Ich fühl mich so Brandenburg
Steigt ein Reisender in Berlin-Spandau aus und will ins nicht allzu weit entfernte Rheinsberg, wie es die Landkarte suggeriert, braucht er mit dem Zug zwei Stunden. Der fährt mal vor und zurück und umkreist dabei gleich mehrere Seen. In der Tat: das kleine Land Brandenburg kann dem Besucher recht groß dünken.
Das Wort „dünken“ stammt aus einer anderen Zeit. Aber es passt zu Brandenburg, der Streusandbüchse, mit den wunderbaren Schlössern und Menschen, die auf Fürsten und klare Befehle warten. Und auf die sie natürlich fluchen, aber nicht zu laut. Auch die neuen Landesfürsten wie Matthias Platzeck oder Manfred Stolpe wählen sie geduldig immer wieder. Man hat sich an diesen Politikertypus gewöhnt, der den tröstenden Ton beherrscht, den der Brandenburger braucht, seit er nicht mehr regelmäßig zur Kirche geht.
Die Welt und die Politik sind schlecht – und der Märker fühlt sich in besonderer Weise dabei vernachlässigt. Von den Berlinern, die ohnehin viel mehr Geld haben und ihn politisch über den Tisch ziehen. Von den Wessis, weil sie ihm die schönsten Häuser und Schlösser wegkaufen. Oder mit selbstbewusster Geste alles erst besichtigen und dann doch verschmähen. Und er weiß nicht so recht, welche Haltung er schlimmer finden soll.
Und vom Rest der Welt wird er sowieso ignoriert, der frech zur Ostseeküste durchfährt oder in die sächsischen Metropolen Dresden, Leipzig reist und zu den Sehenswürdigkeiten des Harzes und jenen des Freistaates Thüringen.
„Die Landschaft ist karg, weit und ein wenig traurig“, schreibt der ehemalige Herausgeber einer Potsdamer Zeitung. Der Brandenburger selbst gibt sich weniger traurig als mürrisch. Gründe dafür findet er genug. Es klagen die Gastwirte, Taxifahrer und alle anderen, die davon leben wollen, wovon sie schwer leben können. Und es wurmt sie, auf jene angewiesen zu sein, denen sie misstrauen.
„Der Märker mag die Fremden nicht“, sagt mir der Leiter eines Literaturmuseums, der froh ist, nur einmal verprügelt worden zu sein. Aus Versehen oder zielgerichtet, das wurde selbst im Gerichtssaal nicht klar. Vielleicht hatten es die Angeklagten auch vergessen. Sie gaben sich wortkarg, debil träge und entschuldigten sich pflichtbewusst lustlos. Pflichtbewusst lustlos sind in Brandenburg zu oft Schlüsselworte für das gastronomische Erlebnis, das dann keines wird, oder für den Dienstleistungsbereich. In Brandenburg gibt es keine bayrische Gastfreundlichkeit oder Thüringer Herzlichkeit, sondern eine beflissene Mürrischkeit, der etwas Devotes anhaftet.
Kürzlich bedankte ich mich in einer Drogerie für das Wechselgeld. Die Verkäuferin wünschte mir demonstrativ laut einen „Guten Tag!“ Ich erwiderte den Wunsch und fügte einen weiteren für den Abend hinzu. Die Frau kontert mit drei nett gemeinten Floskeln, aber mit teilnahmsloser Miene dahingeschnarrt. Ich hielt mit weiteren guten Wünschen mit. Immer bissiger wurden immer höflichere Sätze ausgetauscht. Die Frau gab nicht auf in ihrer verquälten Absicht, besonders nett zu sein.
Nein, Brandenburg ist kein Nazi-Land. Die Fremdenfeindlichkeit beginnt beim Blick in den Spiegel und ist eine, die aus kartoffelfeldgrauen Vorzeiten kommt und sich durch Sprüche outet wie „Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht.“ „Die Brandenburger“, das war im Zweiten Weltkrieg eine Spezialeinheit für Sabotageaktionen hinter den feindlichen Linien. Besonders mutige Leute, benutzt von einer verbrecherischen Politik.
Aber diese militärischen Traditionen bringen dem Brandenburger wenig für die Gegenwart. Ehemalige Kriege als Fluchtwege aus bäuerlicher Arbeitsabhängigkeit und Tristesse. „In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ – auch so ein berühmter Satz aus schlachtbewusster Zeit, der ins Leere fällt, wenn einer keine Feinde mehr hat. Nur noch potentielle Geldgeber, die nie genügend herausrücken. Auch bitten und betteln will gelernt sein, und die Jugend verlässt das Land Richtung Westen oder geht nach Berlin.
