"Ich fühle mich gar nicht als Exotin"

Von Susanne Schrammar |
In ländlichen Regionen übernehmen Landfrauen unter anderem Bildungsarbeit in den Gemeinden und kümmern sich um Senioren und Kinder. Viele sind seit Jahrzehnten mit ihrer Region verwurzelt. Anders die Kreisverbandsvorsitzende der Landfrauen in Braunschweig: Parvin Hemmecke-Otte ist gebürtige Iranerin.
Auf einem Feld bei Braunschweig-Bienrode stehen Hunderte von ihnen: Nordmanntannen, Blautannen und Kiefern haben Parvin Hemmecke-Otte und ihr Mann hier angepflanzt. In diesen Tagen, kurz vorm Fest, werden sie frisch geschlagen und verkauft. Es ist windig heute. In dicker brauner Daunenjacke steht die 52-Jährige neben einem besonders gut gewachsenen Exemplar und greift mit ihren zarten Fingern in die dichten grünen Nadeln.

"Das ist eine sehr schöne Tanne, die nicht pikst, eine Nordmanntanne, und für viele Leute, die echte Kerzen haben – solche Bäume sind schön, weil man genau diese Etagen hat und kann man die Kerzen auch einzeln aufsetzen, ohne, dass man Angst hat, dass es was verbrennt und das sieht auch ganz toll aus."

Mit Weihnachtsbäumen kennt sie sich aus, dabei gehört das christliche Fest ursprünglich nicht zu ihrer. Kultur. Parvin Hemmecke-Otte, studierte Agraringenieurin, stammt aus dem Iran, ist gläubige Muslima, betreibt mit ihrem Mann einen Ackerbaubetrieb und eine Weihnachtsbaumplantage und ist seit zehn Jahren Vorsitzende des Kreisverbandes der Landfrauen in Braunschweig.

Ortswechsel. Adventsfrühstück in einem Café in der Braunschweiger Innenstadt. Umringt von ihren Vorstandskolleginnen sitzt Parvin Hemmecke-Otte an einem großen ovalen Tisch. Vor ihr steht ein weißer Weihnachtsstern, so groß und prächtig, dass er die kleine Person dahinter fast verdeckt. Die Blumen hat die Vorsitzende von ihren Mitstreiterinnen bekommen – als Dank für ein erfolgreiches Vorstandsjahr.

"Ich bin sehr stolz, eine Landfrau zu sein, ich sage das immer wieder: Bei Landfrauen zu sein und mit denen mitzumachen, dadurch fühle ich mich hier in Deutschland zuhause. Und dass die mir die Gelegenheit gegeben haben, dass ich zeige, was ich machen kann. Die machen mit und das finde ich auch toll."

Ihr kurzes schwarzes Haar zeigt die 52-Jährige offen, nur bei Besuchen im Iran trägt sie Kopftuch. Ihre Wurzeln verleugnet Parvin Hemmecke-Otte dennoch nicht. Als Referentin tourt sie durch insgesamt 280 Landfrauenvereine in Niedersachsen und wirbt um Verständnis für ihre Kultur. Ihre Vorträge kreisen häufig um die Stellung der Frau im Iran.

Das Adventsfrühstück der Braunschweiger Landfrauen dreht sich heute jedoch um die anstehenden Weihnachtsvorbereitungen. Auch Parvin Hemmecke-Otte feiert mit der Familie ihres Mannes Lothar Heiligabend und freut sich über die festliche Stimmung. Kurz vor Weihnachten steht jedoch in der iranisch-deutschen Gesellschaft in Braunschweig eine andere Feier auf dem Programm. Gestenreich erzählt sie ihren Vorstandskolleginnen vom iranischen Lichterfest.

"Am 21. Dezember, bei uns heißt das 'Schabe Yaldaa', das ist die längst Nacht. Dunkelheit geht vorbei und das Licht kommt wieder. Und an dem Abend, Familie kommt alles zusammen und immer die Älteste in der Familie liest von unserem Dichterbuch ein Gedicht und das hat auch wirklich mein Vater immer gemacht mit uns."

Auf dem Hof der Hemmecke-Ottes in Braunschweig-Bienrode. Eilig biegt die 52-Jährige mit ihrem silbernen Sportwagen in die Auffahrt des roten Backsteingebäudes. Im Inneren ein eleganter Mix deutsch-iranischer Kultur: Handgeknüpfte Perserteppiche liegen neben einer niedersächsischen Eichentruhe. Direkt nach dem Abitur kam Parvin 1980 zum Studieren nach Deutschland und ließ ihre Familie in Kerman, 1000 Kilometer südlich von Teheran, zurück. Nach der iranischen Revolution erschien ihrer Mutter das Land, in dem bereits Parvins Bruder lebte, der sicherere Ort. Doch leicht fiel der Start in Deutschland nicht. Die Sprache, die Kälte, die Straßenbahn – alles fremd.

"Natürlich, wenn man vom Iran kommt, ist alles ganz anders. Erstmal braucht man wirklich Zeit, alles zu verdauen und so einfach war das nicht. Diese Freiheit, die man hier hatte! Wir hatten eine Lehrerin und sie hat mir immer erzählt: Es ist auch schön, wenn man verliebt ist und auf der Straße sich küsst. Das war für mich erstmal ein Schock. Ich kannte das nicht. Wir haben eine ganz andere Kultur."

Die junge Agrarstudentin lernt ihren Mann Lothar kennen, verliebt sich und lässt sich – statt wie geplant nach Kerman zurückzukehren - mit ihm in seiner Heimat Braunschweig nieder. Anfangs kommt sich Parvin ein wenig verloren vor, kennt kaum jemanden. Bis ihre Schwiegermutter sie vor 26 Jahren mitnimmt zu den Landfrauen.

"Manche Tage habe ich gedacht, was hast Du Dir hier angetan? Und dadurch, dass ich bei Landfrauen gekommen bin und die kennengelernt habe, so langsam ging es bergauf ."

Landfrauen, sagt Parvin Hemmecke-Otte, sind bodenständig, traditionsbewusst, wissbegierig und aktiv. Darin erkenne sie sich wieder.

Dass sie als Muslima ihre Religion auch aktiv lebt, spiele dabei keine Rolle. Der Landfrauenverband sei überkonfessionell ausgerichtet, versichert die Frau mit der dunkelgerandeten Brille. Doch als sie vor zehn Jahren Kreisvorsitzende in Braunschweig wurde, gab es nicht nur Zustimmung.

Inzwischen unterstützen mich selbst die Zweifler von damals, erzählt die Iranerin stolz. Überzeugt hat sie mit ihrer offenen Art und ihrem Ideenreichtum: Eine eigene Landfrauenhandcreme, deutsch-iranische Kochabende oder Benefizkonzerte hat sie für den Verband initiiert. Irgendwann möchte Parvin Hemmecke-Otte ihren Landfrauen auch ihre ursprüngliche Heimat zeigen. In Kerman hat sie eine Pistazienplantage geerbt. Zweimal im Jahr, vor allem zur Erntezeit im Herbst, reist sie regelmäßig in den Iran.

"Wenn ich im Iran bin, ich bin vollkommen Iranerin, und wenn ich hier bin, ich bin dann auch Deutsche. Und das ist so, dass ich beide Kulturen zusammen mischen kann und beide kann ich auch leben. Ich fühle mich gar nicht als Exotin."