"Ich hab gespürt, dass da noch was war"

Von Josefine Janert · 23.08.2008
In der Bundesrepublik waren 1984 für Evangelische Theologie mehr als 17.000 Studenten eingeschrieben; heute sind es nur noch ungefähr 9000. Bei der Katholischen Theologie ist ebenso ein Rückgang zu verzeichnen. Ist das Fach inzwischen unmodern? Was bewegt junge Menschen dazu, Theologie zu studieren? Mit welchen Konzepten wollen sie wieder Menschen für das Christentum begeistern?
Kurzweil: "Irgendwie hab ich dann (...) mitbekommen, dass das noch nicht alles ist (...), dass es da noch einen anderen Plan gibt, dem ich wohl nachzugehen habe."

Beer: "Es wissen viele nicht mehr: Wieso feiern wir Ostern, wieso Pfingsten? Christi Himmelfahrt ist ja Vatertag – da stellen sich mir die Nackenhaare auf. "

""Das möcht ich halt gerne, dass es die jungen Leute wissen, denen näher bringen, durch den Unterricht."

Mit einem Theologiestudium wird man Pfarrer. Oder Religionslehrerin. Oder Lektorin in einem Verlag. Theologie ist eins der schwersten Fächer. Die Studenten lernen Latein, Altgriechisch und Hebräisch. Sie übersetzen Bibeltexte und beschäftigen sich mit Philosophie und Geschichte. Setzen sich also mit Gott und der Welt auseinander.

Schimmerohn: ""Was haben die alten Kirchenväter früher gesagt und inwiefern lässt sich das in die neue Zeit ziehen? Und das ist erstaunlich viel."

Jaumann: "Angst vorm Abitur gehabt, mal gedacht: Bibel lesen schadet nicht. Durchgeblättert und irgendwo hängen geblieben und gedacht: Gut, das ist viel, womit du dich auch identifizieren kannst."

Kurzweil: "Das ist ja mein Wunsch, weshalb ich Priester werden möchte, um die Menschen, ja, wie kann man es ausdrücken, sensibel zu machen. Um ihnen die Erfahrung zu bereiten, dass Gott ein Interesse an ihnen hat und dass es an uns liegt, darauf zu antworten."

Markus Kurzweil lebt im Priesterseminar in Erfurt. Mit ihm wohnen dort 25 Männer aus den Bistümern Berlin, Erfurt, Dresden-Meißen, Magdeburg und Görlitz. In dem lichtdurchfluteten Haus aus dem Jahr 1956 gibt es eine Kapelle, einen Meditationsraum und eine Bibliothek. In der Küche arbeiten Ordensschwestern. Jeder Priesteramtskandidat hat ein eigenes Zimmer. Kurzweil schaut von seinem Schreibtisch aus auf den Dom. Der dunkelhaarige Mann aus Senftenberg hat sein fünfjähriges Studium der Katholischen Theologie an der Uni Erfurt abgeschlossen. Der 27-Jährige ist jetzt in der Pastoralphase. Während dieser zwei Jahre bereitet er sich auf die Priesterweihe vor. Er hat schon mehrere Praktika in Gemeinden hinter sich. Nun hört er täglich Referate über Kinder- und Jugendarbeit in der Kirche, Militär- und Krankenhausseelsorge und Gesprächsführung in der Seelsorge. Markus Kurzweil stammt aus einer streng katholischen Familie, so, wie viele Männer in diesem Haus. Er war Messdiener, sang im Kirchenchor und engagierte sich in der Jugendarbeit.

Kurzweil: "In der Schulzeit war ich (...) einer von drei katholischen Schülern an der ganzen Schule und das wussten auch alle, also sowohl die Schüler als auch die Lehrer. Und die haben mich dann auch relativ häufig mit Fragen konfrontiert. (...) Sei's irgendwelche christlichen Feste oder Bräuche oder seien es auch (...) Stellungnahmen, die aus Rom kamen. (...) Markus, du bist katholisch, du musst das wissen. (...) Da hab ich eben recht schnell mitbekommen, dass, um diesen Leuten diese Fragen beantworten zu können, ich mich auch selbst erst einmal mit diesen Fragen auseinander setzen muss. Wollte über den Glauben nachdenken, um schließlich den Leuten auch sagen zu können, warum ich glaube, was ich glaube."