„Berlin, da ist das Leben“ singt eine HipHop-Gruppe mit trauriger Stimme. Ein Freund spielt mir ihren Song vor, er lebt formal in Brandenburg, aber eigentlich noch im Speckgürtel rings um die Hauptstadt, in der Speckgürtel-Mischkultur zweier verschiedener Mentalitäten. Der Sänger klagt über die vielen Landstraßenraser in der Mark. Man möchte Wetten abschließen, ob jeder Fünfte oder nur jeder Sechste gerade den Straßenverkehr für seinen Suizidversuch nutzt. „Ich fühl mich so Brandenburg“ endet das Lied und der Hörer nimmt ihm diesen Superlativ für traurig problemlos ab.
Die Weite des Landes und die günstigen Bodenpreise lassen natürlich dieses Land zum Rückzuggebiet für all jene werden, die es in Berlin nicht schaffen oder denen die Stadt zu bunt und anstrengend scheint. So lebt natürlich auch die DDR in Brandenburg vitaler weiter – so wie alle anderen Vergangenheiten vor ihr. Kein Wunder bei einer Gegend, in der sehr alte Bücher von Theodor Fontane großflächig noch als Reiseführer benutzt werden können. Was tun? Neubesiedlung durch Zuwanderer fördern, damit sich die aus Polen einwandernden Wölfe nicht zu einsam fühlen.
Lutz Rathenow, Schriftsteller, 1952 in Jena geboren, Studium Germanistik/Geschichte, kurz vor dem Examen wegen nicht konformer Ansichten und Handlungen relegiert, Transportarbeiter, 1977 Übersiedlung nach Ostberlin, knapp 15.000 Seiten Stasi-Akten zeugen von Aktivitäten und Repressalien, wegen des ersten nur im Westen verlegten Buches 1980 kurzzeitig verhaftet, Lyriker, Essayist, Kinderbuchautor, Satiriker, Kolumnist, Gelegenheitsdramatiker. Zusammen mit Harald Hauswald (Fotografie) schrieb er den erfolgreichen Foto-Text-Band „Ost-Berlin – Leben vor dem Mauerfall“ (Jaron Verlag, 2005, englisch/deutsch).
2006 erscheinen „Ein Eisbär aus Apolda“ (Kindergeschichten), „Gelächter, sortiert“ (Fußballgedichte) und wieder mit dem Kult-Fotografen Harald Hauswald „Gewendet – vor und nach dem Mauerfall. Fotos und Texte aus dem Osten“ (Jaron Verlag).
Die Welt und die Politik sind schlecht – und der Märker fühlt sich in besonderer Weise dabei vernachlässigt. Von den Berlinern, die ohnehin viel mehr Geld haben und ihn politisch über den Tisch ziehen. Von den Wessis, weil sie ihm die schönsten Häuser und Schlösser wegkaufen. Oder mit selbstbewusster Geste alles erst besichtigen und dann doch verschmähen. Und er weiß nicht so recht, welche Haltung er schlimmer finden soll.
Und vom Rest der Welt wird er sowieso ignoriert, der frech zur Ostseeküste durchfährt oder in die sächsischen Metropolen Dresden, Leipzig reist und zu den Sehenswürdigkeiten des Harzes und jenen des Freistaates Thüringen.
„Die Landschaft ist karg, weit und ein wenig traurig“, schreibt der ehemalige Herausgeber einer Potsdamer Zeitung. Der Brandenburger selbst gibt sich weniger traurig als mürrisch. Gründe dafür findet er genug. Es klagen die Gastwirte, Taxifahrer und alle anderen, die davon leben wollen, wovon sie schwer leben können. Und es wurmt sie, auf jene angewiesen zu sein, denen sie misstrauen.
„Der Märker mag die Fremden nicht“, sagt mir der Leiter eines Literaturmuseums, der froh ist, nur einmal verprügelt worden zu sein. Aus Versehen oder zielgerichtet, das wurde selbst im Gerichtssaal nicht klar. Vielleicht hatten es die Angeklagten auch vergessen. Sie gaben sich wortkarg, debil träge und entschuldigten sich pflichtbewusst lustlos. Pflichtbewusst lustlos sind in Brandenburg zu oft Schlüsselworte für das gastronomische Erlebnis, das dann keines wird, oder für den Dienstleistungsbereich. In Brandenburg gibt es keine bayrische Gastfreundlichkeit oder Thüringer Herzlichkeit, sondern eine beflissene Mürrischkeit, der etwas Devotes anhaftet.
