"Ich glaube nicht an die Dementis"

Ralph Bollmann im Gespräch mit Marietta Schwarz · 15.08.2013
Schwarz-Grün statt Schwarz-Gelb? - Der Autor Ralph Bollmann glaubt, dass es Angela Merkel reizt, "nicht nur die erste Kanzlerin zu sein, die in zwei verschiedenen Konstellationen regiert hat, sondern da noch eine dritte anzufügen".
Marietta Schwarz: Die Chancen stehen nicht schlecht, dass Angela Merkel kurz vor der dritten Wiederwahl als Bundeskanzlerin steht, obwohl die Koalition mit den Liberalen holprig lief, obwohl es auch in der Union mitunter starke Flügelkämpfe gibt und obwohl sie keine sichere Bank ist, was die Vertretung klassisch-konservativer Werte betrifft. Merkel gilt als Teflonkanzlerin, als Realpolitikerin, die sich gnadenlos Themen der Opposition zu eigen macht, wenn sie damit punkten kann, und doch genießt sie europaweit Respekt und hierzulande hohe Sympathiewerte. Der Journalist Ralph Bollmann, heute bei der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", hat die Kanzlerin jahrelang als Parlamentskorrespondent beobachtet und jetzt ein Buch über sie veröffentlicht: "Die Deutsche. Angela Merkel und wir". Herzlich willkommen im Studio, Ralph Bollmann!

Ralph Bollmann: Ja, freut mich!

Schwarz: Herr Bollmann, Sie gehören ja zu den Menschen, die die eben aufgezählten Eigenschaften der Kanzlerin als Qualität sehen und nicht als Defizit, Atomausstieg, Mindestlohn, Mietpreisbremse. Die Kanzlerin tut, schreiben Sie, was unsere Gemütslage verlangt. Eigentlich nennt man so was doch Populismus, oder?

Bollmann: Ich glaube nicht, man könnte es auch Demokratie nennen. Das, was Sie aufgezählt haben für die Vergangenheit, das ist ja auch so nicht gewesen. Die meisten Bundeskanzler vor ihr haben ja auch auf die politische Mitte geschielt. Selbst Kohl, der ja habituell halt das Konservative ausgestrahlt hat, was allerdings auch ein bisschen daran lagt, dass das Provinzielle und Bodenständige damals bei uns noch in intellektuellen Kreisen etwas verschrien war, also, Kohl wurde ausgelacht für seinen Saumagen, Angela Merkel wird bewundert für ihre Kartoffelsuppe, also, da hat sich auch was verschoben, glaube ich, in der Wahrnehmung bei uns. Aber prinzipiell ist es ja immer so gewesen, dass in Deutschland – das ist ein bisschen vielleicht auch ein deutsches Spezifikum – Wahlen mehr als anderswo in der Mitte gewonnen werden und dass wir eigentlich seit dem Zweiten Weltkrieg – das hat natürlich viel mit der deutschen Geschichte zu tun – immer nach der Mitte streben und immer nach Sicherheit streben.

Schwarz: Und Sie würden sagen, Angela Merkel tut das ganz besonders, indem sie sich die Themen der anderen Parteien aneignet?

Bollmann: Ja, also, ich glaube, sie hat lange gebraucht, um das zu verstehen. Sie hat am Anfang ihrer Karriere, als sie aus Ostdeutschland kam, die … Aus dieser Wendeerfahrung heraus, dass ganze Systeme auch von einem Tag auf den anderen zusammenbrechen können, hat sie ja am Beginn ihrer Karriere viel mehr auch auf Veränderung gesetzt, da musste sie sich natürlich auch profilieren parteiintern als die harte Frau, die für Kriegseinsätze ist, die für harte Sozialreformen ist. Das war, glaube ich, schon auch sehr taktisch motiviert und kalkuliert.

Aber sie hat dann doch irgendwann mal begriffen, dass die Westdeutschen, die sie vielleicht ein bisschen auch als das Reich der Freiheit wahrgenommen hat aus der ostdeutschen Perspektive, dass die doch sehr ängstlich, sehr veränderungsresistent sind. Das schätzt sie nicht, nach wie vor, ich glaube, das kann man aus manchen Zwischentönen bei ihr auch heraushören, aber sie hat sich dem sehr gut angepasst, man könnte vielleicht auch ein Stück weit sagen, überangepasst.

Schwarz: Aber Angela Merkel stößt doch nichtsdestotrotz auf Widerstände, wenn sie einen Ausstieg aus der Atompolitik verkündet oder plötzlich mit dem Mindestlohn kommt, in ihrer eigenen Partei und eben auch bei den klassischen konservativen Wählern. Wie lange geht so was denn gut?

