen Blog von der Buchmesse zum Beispiel, wo ich als Autor war.

Scholl: Wollte ich Sie gerade drauf ansprechen. Auf was ich als Literaturmensch vergeblich gelauert habe, waren so Einträge zu "Der kleine Bruder", dem Abschlussband der Trilogie, die ja genau in diesen Jahren entstand. Kein Pieps davon – warum eigentlich nicht?

Regener: Ja, weil ich über das Schreiben des Buches eigentlich jenseits dessen, was da beim Schreiben rauskommt, eigentlich nichts schreiben möchte. Ich hab immer schon einen Horror gehabt vor der Vorstellung, irgendwann ein Schriftsteller zu werden, der Bücher schreibt über Schriftsteller, also über Schriftsteller, die mit einer Schreibblockade zu Hause sitzen oder so. Das halte ich für einen problematischen Ansatz, wie überhaupt das Selbstreferenzielle von so Blogs. Ein Künstler schreibt in einer eigentlich so doch etwas poetischeren Form darüber, wie er als Künstler so lebt, das finde ich eigentlich zu sehr Selbstbespiegelung. Das hat was, was ich zumindest für mich selber ablehnen würde. Dann eher sozusagen eine Realität zu konstruieren, die es gar nicht gibt, also was an einem Roman zum Beispiel vergleichbare Arbeit zu leisten, das finde ich interessanter. Aber wie gesagt, das ist schwierig. Interessant sind so Sachen, wie man so Radiokonzerte macht und dann beim Saarländischen Rundfunk aufschlägt und dann erzählt, dass da so viele Bäume sind voller Eicheln, dass der Bus fast drunter begraben wird und so, also wenn man die Realität auch so ein bisschen aufpumpt und übertreibt und so. Das sind so Sachen, die man von so Autoren wie H. C. Artmann und solchen Leuten gut lernen kann, aber Joachim Lottmann zum Beispiel ist ein großer Blogger, der mit solchen Sachen sehr gut umgeht, dass er sozusagen in so Wahngebilde sich hineinarbeitet und so.

Scholl: Das heißt, wenn man praktisch in diesem Zwang oder in dieser Verpflichtung steht, immer was schreiben zu müssen oder auch was zu wollen, dann wird die Welt automatisch ja literarischer?

Regener: Ja, das ist so. Man sieht plötzlich den Tag auch mit anderen Augen. Später habe ich dann auch angefangen, so kleine Fotos mit dem Handy zu machen, sehr körnige Fotos, so Schnappschüsse, die man dann mit einer Bildunterschrift komplett umwerten kann, wenn man möchte. Man kann dann so auch da Behauptungen aufstellen, dass man da etwas sieht, was überhaupt nicht stimmt. Es gibt diese Szene aus Göttingen: Hier wurde "Herr der Ringe" gedreht oder so. Das macht Spaß, macht einfach Spaß, das hat was Leichtes, und man kann mit wenigen Pinselstrichen sozusagen eine ganze Welt schaffen, die es eigentlich gar nicht gibt. Und das stimmt, das Tägliche ist dabei wichtig, weil man nur dann in diesen Rausch reinkommt. Und deshalb ist es auch gut, das zeitlich zu begrenzen. Die sind immer nur so höchstens mal 14 Tage, und dann ist auch die Aktion vorbei.

Scholl: Sie haben es vorhin schon angesprochen, ein Part des Buches heißt "Sex-auf-der-Buchmesse-Blog". Da denkt man natürlich sofort: Oha!, aber dann ist es eigentlich wie beim Rock 'n' Roll, da passiert nicht viel.

Regener: Na ja, das kann man nicht sagen, es ist schon eine Menge los, aber nicht in Sachen Sex. Das habe ich eigentlich nur sogenannt, den Blog, weil ich mir dachte, das sollte man mal tun, will mal sehen, wie viele Verlinkungen der bekommt. Denn im Internet ist Sex ein wichtiger Suchbegriff ...

Scholl: Und wie war es dann?

Regener: Die Idee war halt, wenn man den "Sex auf der Buchmesse" nennt, da geht dann gleich ordentlich was, dass die Leute aufmerksam macht. Ich glaube, in gewisser Hinsicht funktioniert das. Es gibt ja auch dieses schöne Buch "Die Mätresse des Bischofs" von Eckhard Henscheid, wo er irgendwann innerhalb in diesem Buch zugibt, dass das nur so heißt, weil er davon ausgeht, dass sich das wirklich gut verkauft, weil das irgendwas was hergibt.

Scholl: Das mit "Sex auf der Buchmesse", ich glaube, Ian McEwan oder Julian Barnes war es, einer von beiden jedenfalls, hat mal geschrieben, dass er immer nach Frankfurt gefahren ist, in der Hoffnung, endlich mal flachgelegt zu werden, weil es immer hieß, Sex auf der Buchmesse, Sex in Frankfurt, und nie sei was passiert.

Regener: Ja, ich glaube, das wird eh überschätzt, vor allen Dingen, weil ja so viel gesoffen wird, das darf man nicht vergessen. Die Leute haben ja denn ab dem zweiten Tag eigentlich alle nur noch einen wahnsinnigen Kater und eigentlich auf überhaupt gar nichts mehr Lust, außer irgendwie ein Sturzbier, damit das endlich aufhört mit den Kopfschmerzen. Insofern ist der Blog da auch relativ realistisch. Und es geht dann viel um die Fragen, wie ist die Pizza im Restaurant Piazza in Halle 4.0 und wo ist eigentlich Roger Willemsen und wo hat sich die Arno-Schmidt-Stiftung versteckt, solche Sachen. Das kann Spaß machen. Das waren eben auch nur drei, vier Tage, und dann muss man aber pro Tag auch drei, vier, fünf Einträge bringen, sonst ist das ja viel zu wenig.

Scholl: "Ob das wohl klappt?" hieß der erste Satz nach fünf Jahren Blog, und jetzt mit diesem Buch, hat es sich für Sie gelohnt, Sven Regener?

Regener: Ja, ich fand das toll. Ich hätte das auch nicht gedacht, dass das so viel Spaß macht. Wie gesagt, unter der Voraussetzung, dass ich eigentlich letztendlich mit dem dritten Eintrag dann den Weg gefunden hab, wie es eigentlich geht, dass man nämlich jemanden hat, dieses Dialogische, wie bei Plato oder so, man verhandelt die großen Fragen im Dialog – das ist die Form, die mir da sehr entgegengekommen ist. Und wenn ich es wieder machen würde, würde ich es immer wieder so machen, würde immer wieder Hamburg-Heiner anrufen lassen, der ja überhaupt eben auch nur lebt, wenn ich so was mache. Aber es ist auch ganz gut, dass man es jetzt mal eine Zeit lang nicht macht, glaube ich. Ich wüsste gar nicht, was ich dem noch groß hinzufügen sollte. Es ist schon in sich ... Ich war erstaunt, wie gut die zusammenpassen, diese Blogs, obwohl sie teilweise so unterschiedliche Themen haben.

Scholl: "Meine Jahre mit Hamburg-Heiner: Die Logbücher" von Sven Regener, die sind jetzt im Galiani Verlag erschienen, 432 Seiten, kosten 19,95 Euro. Parallel gibt es das Ganze auch als Hörbuch, auf fünf CDs, und bald steigt auch die große nächste Sven-Regener-Lesetour durch ganz Deutschland, wie wir schon wissen. Schönen Dank für Ihren Besuch, Sven Regener, viel Erfolg!

Regener: Das ist gern geschehen, danke selber!
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