"Ich glaube, das ist ein Signal"

Michael Meister im Gespräch mit Matthias Thiel und Korbinian Frenzel · 18.09.2010
Das kämpferische Auftreten von Bundeskanzlerin Merkel in der Generaldebatte hat neuen Wind in die Regierung gebracht, sagt Michael Meister. Die Haushaltswoche habe eine Veränderung der Koalitionsarbeit für die Zukunft bewirkt, ist sich der CDU-Haushaltsexperte sicher.
Deutschlandradio Kultur: In dieser Woche hat sich die Kanzlerin ja ungewohnt kämpferisch gezeigt in der Haushaltsdebatte, "ein Herbst der Entscheidung", den hat sie angekündigt. Muss man das so verstehen, dass nach einem Jahr des Zögerns Schwarz-Gelb jetzt endlich anfängt zu regieren?

Michael Meister: Nein, wir haben eine ganze Reihe von Entscheidungen bereits getroffen. Ich sag mal, es liegt ja das Zukunftsprogramm vor. Wir haben den Haushalt verabschiedet für 2010. Wir sind jetzt in den Haushaltsberatungen für 2011. Und ich glaube, wir haben zu Jahresbeginn eine massive Steuerentlastung für die Menschen in Deutschland auf den Weg gebracht. Insofern, denke ich mal, haben wir auch im vergangenen Jahr regiert und Entscheidungen getroffen.
Allerdings stehen jetzt Herausforderungen an. Ich nenne nur das Thema "Zukunftsstruktur der Bundeswehr", die Fragestellung, wie wir langfristig in der Energiepolitik umsteuern, die Klimaziele erreichen, zu mehr erneuerbaren Energien in Deutschland kommen, die Frage, wie wir tatsächlich die Schuldenbremse nicht nur in 2011 einhalten, sondern auch längerfristig – das sind aus meiner Sicht große Herausforderungen. Und deshalb ist es richtig klarzumachen, dass wir a) die Fragen erkannt haben und nicht nur die Probleme diskutieren, sondern als Regierungskoalition auch Antworten geben.

Deutschlandradio Kultur: Zu den Einzelpunkten kommen wir gleich noch, Herr Meister. Bleiben wir mal bei der Haushaltsdebatte in dieser Woche. Am Mittwoch hat sich Angela Merkel ja sehr kämpferisch gegeben – mit Angriffen auch auf den politischen Gegner – und offenbar so eine Kraft zurückgewonnen. Braucht diese Regierung jetzt mehr Konfrontation, damit sie gut funktioniert?

Michael Meister: Also, ich glaub, dass es richtig ist, dass das Land dann vorankommt, wenn sich die Regierungskoalition mit der Opposition um den richtigen Weg in Deutschland streitet. Was uns momentan fehlt, ist eine Opposition, die einen Gegenentwurf vorlegt bisher. Es sieht so aus, dass die Regierung Vorschläge macht und die Opposition kritisiert. Das ist mir zu wenig. Ich würde mir eine Opposition wünschen, die mit eigenen Vorschlägen deutlich macht, wie sie eigentlich unsere Zielpunkte erreicht, die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

Deutschlandradio Kultur: Wenn man sich mal anguckt, die Kanzlerin hat in ihrer Rede oder im Vorfeld der Rede bei den Atomlaufzeiten klare Kante gezeigt, klare Ansage, in der Rede dann bei einem interessanten Thema, nämlich "Stuttgart 21", ein klares Bekenntnis abgegeben. Beides ist eigentlich ziemlich unpopulär in der Bevölkerung – vor Ort in Stuttgart, wie auch insgesamt in Deutschland. Kommt man damit aus dem Umfragetief raus?