Kurz vor eins eilt Markus Kurzweil zur Mittagsandacht in die Kapelle. Dort versammeln sich die Priesteramtskandidaten um Regens Wolfgang Ipolt, den Leiter des Hauses. Anschließend gehen die Männer in den Speisesaal, wo fünf Tische mit weißen Tüchern gedeckt sind. Freitags gibt es Gerichte ohne Fleisch, sonntags wird Wein ausgeschenkt. Die Mahlzeit beginnt mit einem Gebet.

Die Priesteramtskandidaten dürfen in diesem Haus Besuch empfangen – auch Kommilitoninnen, wenn sie zum Beispiel ein Referat für die Uni vorbereiten. Allerdings sollen sie sich auf ein Leben im Zölibat einstellen. Markus Kurzweil ist sich sicher, dass die Ehelosigkeit der richtige Weg für ihn ist:

Kurzweil: "Und, ja: Man denkt natürlich immer wieder darüber nach und man hat viele Schulfreunde, die dann so in den letzten Jahren junge Familien gegründet haben. Also ich wehre mich (...), wenn mich die Leute nur bemitleiden und sagen: Ach, du hast es aber schwer und so. (...) Weil ich denke, das ist keine defizitäre Lebensform."

Nicht alle jungen Männer bestehen diese Bewährungsprobe. Ein gutes Drittel überlegt es sich während des Studiums anders. Der Leiter des Priesterseminars, Regens Wolfgang Ipolt, erzählt:

Ipolt: "Manche werden Religionslehrer. Einer, der voriges Jahr gegangen ist, der ist jetzt in der Musik. Zusammen spüre ich mit den Studenten im Gespräch: Ist das eine tragfähige Entscheidung? Das ist auch meine Alltagsarbeit, dass ich denen regelmäßig das reflektiere: Ist das ihr Weg? Und haben sie auch die Befähigung dazu?"

Etwa 200 Männer und Frauen studieren in Erfurt Katholische Theologie. Nur jeder zehnte will Priester werden. Bundesweit ist die Zahl der Studenten seit den achtziger Jahren gesunken, und zwar sowohl bei der Katholischen als auch der Evangelischen Theologie. Das mag daran liegen, dass sich weniger Männer auf den Zölibat einlassen. Und auch daran, dass die evangelische Kirche weniger Pfarrstellen besetzt. Allerdings gibt es eine gute Nachricht: Weit mehr Frauen als vor 20 Jahren entscheiden sich für Theologie. Ihr Anteil liegt bei 50 Prozent. Sarah Beer ist eine von ihnen. Die modisch gekleidete junge Frau lebt in einer Erfurter Studenten-WG. In ihrem Zimmer hängen ein Bild von Papst Benedikt und ein Rosenkranz.

Beer: "Den haben wir auf dem Weltjugendtag geschenkt bekommen. Ich glaube, der war sogar im Rucksack mit drin auf dem Weg zum Marienfeld. Das Kreuz hab ich seit meiner Kindheit. (...) Ich glaube, von meinen Eltern oder Großeltern."

Sarah Beer stammt aus dem Erzgebirge. Dort bekennen sich mehr Menschen zum Christentum als anderswo in Ostdeutschland. Beer beklagt trotzdem, dass viele Gleichaltrige mit dem Glauben wenig anfangen können. Um das zu ändern, möchte sie Religionslehrerin werden. Sie berichtet von ihrer Erstkommunion:

Beer: "Ich hab (...) zwei evangelische Freundinnen und eine Atheistin mit dabei gehabt. Und also ich dann (...) diesen Wangenstreich vom Bischof bekommen habe, hörte ich in der hintersten Reihe, wo meine Freundinnen saßen, Gegackere: Die hat 'ne Ohrfeige gekriegt! Hast du das gesehen? Ich sag: So, Leute, das erkläre ich euch danach, wieso das so ist."

