"Ich finde den Verdacht absurd"

Moderation: Vladimir Balzer |
Der Migrationsforscher Mark Terkessidis hat den Musiker Muhabbet verteidigt. Dass der deutsch-türkische Rapper Verständnis für den Mord an den niederländischen Regisseur Theo van Gogh geäußert habe, könne er sich nicht vorstellen, sagte Terkessidis.
Vladimir Balzer: Gerade hat er noch mit dem Außenminister zusammen ein Lied eingesungen über gelungene Integration, und jetzt steht plötzlich mitten in der Kritik: der deutsch-türkische Rapper Muhabbet. Die Frankfurter Fernsehjournalistin Esther Schapira beschuldigt ihn, in kleiner Runde den Mord an dem niederländischen Filmemacher Theo von Gogh gerechtfertigt zu haben. Er soll, laut Schapira, sogar gesagt haben, dass von Gogh, der damals von einem Islamisten ermordet wurde, noch Glück gehabt habe, so schnell zu sterben. Wenn es, angeblich, nach Muhabbet gegangen wäre, hätte er ihn noch gefoltert. All das ist unbewiesen und entstammt allein der Aussage der Journalistin. Und der Rapper wehrt sich. Ihm tue dieses Missverständnis leid. Dass er ein Islamist sein soll, das sei doch wohl ein Witz, lässt er sich zitieren. Und außerdem sagt er noch über diesen Vorgang, über diesen Dialog, er erinnert sich anders daran, er habe gesagt, ein fundamentalistischer Moslem kann bei dem Anblick einer nackten Frau in einer Moschee wie im Van-Gogh-Film ausflippen und denken, wer solche Bilder macht, den foltere ich erst und töte ihn dann. Nun stehen also zwei Aussagen gegeneinander. Wir können auch nicht klären, was dort genau passiert ist, aber erst mal reden mit Mark Terkessidis, Pädagoge und Experte für junge Migrationskultur, über den Vorgang und was man von den Hintergründen zu halten hat. Schönen guten Tag erst mal, herzlich willkommen bei uns.

Mark Terkessidis: Guten Tag.

Balzer: Herr Terkessidis, was halten Sie nun eigentlich von diesem Vorgang und von diesem Zitat, von dieser Rechtfertigung?

Terkessidis: Na ja, was soll ich davon halten? Also es ist, glaube ich, ein ziemlich schwieriger Vorgang, ein Gespräch zu beurteilen, wo zwei Beteiligte Unterschiedliches sagen. Ich war nicht dabei. Wir reden über einen Vorgang, der praktisch auf Gerüchten basiert, aber im Grunde muss man natürlich sagen …

Balzer: Aber er kocht hoch.

Terkessidis: Ja, er kocht hoch, weil es im Grunde auch ein gewisses Symptom ist, wenn man so will, also dass sozusagen dieser Muhabbet, also ein Musiker, Vorzeigeobjekt der Integration, wenn man so will, immer unter dem Verdacht steht, möglicherweise Islamist zu sein. Ich persönlich finde den Verdacht vollkommen absurd. Ich kenne Muhabbet und kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der sich in der Richtung geäußert hätte.

Balzer: Wer ist dieser Muhabbet?

Terkessidis: Muhabbet ist ein Musiker, der eigentlich kein Rapper ist, sondern eine neue Musikrichtung in die Welt gesetzt hat, die sich R’n’Besk nennt, das ist so eine Mischung aus Arabesk auf der einen Seite, also einer sozusagen in den 70er Jahren renovierten türkischen Volksmusik, die besonders bei den Einwanderern viel gehört worden ist, und R’n’B, also sozusagen wiederum der renovierten Version amerikanischen Souls, aufpoliert, besonders produktionstechnisch, interessante Mischung. Und der hat eine ziemlich kometenhafte Karriere hingelegt, nicht nur, was seinen Erfolg aus Plattenverkäufen betrifft, der war auch sehr ordentlich, aber auch sozusagen, was seine Adoption betraf durch die politische Szenerie, die ihn sozusagen zum Aushängeschild der Integration gemacht hat.

Balzer: Und es ist gerechtfertigt, ist er wirklich ein gutes Vorbild für Integration in Deutschland?