Michael Meister: Also, ich glaube, man darf, wenn man Dinge für richtig hält, nicht nach aktuellen Stimmungslagen fragen, sondern politische Führung verlangt, dass man das, was man als richtig erkennt, auch umsetzt. Und wenn ich an den zwei Themen klar mache, dann wollen wir ja umsteuern zu erneuerbaren Energien. Wir wollen extrem ambitionierte Klimaziele erreichen, also, CO2-Ausstoß bis 2050 um 80 Prozent reduzieren. Wir wollen das aber so machen, dass wir nach wie vor Industriestandort sind, dass die Menschen nach wie vor Energiepreise haben, die sie auch bezahlen können. Und ich glaube, deshalb ist es richtig, hier einen mutigen Entwurf vorzulegen und nicht nur sich das herauszunehmen, was gerade populär klingt und was Beifall findet, sondern ein Gesamtkonzept zu haben und damit allen Menschen auch klarzumachen, also, sie können dann entlang belastbarer Fundamente ihre eigenen Entscheidungen treffen. Also: Was tue ich mit meiner privaten Wohnung? Welche Energieform wähle ich? Was tue ich dort für die Gebäudesanierung? Also, all diese Themen muss ja jeder für sich entscheiden. Und ich glaub, dass es da klare Ansagen der Politik gibt, ist extrem wichtig.
Und auch bei dem zweiten Thema muss man doch mal die Grundfrage stellen: Wenn wir ständig sagen als Politik, Mobilität in dieser Gesellschaft wird zunehmen und wir wollen mehr Verkehr auf der Schiene haben, dann müssen wir die Schiene auch in den weiten Verkehren, in den langen Distanzen wettbewerbsfähig machen. Und ich glaube, dafür sind Projekte wie bei mir im Wahlkreis, die Strecke Frankfurt-Mannheim, aber auch ein Projekt, wie, einen Sackbahnhof Stuttgart umzubauen, notwendig. Ansonsten sind es wohlklingende allgemeine Absichtserklärungen, die aber leider nicht Realität werden.

Deutschlandradio Kultur: Bei "Stuttgart 21" sagt nun die Opposition: Das Geld für den neuen Bahnhof wird dann weggenommen und der Ausbau in der Fläche kann nicht vorangehen. Also, da gäb's ja auch andere Konzepte. Und wenn ich genau an diese Konzepte denke, müsste doch eigentlich die Regierung noch mehr punkten. Denn die Wirtschaft boomt. Wir hören davon, dass die Arbeitslosenzahlen zurückgehen. Warum kann die Regierung nicht eigentlich richtig profitieren davon?

Michael Meister: Also, ich glaub zum einen ist es vollkommen richtig, wie Sie es in der Frage formulieren. Die objektiven Daten sind besser als es jeder Fachmann vor einem Jahr vorausgesehen hätte. Wir haben in der Haushaltslage 30 Milliarden weniger Schulden in 2010, als wir es selbst geplant haben. Wir haben einen Arbeitsmarkt, der jetzt bessere Entwicklung nimmt, als wir es vor der Krise hatten. Wir haben Wachstumszahlen, die man nicht falsch einordnen darf, weil sie auf einem sehr niedrigen Niveau des Vorjahres aufsetzen, die aber mit jetzt über drei Prozent, was die Bundesbank sagt, auch phänomenal hoch sind. Also, es heißt, die objektiven Daten sind richtig.
Und jetzt sage ich nicht, dass Politik allein verantwortlich ist dafür, aber ich sag's mal so: Wir haben zumindest nicht dafür gesorgt, dass es nicht so geworden ist. Und wir wollen ja in dem neuen Haushalt und in der neuen Finanzplanung dafür Sorge tragen, dass es weitere Anreize gibt, dass wir auch in der Zukunft einen guten Weg nehmen. Das ist die eine Seite.
Auf der anderen Seite, glaube ich, haben wir auch durch unser eigenes Handeln dazu beigetragen, ich sag mal, Diskussionen, die wir in der Sommerpause geführt haben, Diskussionen, die im Kabinett gelaufen sind, in den Fraktionen gelaufen sind, wo eben nicht die Konfrontation Regierungskoalition-Opposition war, sondern wo Diskussionen innerhalb der Regierungskoalition gelaufen sind.

Deutschlandradio Kultur: Das ist aber freundlich umschrieben: "Diskussionen innerhalb der Regierungskoalition".