Sarah Beer hatte selbst mehrere gute Religionslehrerinnen. Geprägt hat sie außerdem ihre Oma, die sehr gläubig war.

Beer: "Oma hat sich immer für mich gewünscht, dass ich studiere. (...) Die Krankheit kam halt grade zu dem Zeitpunkt (...) ziemlich heftig, dass sie nichts mehr von meinem Leben weiter mitgekriegt hab, als ich aufs Gymnasium gewechselt bin. Meine Mutter hatte mich dann geholt (...) und ich bin zu dem Bett gegangen (...), hab ihre Hand gehalten, hab noch mal Pflege geleistet (...) und in dem Moment macht sie ihren letzten Atemzug. Ich hab jemandem beim Sterben begleitet. Das war für mich gelebte Nächstenliebe, dass ich auch den Glauben nach außen trage. Nicht nur, dass ich sag: Ich glaube und gut ist, sondern dass ich das auch zeige, dass ich gläubig bin."

Auch an der Berliner Humboldt-Universität sind die Hälfte der etwa 800 Studenten, die für Evangelische Theologie eingeschrieben sind, Frauen. Maria Schimmerohn ist eine von ihnen. Zwischen den Vorlesungen sitzt die 25-Jährige in ihrem Lieblingscafé in Berlin-Mitte und tippt eine Hausarbeit.

Schimmerohn: "Ich lass hier 'ne Menge Geld, das ist unglaublich. Wenn man morgens um acht hier zum Seminar muss, dann braucht man 'nen Kaffee, meine Meinung."

Die hoch aufgeschossene Frau stammt aus Leipzig. Sie wuchs in einer atheistischen Familie auf. Erst vor fünf Jahren brachte sie eine Freundin zum Glauben.

Schimmerohn: "Und wir sind zusammen in den Urlaub gefahren. Als ich dann aber vor Ort war, merkte ich, dass es eine christliche Freizeit war. Das hat mich sehr begeistert. Also auch der Jugendpastor hat (...) gut gesprochen und dem bin ich dann nach dem Urlaub nachgegangen, weiter informiert und so. Mein Vater ist tot. Meine Geschwister interessierten sich nicht wirklich dafür und meine Mutter hat sich mit mir taufen lassen."

Maria Schimmerohn ist Baptistin, weil sie findet, dass Menschen sich erst als Erwachsene für die Taufe entscheiden sollten. Mit ihrer Position ist sie an der Theologischen Fakultät eine Exotin. Fast alle Studenten kommen aus evangelischen Familien. Die meisten bringen ihr Toleranz entgegen, erzählt sie. Hin und wieder wird sie jedoch in Diskussionen verwickelt.

Schimmerohn: "Es kommt manchmal zu Vorstellungsrunden in Seminaren, dass man sagen soll, in welchem Semester man ist und welcher Landeskirche man angehört. (...) Es gab schon mal schiefe Blicke, hat aber auch dazu angeregt, dass andere mich interessiert gefragt haben: Warum? Wieso? Weshalb? (...) Aber die Gegenpositionen waren jetzt nicht irgendwie so, dass ich mich gemobbt fühlte oder eingeengt oder dass man mich geschnitten hätte. Im Seminar Taufe, das ich zurzeit mache, wird auch auf die baptistische Sichtweise eingegangen. Man geht ja auch aufs Katholische ein, obwohl wir Evangelische Theologie studieren. Und das ist gut."

Maria Schimmerohn möchte Lektorin werden, gern in einem christlichen Verlag. Deshalb studiert sie gleichzeitig Germanistik. Für Theologie entschied sie sich, weil sie sich für alte Sprachen begeistert und weil ihr das Fach eine breite Allgemeinbildung eröffnet. Pfarrerin zu werden, kommt für Schimmerohn nicht in Frage.