Terkessidis: Na ja, mit den guten Vorbildern für Integration ist es immer so eine Sache. Ich finde es sozusagen immer problematisch, wenn irgendjemand als Vorbild für Integration herhalten muss, weil das ihn sozusagen aus seiner Normalität rausreißt. Und normal scheint die Tatsache, dass Leute mit Migrationshintergrund hier leben, immer noch nicht zu sein.

Balzer: Aber die Politik macht das schon? Frank-Walter Steinmeier singt sogar ein Lied mit ihm ein.

Terkessidis: Ja, ja, aber möchte ich Frank-Walter Steinmeier auf einer R’n’B-Platte hören? Ich kann da sagen, ich nicht.

Balzer: Ich glaube, das war nur ein einzelner Track, soweit ich weiß.

Terkessidis: Ja, ja, aber das ist ja das Problem, wie kommt das jetzt bei Jugendlichen an? Also ich glaube, dass das eine sehr sperrige Idee von Vermittlung oder sehr pädagogische Idee von Vermittlung an Jugendliche ist, wenn man dann eben diesen Muhabbet nimmt und sagt, jetzt singt Frank-Walter Steinmeier mit mir ein Lied über Integration, und dann wird es schon klappen. Das hat aber eine lange Geschichte sozusagen, dass solche Leute so adoptiert werden. Und Muhabbet, ich meine, was der alles für Funktionen hat. Der ist bei der UNICEF, der ist ungefähr bei jeder Kampagne dabei, der ist das leuchtende Beispiel bei SOS Kinderdorf. Und da kann man auch mal sagen, für einen 23-Jährigen ist das schon eine ganz schöne Überforderung.

Balzer: Also reines Polit-Marketing?

Terkessidis: Finde ich schon, ja. Ich finde schon, dass das ein ziemliches Polit-Marketing ist, vor allen Dingen in dem Sinne, also ich bin mir gar nicht darüber im Klaren, ob ein Großteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund – und so wird immer getan – nun Muhabbet hört. Das kann man letztendlich gar nicht genau sagen.

Balzer: Aber er ist zumindest kommerziell erfolgreich.

Terkessidis: Der ist kommerziell erfolgreich, aber ich weiß ja nicht genau, wer den hört. Es kann ja auch sein, dass das hauptsächlich … Außerdem, was heißt kommerziell erfolgreich bei Musik? Das sind 30.000 verkaufte Einheiten oder so was. Das ist jetzt auch nicht mehr so, dass das irgendwie der ultimative Weg in die Mehrheitsbevölkerung ist oder so.

Balzer: Und es besteht auch die Frage, wenn seine Platten gekauft werden, ob den Hörern auch seine politische Bedeutung so wichtig ist.

Terkessidis: Genau.

Balzer: Das kann man nicht genau sagen im Moment.

Terkessidis: Genau. Ich finde aber auch, dass das sozusagen in dem Moment, wo er mit Frank-Walter Steinmeier zusammen Musik macht, ist die Frage, ob das bei Jugendlichen nicht sogar eine abschreckende Wirkung hat. Also die Musik, die ich zu Hause höre als Jugendlicher, muss ja nicht unbedingt die Musik sein, die gleichzeitig auch noch meiner Integration dient. Das nimmt einem möglicherweise auch einen Teil des Spaßes wieder weg, und dann gehe ich doch lieber hin und höre demnächst besser Bushido oder so.

Balzer: Sie haben es schon kurz erwähnt, Mark Terkessidis, dass es auch in der Geschichte immer wieder diese Fälle gab, dass Politiker sich gern mit Musikern, gerade so mit Migrationshintergrund, umgeben haben, um dort bestimmte politische Messages rüberzubringen. War das immer so, wie es jetzt abgelaufen ist? Wie lief das früher?