Michael Meister: Ach, Diskussionen, die manchmal vom Stil gewöhnungsbedürftig waren, aber all das hat dazu geführt, dass die Menschen eigentlich von den harten Realitäten ferngehalten wurden und sozusagen diesen Streit, diese Dissonanzen wahrgenommen haben. Und ich glaube, wir müssen beides tun, erstens in der Sache Entscheidungen treffen, die die Lage objektiv weiter verbessern, denn wenn das nicht geschieht, dann fehlen uns die harten Fakten für die Erfolgsmessung, und auf der anderen Seite zu einem vertrauensvollen Klima in der Koalition kommen, um gemeinsame Projekte auch gemeinsam in der öffentlichen Wahrnehmung umzusetzen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Meister, genau diese Analyse hören wir jetzt ja eigentlich in verschiedenen Variationen aus verschiedenen Mündern dieser Koalition eigentlich, seitdem sie gemeinsam regiert. Und es gibt immer wieder neue Appelle, eben das gemeinsam anzupacken, besser gemeinsam zu verkaufen, weniger zu streiten. Und doch will es irgendwie nicht gelingen. Regieren da einfach die Falschen miteinander?

Michael Meister: Sie haben ja in dieser Woche in der Generaldebatte vorhin zu Recht festgestellt, dass die Kanzlerin einen sehr kämpferischen Ton angeschlagen hat. Und ich glaube, das ist ein Signal nicht nur in die Öffentlichkeit, sondern auch in die Fraktionen, sie hat das auch bei uns am Montag in der Fraktionssitzung deutlich gemacht, und, ich glaube, auch in das gesamte Kabinett hinein, dass sozusagen jetzt vom Stil her die Projekte gemeinschaftlich getragen werden müssen. Und ich glaube, dass diese Haushaltswoche deshalb schon eine Veränderung der Koalitionsarbeit für die Zukunft darstellen wird.

Deutschlandradio Kultur:Woher nehmen Sie Ihren Optimismus, wenn ich an den kleinen Koalitionspartner FDP denke, auch an die CSU denke?

Michael Meister: Ich glaube, dass beide mittlerweile auch gesehen haben, dass eine Koalition und damit die einzelnen Teilnehmer der Koalition nur dann Erfolg haben, wenn die Koalition insgesamt Erfolg hat und nicht, wenn man glaubt, dass Einzelne sich sozusagen zulasten der eigenen Koalitionspartner, wie auch immer glauben profilieren zu können. Insofern, glaube ich, muss jeder verstehen, wir haben drei Jahre vor uns bis zur nächsten Bundestagswahl und wir werden bei dieser Bundestagswahl nur eine Chance haben, ein neues Mandat zu bekommen gemeinschaftlich, wenn wir vorzeigen können, dass wir gemeinsam regieren wollen und dass wir gemeinsam Erfolge haben.

Deutschlandradio Kultur: Kommen wir noch mal auf ein Thema, auf eine Nachricht, die wie eine Hiobsbotschaft direkt vor der Haushaltswoche eintraf, nämlich dass die HRE weitere 40 Milliarden braucht vom Staat als Unterstützung, als Bürgschaft. Fällt es Ihnen da manchmal schwer, dann in einer Haushaltswoche im Vergleich geringe zwölf Millarden Euro Kürzungen im Sozialetat zu verkaufen, zu vertreten, die dann aber doch massive Auswirkungen haben für die Betroffenen?