Schimmerohn: "Das ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Es ist ein 24-Stunden-Job und das sieben Tage die Woche. Ich find's (...) 'ne Herausforderung (...): Wie zieht man Leute eigentlich in die Gemeinde? Wie kann man sie dafür begeistern? Da ist es die Aufgabe, diese jugendliche Frische in diese alt eingesessenen Strukturen reinzubringen. Wenn ich merke, was für Schwierigkeiten es in der Gemeinde gibt (...), bin ich echt nicht bereit, mein ganzes Leben dafür zu opfern. (...) Da muss ich dann wirklich vollends davon überzeugt sein und das bin ich nicht."

Etwa die Hälfte von Maria Schimmerohns Kommilitonen möchte sich diesen Schwierigkeiten allerdings stellen und Pfarrer werden. Franz Jaumann gehört dazu, ein rotblonder Mann von 25 Jahren. Mehrmals pro Woche führt er Touristen durch eines der bekanntesten Gebäude der Hauptstadt – ein Nebenjob.

Jaumann: "Darf ich einen kurzen Moment um Ihre Aufmerksamkeit bitten? Ich möchte Sie jetzt zu einer Führung einladen. Sie befinden sich in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, erbaut von Kaiser Wilhelm II., also dem letzten deutschen Kaiser."

Franz Jaumann wurde zwar getauft, aber in seinem Elternhaus spielte Religion fast keine Rolle. Den Entschluss, Pfarrer zu werden, traf er während seines Wehrdienstes. Er will anderen Menschen helfen und zwar ohne Waffe. Um sicher zu gehen, dass er die richtige Berufswahl getroffen hatte, meldete sich der Berliner zu einem zweimonatigen Gemeindepraktikum an.

Jaumann: "Man hat 'n relativ breites Spektrum von dem, was man machen kann. Es ist also nicht nur Gottesdienst. Es ist auch Gemeindearbeit, Konfirmandenarbeit, Buchhaltung. Seelsorge meiner Meinung lernt man sehr stark in der Praxis. Wenn man uns Theologen ohne ein Seelsorgeseminar in die Welt rausschmeißt und 'ne Familie kommt oder 'ne Mutter kommt und sagt: Mein Kind ist vor einem Jahr gestorben, helfen Sie mir! Das man dann erst mal nicht weiß, was man tun soll."

Von den hundert Studenten, die mit Franz Jaumann das Studium begannen, sind nur noch acht übrig. Vor allem liegt das wohl an den schwierigen Altsprachen. Jaumann kritisiert jedoch auch, dass die praktische Gemeindearbeit an der Uni zu kurz komme.

Jaumann: "Da ist immer die Begründung: Gut, wir gehen noch mal zwei Jahre ins Vikariat. Ich glaub, man kann den Grundstock also auch an der Uni legen und das wird bei uns auch getan. Bei seelsorglichen Seminaren lernt man diese innere Sicherheit sozusagen: Ich bin in mir gefestigt und das versuch ich jemandem zu erklären, mitzugeben, dass ich als Fels in der Brandung (...) fungiere und sich jemand an mir festhalten kann in diesem Moment. Dass man lernt, sich zurückzunehmen, zuzuhören, was der andere sagt, vielleicht in manchen Punkten einzuhaken und zu sagen: Wie fühlen Sie sich in diesem Moment?"

In drei Jahren will Franz Jaumann seine Ausbildung abschließen. Wo er als Pfarrer eingesetzt wird, entscheidet die Kirche. Das ist bei künftigen Priestern genauso. Jaumann ist guten Mutes, dass er viele Menschen in die bisweilen leeren Gottesdienste locken kann. Immerhin ist es ihm schon gelungen, seine Eltern von seiner Berufswahl zu überzeugen.

Jaumann: "Aber es war am Anfang so 'n bisschen ein Kampf, der Familie klar zu machen, warum man das machen will, weil die finanziellen Aussichten bei so einem langen Studium ja auch nicht so toll sind. Also 'n Mediziner verdient dann doch etwas mehr, auch am Anfang. Und können sich nun langsam reinfinden. (...) Meine Mutter fängt sogar an, ab und an in den Gottesdienst zu gehen."