Terkessidis: Es gibt sozusagen in der Geschichte der Rapper oder des HipHop eine lange Geschichte solcher Adoptionen. Im Grunde kann man auch mal sagen, dass so viele Migranten heute HipHop machen, hat sehr viel damit zu tun, dass in den Jugendheimen die geradezu dazu aufgefordert werden, das zu tun. Wenn man sich nichts anderes vorstellen kann als dieses "Die Jungs kommen von der Straße". Ist bei Muhabbet auch ganz ähnlich. Der kommt ja aus Köln-Bocklemünd, wo immer geschrieben wird, das ist ein furchtbarer sozialer Brennpunkt. Die WDR-Angestellten, die da täglich die "Lindenstraße" machen, werden vermutlich nicht so denken, aber das ist die Geschichte, die erzählt werden muss, sozialer Brennpunkt. Und das gab es natürlich früher bei den HipHopern auch. Ein Beispiel ist Adé Odukoya von der Band Bantu, Adé Bantu. Das sind halt Leute, die relativ früh von sozusagen der Multikulti-Szene adoptiert worden sind, und sind dann rumgereicht worden auf allen Multikulti-Festen und er tritt heute noch in jedem Multikulti-Zusammenhang auf. Aber das führt auch gleichzeitig dazu, dass sie sozusagen als was anderes wahrgenommen werden, nicht als die Musiker, die auch in der normalen deutschen Musik funktionieren. Und diese Geschichte wurde dann eben tragisch, als "Die Fantastischen Vier" dann plötzlich auftauchten und deutschen Rap gemacht haben und all diese anderen, die in der Multikulti-Szene waren, dann an sich vorbei oder besser gesagt links liegen haben lassen. Die waren dann sozusagen die, die nicht mehr dazugehörten zum deutschen Rap. Und das ist immer das ewige Problem, dieses Aushängeschild-Sein geht nicht einher mit Akzeptanz in der "richtigen Musik".

Balzer: Aber man verliert dann fast die Glaubwürdigkeit, die berühmte Street Credibility, wie es so schön genannt wird.

Terkessidis: Ja, man verliert da einen Teil Glaubwürdigkeit.

Balzer: Gibt es denn überhaupt eine Diskrepanz zwischen, sagen wir mal, der Integrationsoberfläche, also wenn man sich als Musiker wie Muhabbet mit Frank-Walter Steinmeier und seinem französischen Kollegen zeigt in einem Berlin-Kreuzberger Tonstudio, der Songs aufnimmt über Integration, dieser, wenn man so will, Integrationsoberfläche, politischen Oberfläche und dem, was darunter brodelt? Wird die Diskrepanz immer stärker?

Terkessidis: Ja, gut, die Diskrepanz war ja schon immer sehr stark. Es gibt ja ein Gespräch über Migration, das tatsächlich meilenweit davon entfernt ist, was Jugendliche mit Migrationshintergrund täglich erleben. Und insofern ist das auch nichts Neues. Also ich finde auch, dass diese … Wir haben auch schon drüber gesprochen, also dass diese Idee von Integration vergleichsweise weltfremd ist im Vergleich zu dieser Realität. Aber da ist es natürlich so, dass diese Realität besonders von den Jugendlichen ohne Schulabschluss oder den Jugendlichen mit schlechten Schulabschlüssen, die praktisch sehr wenig Perspektive haben, mal irgendwann einen vernünftigen Job zu bekommen, dass deren Realität natürlich deutlich besser von Aggro Berlin und Bushido bedient wird, weil sie da so eine Identifikationsfigur haben, die relativ selbstbewusst vertritt, ja, wir sind nichts wert, also wir sind Hartz IV, wir sind die Ausgeschlossenen der Gesellschaft, anstatt von so einem geleckten Beispiel, das mit Frank-Walter Steinmeier zusammensingt.

Balzer: Heißt das, dass sich eigentlich unter der Oberfläche Migranten eher radikalisieren und dass dadurch auch vielleicht dieser Streit, der jetzt ja entfacht worden ist, sich vielleicht sogar noch eher erklären lässt?

Terkessidis: Nein, das würde ich nicht sagen, dass sie sich radikalisieren. Ich glaube sowieso, dass es sehr schwierig ist, generelle Aussagen über alle Migranten zu treffen. Das glaube ich nicht, dass es diese Radikalisierung gibt. Ich glaube auch, dass Muhabbet sozusagen eine bestimmte Gruppe anspricht, die genau diesen Weg gehen möchte, aber auf der anderen Seite, dass es eine bestimmte Gruppe gibt, die da nicht mitgehen kann, weil sie schlicht und ergreifend nicht die Mittel, Bildung und Perspektive hat. Innerhalb der Migrantenbevölkerung gibt es auch eine ziemliche Spaltung, einfach was Eliten und was andere Gruppen betrifft. Und deswegen kann man so generelle Aussagen, glaube ich, gar nicht treffen.