Michael Meister: Jetzt haben Sie mir zwei Fragen auf einmal gestellt. Also, zunächst mal zur Hypo Real Estate: Ich bin der Meinung, dass es ganz normales Regierungshandeln ist, was dort geschehen ist. Wir haben vor einem Jahr – noch in der Großen Koalition – beschlossen, dass wir, um die Probleme dieser, aber auch anderer Banken zu lösen, Abwicklungsanstalten anbieten als Gesetzgeber. Und jetzt stehen wir Ende diesen Monats vor dem Transfer der Problempapiere in diese Abwicklungsanstalt. Das heißt, in der Hypo Real Estate wird jetzt genau das umgesetzt, was die Große Koalition als Ziel, als Lösung vorgegeben hat. Also, insofern sehe ich da keine neue Hiobsbotschaft, sondern im Prinzip eine Flankierung dessen, was wir eigentlich in vorher gelaufenen Entscheidungen als Parlament schon positiv begleitet haben.
Der zweite Punkt der Frage ist natürlich die Vermittlung. Rettung, Stabilisierung des Finanzsektors versus der Maßnahmen, die wir sozusagen in der Haushaltspolitik ergreifen müssen. Das ist in der Öffentlichkeit schwer zu erklären, weil zunächst mal Garantien ja so verstanden werden, als würde da direkt das Geld fließen. Bei Garantien fließt kein Geld, sondern wir treten als Bürge auf an der Stelle. Es kann natürlich passieren, dass auch Garantien belastet werden, aber zunächst mal sind's nur Bürgschaftserklärungen, die wir dort geben. Und man muss ja auch den positiven Effekt für die Menschen sehen. Also, wenn Lehman Brothers sich in Deutschland in einer Größenordnung, wie es die Hypo Real Estate darstellt, eintreten würde, dann hat das für die Arbeitsplätze, für die Wirtschaft, für die Ersparnisse, für die Sparbücher der Menschen direkte Konsequenzen. Also, insofern stabilisieren wir ja nicht eine Bank, sondern wir versuchen sozusagen den Menschen im Lande durch diese Stabilisierung zu helfen.
Und wir haben ja die Absicht als Koalition, das in Zukunft nicht mehr auf diesem Weg mit Steuergeldern zu tun, sondern wir sind ja gerade dabei, einen Bankenfond zu errichten und ein Restrukturierungsgesetz, dass in Zukunft eben nicht mehr der Steuerzahler, sondern die Banken selbst für solche Problemfälle eintreten müssen.

Deutschlandradio Kultur: Ist das also tatsächlich wirklich nur ein Vermittlungsproblem jetzt an die Bürger? Sind die Bürger vielleicht zu dumm, um es zu begreifen?

Michael Meister: Nein, die Bürger sind nicht zu dumm, sondern die Bürger haben zu Recht die Forderung an die Politik nach einer Finanzmarktentwicklung, dass Politik nicht nur Krisenmanagement betreibt. Das hat Politik gemacht, ich glaube, auch sehr erfolgreich gemacht. Aber die Erwartung muss natürlich schon sein: Was werden denn für Vorkehrungen getroffen, dass sich eine ähnliche Entwicklung nicht in absehbarer Zeit wiederholt? Ich glaube, an der Stelle müssen wir mehr vermitteln, was wir getan haben. Ich habe eben das Thema Bankenabgabe, Restrukturierung angesprochen, um eben nicht mehr den Steuerzahler in die Pflicht zu nehmen.
Es gibt ein zweites Thema, was wir auch bearbeitet haben, das ist das Ganze Vergütungssystem, dass dort andere Anreize für die Verantwortlichen gesetzt werden – nicht mehr in kurzfristige Gewinnmaximierung zu gehen, sondern auf nachhaltige Entwicklung der Institute zu setzen.
Ich nehme ein Drittes: Aufsicht über alle Wertpapiere und alle Akteure. Wir sind jetzt, glaub ich, mit der Europäischen Bankenaufsicht einen gewaltigen Schritt nach vorne gekommen. Also, was ich damit deutlich machen will: Wir müssen, glaube ich, in der Bevölkerung transportieren, es war nicht eine Krise, es wurden Notmaßnahmen ergriffen und damit ist alles vorbei, sondern es werden wirklich strukturelle Veränderungen durchgeführt, die die Wahrscheinlichkeit einer Krise verringern.

Deutschlandradio Kultur: 142 Milliarden. Euro, das ist diese Summe, die sich addiert, wenn wir auf die Hypo Real Estate gucken und die flankierenden Maßnahmen von Seiten des Staates. Wann ist für Sie das Ende der Fahnenstange erreicht bei den Unterstützungen?

Michael Meister: Ja gut. Wir haben ja in zweierlei Hinsicht das Ende der Fahnenstange definiert. Zum einen haben wir ja beim Finanzmarktstabilisierungsgesetz einen Gesamtrahmen – einerseits für Eigenkapitalhilfe und zum anderen auch für den Garantierahmen – gezogen. Der Garantierahmen ist limitiert auf 400 Milliarden. Euro. Und wir gehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon aus, dass diese Volumina ausreichen, um die notwendige Stabilisierung durchzuführen.

Deutschlandradio Kultur: Und wenn nicht?