Kürzlich bedankte ich mich in einer Drogerie für das Wechselgeld. Die Verkäuferin wünschte mir demonstrativ laut einen „Guten Tag!“ Ich erwiderte den Wunsch und fügte einen weiteren für den Abend hinzu. Die Frau kontert mit drei nett gemeinten Floskeln, aber mit teilnahmsloser Miene dahingeschnarrt. Ich hielt mit weiteren guten Wünschen mit. Immer bissiger wurden immer höflichere Sätze ausgetauscht. Die Frau gab nicht auf in ihrer verquälten Absicht, besonders nett zu sein.
Nein, Brandenburg ist kein Nazi-Land. Die Fremdenfeindlichkeit beginnt beim Blick in den Spiegel und ist eine, die aus kartoffelfeldgrauen Vorzeiten kommt und sich durch Sprüche outet wie „Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht.“ „Die Brandenburger“, das war im Zweiten Weltkrieg eine Spezialeinheit für Sabotageaktionen hinter den feindlichen Linien. Besonders mutige Leute, benutzt von einer verbrecherischen Politik.
Aber diese militärischen Traditionen bringen dem Brandenburger wenig für die Gegenwart. Ehemalige Kriege als Fluchtwege aus bäuerlicher Arbeitsabhängigkeit und Tristesse. „In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ – auch so ein berühmter Satz aus schlachtbewusster Zeit, der ins Leere fällt, wenn einer keine Feinde mehr hat. Nur noch potentielle Geldgeber, die nie genügend herausrücken. Auch bitten und betteln will gelernt sein, und die Jugend verlässt das Land Richtung Westen oder geht nach Berlin.
„Berlin, da ist das Leben“ singt eine HipHop-Gruppe mit trauriger Stimme. Ein Freund spielt mir ihren Song vor, er lebt formal in Brandenburg, aber eigentlich noch im Speckgürtel rings um die Hauptstadt, in der Speckgürtel-Mischkultur zweier verschiedener Mentalitäten. Der Sänger klagt über die vielen Landstraßenraser in der Mark. Man möchte Wetten abschließen, ob jeder Fünfte oder nur jeder Sechste gerade den Straßenverkehr für seinen Suizidversuch nutzt. „Ich fühl mich so Brandenburg“ endet das Lied und der Hörer nimmt ihm diesen Superlativ für traurig problemlos ab.
Die Weite des Landes und die günstigen Bodenpreise lassen natürlich dieses Land zum Rückzuggebiet für all jene werden, die es in Berlin nicht schaffen oder denen die Stadt zu bunt und anstrengend scheint. So lebt natürlich auch die DDR in Brandenburg vitaler weiter – so wie alle anderen Vergangenheiten vor ihr. Kein Wunder bei einer Gegend, in der sehr alte Bücher von Theodor Fontane großflächig noch als Reiseführer benutzt werden können. Was tun? Neubesiedlung durch Zuwanderer fördern, damit sich die aus Polen einwandernden Wölfe nicht zu einsam fühlen.
Lutz Rathenow, Schriftsteller, 1952 in Jena geboren, Studium Germanistik/Geschichte, kurz vor dem Examen wegen nicht konformer Ansichten und Handlungen relegiert, Transportarbeiter, 1977 Übersiedlung nach Ostberlin, knapp 15.000 Seiten Stasi-Akten zeugen von Aktivitäten und Repressalien, wegen des ersten nur im Westen verlegten Buches 1980 kurzzeitig verhaftet, Lyriker, Essayist, Kinderbuchautor, Satiriker, Kolumnist, Gelegenheitsdramatiker. Zusammen mit Harald Hauswald (Fotografie) schrieb er den erfolgreichen Foto-Text-Band „Ost-Berlin – Leben vor dem Mauerfall“ (Jaron Verlag, 2005, englisch/deutsch).
2006 erscheinen „Ein Eisbär aus Apolda“ (Kindergeschichten), „Gelächter, sortiert“ (Fußballgedichte) und wieder mit dem Kult-Fotografen Harald Hauswald „Gewendet – vor und nach dem Mauerfall. Fotos und Texte aus dem Osten“ (Jaron Verlag).