Bollmann: Man könnte in der Tat vermuten, dass das jetzt unter umgekehrten Vorzeichen zu so einem Effekt führt wie die Hartz-Reform bei der SPD. Also sozusagen, der Regierungschef, die Chefin bewegt sich von der Partei weg Richtung Mitte und dann gibt es Probleme. Aber da zeigt sich, glaube ich, ein grundlegender Unterschied zwischen den Parteien des linken und des konservativen Spektrums, ich glaube, dass die CDU sich vor allem auszeichnet seit ihrer Gründung durch einen ganz starken Machtpragmatismus. Und solange Frau Merkel damit erfolgreich ist, wird das auch funktionieren. Im Übrigen muss man auch ganz nüchtern sehen, wenn man sich auch die Umfragenwahlanalysen anschaut, dass dieser wirklich im engeren Kern sehr konservative Teil der Wählerschaft, dass das ein kleiner Bereich von vielleicht fünf Prozent der Gesamtwählerschaft heutzutage allenfalls noch ausmacht.

Schwarz: Sie nennen Angela Merkel "die Deutsche". Ist sie denn auch Europäerin oder spielen für sie in Brüssel vor allem nationale Interessen eine Rolle?

Bollmann: Sagen wir so, sie betrachtet Europa ähnlich nüchtern, wie sie eben auch den Rest der Politik betrachtet. Ich glaube, dass sie schon sieht und verstanden hat, dass die europäische Einigung ein Stück weit deutsche Staatsräson ist, also dass es auch nicht im deutschen Interesse wäre natürlich, den Euro einfach auseinanderbrechen zu lassen. Aber sie ist weniger als ihre Vorgänger wahrscheinlich bereit, dafür andere Dinge dann ganz hintanzustellen. Aber das hat sie ja insgesamt ganz geschickt gemacht eigentlich, dass sie sozusagen die Euro-Skeptiker in Deutschland zufriedengestellt hat durch die harten Wirtschaftsreformen, die sie verlangt, aber die Europa-Freunde eben auch bedient hat eben dadurch, dass sie diese ganze Rettungspolitik ja durchgesetzt hat auch gegen harte parteiinterne Widerstände.

Schwarz: Ja, zufriedenstellen, das kann sie irgendwie. Hat sie auch eine politische Vision?

Bollmann: Ich glaube, dass sie das nicht als Aufgabe der Bundeskanzlerin ansieht, politische Visionen zu haben.

Schwarz: Sondern?

Bollmann: Da ist sie vielleicht sehr ähnlich wie Helmut Schmidt, der ja mal gesagt hat, wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. Dieses Grundverständnis ist bei beiden auch sehr theoretisch fundiert. Das ist jetzt nicht, wir wurschteln uns da irgendwie mal durch, sondern der Hausheilige von Helmut Schmidt war ja der Philosoph Karl Popper, der ja sozusagen dieses pragmatische Handeln auch ganz grundsätzlich so vertreten hat, und interessanterweise hat Angela Merkel schon während ihrer Zeit als Physikerin an der Akademie der Wissenschaften dieses Buch von Popper gelesen. Und ich glaube, dass es eben für sie einfach auch dazugehört, sozusagen nicht persönliche Interessen von ihr durchzusetzen, sondern einfach Management für das Land zu betreiben.

Schwarz: Was glauben Sie, um jetzt mal auf diesen Wahlkampf zum Schluss zu gucken, mit wem würde denn Angela Merkel am liebsten koalieren? Ein Bekenntnis zu den Liberalen, damit hält sich die CDU ja zurück.

Bollmann: Meine Einschätzung ist, dass das für sie gar nicht so die zentrale Frage ist, weil alle Konstellationen jetzt gewisse Vor- und Nachteile haben. Die FDP hätte immerhin den Vorteil, dass es eine relativ sichere Mehrheit jetzt erst mal ist, weil mögliche Koalitionsverhandlungen mit der SPD sicher schwierig werden. Es gibt in der SPD ja starke Widerstände, sich noch mal unter Frau Merkel in eine große Koalition zu begeben, obwohl das für sie sicher eine bequeme Art des Regierens wäre, die ja auch von Teilen der CDU-Basis inzwischen gewünscht wird, nach den Erfahrungen mit der FDP.

Und ich glaube auch nicht an die Dementis, die sie immer herausgibt, was die Grünen betrifft. Weil das Argument, das sie anführt, nämlich dass es mit den Grünen keine Bundesratsmehrheit gäbe, das ist ja mit der FDP nicht besser. Also, wenn jetzt Hessen fiele, gäbe es ja nur noch zwei CDU-Regierungen, in Bayern und in Sachsen, da hätte sie auch nicht viel gewonnen. Und ich könnte mir schon vorstellen, dass sie das ein bisschen reizt, nicht nur die erste Kanzlerin zu sein, die in zwei verschiedenen Konstellationen regiert hat, sondern dann noch eine dritte anzufügen!

Schwarz: Der Journalist Ralph Bollmann hat ein Buch über Bundeskanzlerin Merkel geschrieben. Es heißt "Die Deutsche. Angela Merkel und wir" und ist erschienen im Klett-Cotta Verlag. Herr Bollmann, danke fürs Kommen!

Bollmann: Sehr gerne!


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