Michael Meister: Ja, also, ich glaube, bisher sind wir glaubwürdig gewesen mit den Größenordnungen, die wir benannt haben. Auf der anderen Seite muss es einem natürlich schon Angst machen, in welchem Umfang man sozusagen hier eintreten muss, um sozusagen ein weiteres Erodieren und damit fatale Folgen im Finanz- und Wirtschaftsleben insgesamt zu verhindern.

Deutschlandradio Kultur: Herr Meister, kommen wir zum Haushalt. Die Gewerkschaften drohen ja jetzt mit einem "heißen Herbst" angesichts des Sparpakets. Sie sprechen von einer "sozialen Schieflage". Also, die Gewerkschaften nehmen Sie da sehr scharf in die Kritik. Warum hat die Koalition darauf verzichtet, die starken Schultern stärker zu belasten, etwa über eine Erhöhung der Spitzensteuersätze nachzudenken oder Ähnliches anzugehen?

Michael Meister: Also, zunächst mal will ich drauf hinweisen, dass wir in der Krise dafür gesorgt haben, dass die Menschen, die von den Gewerkschaften vertreten werden, ihre Arbeitsplätze behalten haben, dass wir es geschafft haben, dass Menschen, die früher gearbeitet haben, keine Rentenkürzungen bekommen haben. Das heißt, diejenigen, die eigentlich von Gewerkschaften vertreten worden sind, für die haben wir versucht, Brücken über die Krise zu bauen, auch mit dem Stichwort Kurzarbeitergeld, wo wir sehr weitgehende Regelungen beschlossen haben.
Und ich glaube, soweit es richtig ist, dass Gewerkschaften in den vergangenen zehn Jahren einen wesentlichen Beitrag geleitet haben, dass wir heute in Deutschland wirtschaftlich und arbeitsmarktpolitisch so gut dastehen, nämlich mit einer sehr verantwortlichen Lohnpolitik, genauso richtig ist es, glaube ich, mit den Maßnahmen, die ich eben angesprochen habe, die wir sozusagen als Antwort auf die Wirtschaftskrise formuliert haben, dass Politik auch einen Beitrag geleistet hat, dass Arbeitnehmer in Deutschland eine Perspektive haben, und zwar eine nachhaltige, also nicht kurzfristige Strohfeuersituation.
Zum Zweiten: Wir haben versucht, das jetzige Programm – bezogen Konsolidierung Bundeshaushalt – auf drei, in drei Teile zu teilen. Der eine Teil wird viel zu wenig diskutiert, ist nämlich der Beginn in der Eigenverwaltung des Bundes, wo wir gesagt haben, dort nehmen wir Einsparungen vor. Der zweite Teil ist der Bereich, wo wir gesagt haben, da machen wir Subventionsabbau in der Wirtschaft. Und der dritte Bereich sind Dinge im Sozialen. Also, ich glaube, insofern gibt's beim Ansatz eine gewisse Balance, eine gewisse Ausgewogenheit. Und bei den Maßnahmen im sozialen Bereich muss man natürlich sehen, wenn Sie aufaddieren, was wir heute für Soziales ausgeben, dann sind das knapp 55 Prozent der Mittel, die im Haushalt stehen. Diese 55 Prozent sind 170 Milliarden Euro. Das ist so viel, wie es noch niemals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland der Fall war.
Das heißt: Zu einem Zeitpunkt, wo wir so viel Geld wie noch nie für Soziales ausgeben, wird behauptet, es würde Sozialabbau in diesem Lande betrieben. Das ist eigentlich ein Widerspruch zwischen Sachverhalt und Darstellung.
Und da müssen Sie zu diesen 55 Prozent hinzunehmen die Zinsen und die Personalkosten. Und dann haben wir bereits mehr Geld ausgegeben, als wir haben. So. Und wenn das so ist, dann ist es, wenn man wirklich an einer nachhaltigen Konsolidierung interessiert ist, da Sie die Zinsen nicht einfach willkürlich senken können und die Personalmaßnahmen ja bei dem Thema Eigenverwaltung schon mit angegangen werden, unvermeidlich, wenn Sie ehrlich konsolidieren wollen, dass Sie auch das Thema Soziales angehen müssen.
Und dann haben wir eine Entscheidung getroffen, nämlich zu sagen: All die Menschen, die an ihrer Situation nichts ändern können, bei denen greifen wir nicht ein.

Deutschlandradio Kultur: Gilt das zum Beispiel für Familien, Hartz-IV-Empfängern, denen das Elterngeld gestrichen wird?

Michael Meister: Bei Familien in Hartz IV werden wir jetzt gerade durch Frau von der Leyen dafür sorgen, dass Kinder – als Folge des Bundesverfassungsgerichtsurteils – besser gestellt werden zum nächsten Januar. Also, insofern wird dort genau an der Stelle, wo es die Kinder betrifft, es zu einer Besserstellung kommen in 2011. Und wo es die Eltern trifft, da bin ich der Meinung, dass Menschen, die in Hartz-IV-Leistungsbezug sind, sich der Balance Fördern und Fordern unterwerfen müssen. Ich glaube, Menschen, die im Hartz-IV-Bezug sind, denen müssen wir die Gelegenheit geben, dass sie Arbeit finden. Das ist unsere Hauptaufgabe, sie in den ersten Arbeitsmarkt zu bekommen und dort die Hindernisse wegzunehmen. Und ich glaube, es gibt keine Regierung oder es würde keine Regierung mehr tun an der Stelle als die jetzige, um neue Chancen am Arbeitsmarkt aufzumachen.
Also, auf der einen Seite tun wir etwas für Kinder. Und auf der anderen Seite müssen wir Chancen eröffnen für die Erwachsenen an der Stelle im ersten Arbeitsmarkt und nicht in der Verwahrung in der SGB-II-Leistung.

Deutschlandradio Kultur: Sie können natürlich auch was für die Leistungsstarken tun, die fleißig Steuern zahlen. Ihr Koalitionspartner fordert das ja immer wieder. Und Sie haben selber gesagt, die Koalition erholt sich. Gibt's jetzt neue Möglichkeiten für Steuersenkungen?

Michael Meister: Also, ich hab ja eingangs gesagt, wir haben zu Jahresbeginn sehr viel getan bei der Anerkennung etwa der Beiträge der Menschen zur Gesundheitskasse, zur Pflegekasse. Wir haben sehr viel getan im Bereich Familie, wo das Kindergeld angehoben worden ist. Ich glaube, dort haben wir in Richtung Entlastung Signale gesetzt, und zwar zu einem Zeitpunkt, wo wir noch nicht wussten, dass wir aus der Krise heraus sind, sondern noch davon ausgehen mussten, dass die Krise weitergeht.
Ich glaube, gegenwärtig sollten wir das Thema Haushaltskonsolidierung in den Vordergrund stellen. Und Sie werden es schwer vermitteln können, dass Sie auf der einen Seite Leistungen zurücknehmen, Ausgabepositionen zurückfahren, Subventionen abbauen, wenn Sie gleichzeitig sagen, Sie sind bereit, auf Steuereinnahmen, die Sie generieren können, zu verzichten. Deshalb hat für mich Haushaltskonsolidierung an dieser Stelle Priorität.

Deutschlandradio Kultur: Auch für Ihren Koalitionspartner?

Michael Meister: Ich glaube, dass wir uns da gegenwärtig einig sind an der Stelle. Und, was wir allerdings nicht zurückstellen müssen, ist ein zweites Thema, was ich für genauso wichtig halte. Das ist das Thema Vereinfachung des Steuerrechts. Ich glaube, das kann man jenseits der Haushaltslage angehen und überlegen: Können wir das Steuerrecht für den Bürger, für Unternehmen und die öffentliche Finanzverwaltung nicht einfacher gestalten? Und das sollten wir momentan prioritär verfolgen.

Deutschlandradio Kultur: "Die Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer sind heute nicht mehr erklärbar." Das ist ein Zitat, das von Ihnen stammt. Gilt das auch zum Beispiel für die gesenkte Mehrwertsteuer für Hoteliers?

Michael Meister: Ja, Sie können den Gesamtbereich, weil er unstrukturiert ist, so ist meine Aussage zu verstehen, nicht erklären. Sie können nicht erklären, warum eine bestimmte Dienstleistung, ein bestimmtes Produkt mit dem vollen Satz, mit dem reduzierten Satz oder gar überhaupt nicht der Mehrwertsteuer unterliegt. Deshalb bin ich schon vom Grundsatz her der Meinung, dass wir zu einer Struktur kommen müssen, die wieder erklärbar ist.
Und wir haben jetzt als Deutscher Bundestag die Regierung ja gebeten, dazu mal ein Gutachten erstellen zu lassen. Wir warten auf dieses Gutachten. Und dann müssen wir auf der Basis dieses Gutachtens entscheiden: Können wir nicht nur das Problem, was ich eben angerissen habe, skizzieren, sondern sind wir auch in der Lage, dazu eine Lösung zu präsentieren?

Deutschlandradio Kultur: Hätte man mit der Hotelsteuer vielleicht einfach warten sollen im letzten Jahr?

Michael Meister: Also, meine persönliche Einschätzung im Vorfeld, die habe ich auch immer sehr deutlich geäußert, ist, dass ich alle gewarnt habe, an dieser Baustelle Einzelmaßnahmen zu beschließen, weil das nicht zu einer besser verständlichen Struktur führt, sondern neue Fragen aufwirft. Die Entscheidung ist jetzt so gefallen. Aber damit ist das Problem, eine bessere Struktur zu finden, nicht gelöst.

Deutschlandradio Kultur: Herr Meister, Sie haben im Jahr 2004 den Posten von Friedrich Merz übernommen, als der sich aus der Politik zurückzog. Nun hält Ihnen Friedrich Merz gerade in dieser Woche vor, die CDU sei noch nie so beliebig und orientierungslos wie heute gewesen.
Ist das eine Einzelmeinung eines Enttäuschten?

Michael Meister: Nein, das ist ein Aufruf, dass wir in der Union sehr wohl über unsere Grundpositionen nachdenken müssen. Und die werden ja immer wieder an neuen Fragestellungen gefordert. Also, wenn Sie etwa im christlichen Bereich die Frage stellen, wie gehen wir mit dem Recht auf Leben um, dann wird es immer wieder in neuen Zusammenhängen hinterfragt. Und wir müssen als Union immer wieder neue Antworten geben an der Stelle.
Wenn Sie die Frage stellen, wie gehen wir im Bereich Energiepolitik mit den Fragen um, Bewahrung der Schöpfung, dann ist das eine aus meiner Sicht zutiefst konservative Herausforderung, Schöpfung zu bewahren und eine Energiepolitik zu machen, die nachhaltig ist und eben dafür sorgt, dass Umwelt und Natur trotz dem Bedarf an Energie geschützt werden. Und ich glaube, die Herausforderung ist nicht so sehr, dass wir sagen, da ist nicht mehr alles, wie es war, sondern dass wir für die Fragen, die in Zukunft kommen, Antworten, die aus unseren Wurzeln fundiert sind, geben. Das ist ein sehr anstrengender Prozess, weil man da nicht sagen kann, wir haben alle Weisheiten schon gefunden, sondern es ist ein ständiger Prozess der Findung. Aber ich glaube, der Anstrengung muss sich die Partei unterziehen. Und da sind Hinweise von Friedrich Merz und anderen hilfreich, diesen Prozess einzufordern.

Deutschlandradio Kultur: Sie sprechen von einem Prozess der Findung, aber ist es vielleicht auch ein Prozess des Verlierens? Denn die Union hatte ja, wenn wir mal auf ein anderes Feld gucken, auch auf Ihr Feld, die Wirtschafts- und Finanzpolitik, ein durchaus klareres Profil. Nämlich, als Friedrich Merz noch da war, da war die Union ganz klar auch eine Partei der Steuersenkung, der Vereinfachung des Steuersystems, auch eine, die kritisch zur Rolle des Staates im Wirtschaftsablauf war. Jetzt in der Regierungspraxis haben wir eine andere Union erlebt.

Michael Meister: Also, ich glaube, wir waren und wir sind die Partei der sozialen Marktwirtschaft. Und die Partei der sozialen Marktwirtschaft – vorhin haben wir über das Thema Steuerverantwortung gesprochen, das sehen wir nach wie vor so, dass das Steuerrecht einfacher werden muss, dass Bürokratie abgebaut werden muss, auch über das Steuerrecht hinaus.
Ich habe vorhin gesagt, ich bin auch nicht gegen Steuersenkung. Ich sehe nur momentan eine Finanzlage unserer gesamten öffentlichen Hände – von Bund, Ländern bis zu Kommunen -, wo man, glaub ich, einfach überlegen muss, was hat denn Priorität. Und momentan hat aus meiner Sicht Priorität zu sagen, eine seriöse solide Haushaltswirtschaft. Denn zu unserer Wirtschafts- und Finanzkompetenz gehört eben auch, dass man glaubt, dass die Union mit Geld umgehen kann und nicht eine Politik, sagen wir mal, des leichten Geldes macht, dass wir nicht Maastricht aufgeben, dass wir das Grundgesetz bei der Schuldenbremse beachten. Also, ich glaub, das gehört auch zu den Eckpunkten von Unionspolitik.
Und deshalb sage ich: Steuervereinfachung ja. Deshalb sage ich: Das Steuerrecht muss auch im Grenzsteuersatz für Leistungsträger in Zukunft erträglicher gestaltet werden. Aber jetzt hat erst mal das Thema Haushaltskonsolidierung Priorität. Und das ist die Herausforderung, vor der wir momentan stehen.

Deutschlandradio Kultur: Diese Herausforderung reicht aber über diese Legislaturperiode hinaus. Und wenn wir uns die aktuellen Umfrageergebnisse angucken, dann werden Sie mit diesem Koalitionspartner diese Herausforderungen in der nächsten Legislaturperiode nicht mehr bewältigen können. Dann gibt's da andere Optionen. Die Große Koalition wird nie gewünscht, aber die Tür für die schwarz-grüne Option ist auch gerade zugegangen mit den jüngsten Entscheidungen zur AKW-Laufzeitverlängerung.
Werden Sie das vielleicht noch mal bereuen, dass Schwarz-Grün auf Bundesebene auf absehbare Zeit doch nicht möglich ist? Oder werden Sie eher Grün auch noch stärker bekämpfen, um zu neuen Stärken zurückzukommen?

Michael Meister: Also, erste Bemerkung: Ich hab vorhin schon mal angedeutet, meine Option ist, dass wir in den nächsten drei Jahren inhaltlich so gut arbeiten und auch sozusagen in der Kommunikation unserer Inhalte so gut werden und im Agieren, dass wir sehr wohl eine Option haben, dass es ein neues Mandat für die jetzige Koalition gibt.
Zweitens sag ich Ihnen: Also, ich sehe die Entscheidung in der Energiepolitik als Entscheidung, die in dieser Wahlperiode ansteht und deshalb eher als Befreiung an dieser Stelle. Denn Themen, die entschieden sind, braucht man in folgenden Wahlperioden eben nicht mehr aufrufen. Also, insofern ist es eine Frage an die Grünen, ob sie Entscheidungen, die getroffen sind, in der Zukunft irgendwann noch mal neu stellen wollen oder ob man einfach der Regel folgt, dass getroffene Entscheidungen von allen Beteiligten irgendwann auch mal akzeptiert werden.

Deutschlandradio Kultur: Gilt diese Aussage auch für Ihren eigenen Bundestagspräsidenten? Denn der hat ja gerade diese Woche auch genutzt, um die getroffene Entscheidung koalitionsintern doch noch mal zu kritisieren.

Michael Meister: Ja also, ich glaube, wir müssen schon sehr sorgfältig umgehen mit den Fragen. Wir haben auch in der Fraktion am Montag über die Frage, wie sieht's denn aus mit der Rolle des Bundesrates im Zusammenhang mit der Änderung des Atomgesetzes. Und in dem Kontext hat der Bundesinnenminister, der ja das Verfassungsressort vertritt, sehr deutlich gemacht, dass die Regierung diese Frage intensiv geprüft hat. Ich glaube, dass es berechtigt ist, dass Parlamentarier dies hinterfragen, auf der anderen Seite sich aber auch, wenn die Regierung darlegt, dass sie intensiv geprüft hat, sich auf diese Prüfung verlassen können. Und deshalb gehe ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon aus, dass wir den Vorschlag, der unterbreitet wird, ohne Zustimmung des Bundesrates ins Gesetzblatt bringen können.
Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag bei der Generaldebatte über den Bundeshaushalt
Kämpferisch aufgetreten. Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag bei der Generaldebatte über den Bundeshaushalt© AP
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