„Ich denke nie groß über Ästhetik nach“

Von Jörg Taszman |
Am 14. August wird Wim Wenders 60. Aus diesem Anlass würdigt das Filmmuseum in Frankfurt am Main den Regisseur mit einer Ausstellung. Außerdem erhält Wenders in Locarno einen Ehrenleoparden für sein Lebenswerk. Doch Wenders, der für seine großen Bilder bekannt ist, denkt beim Filmemachen nicht groß über Ästhetik nach. Das, was er verinnerlicht habe, komme aus der Malerei, sagt der wohl international bekannteste und erfolgreichste Vertreter des deutschen Autorenkinos.
Mit „Paris Texas“ kam Anfang des Jahres erstmals auch in Deutschland ein großer Film von Wim Wenders auf DVD heraus. Wenders, der von den erfolgreichen deutschen Regisseuren der 1970 er und 80er Jahre immer der visuellste war, feierte mit „Paris Texas“ seinen ersten großen Publikumserfolg. Neben der Goldenen Palme 1984 in Cannes sahen über zwei Millionen Franzosen und über eine Million Deutsche seinen Film.

Der Film ist ein Klassiker des Road Movies: Die Geschichte um Travis, einen gestrandeten Außenseiter, der in der Wüste fast verdurstet, von seinem Bruder aufgelesen wird und sich ganz langsam wieder einlebt, ist wohl bis heute Wenders erfolgreichster und vollkommenster Film. Geschrieben hatte Wenders „Paris Texas“ mit dem amerikanischen Dramatiker und Schauspieler Sam Shepard der nun auch für „Don’t come Knockin“ das Drehbuch verfasste und die Hauptrolle spielte. Shepard mimt Howard, einen abgebrannten Hollywood- und Westernstar, der sich 30 Jahre lang weder um die eigene Mutter kümmerte, noch weiß, dass er zwei Kinder hat. Wenders sieht diese Figur sehr kritisch.

Wenders: „Ich glaube, von diesem Howard verabschieden wir uns gerne, und ich glaub die Freiheit, die der da glaubt ausgelebt zu haben in seinem Leben und die sich als Verantwortungslosigkeit und Gedankenlosigkeit herausstellt. Als ihn seine Tochter dann einmal fragt: Wie hast du dir das eigentlich gedacht? Wie ist diese ganze Zeit vergangen? Da sagt er nur: Ich habe nicht gemerkt, dass sie vergangen ist. Eigentlich hat er sein Leben gedankenlos verplempert.“

Entspannt erzählt Wenders, der während des gesamten Interviews einen Flaschenverschluss aus leichtem Aluminium auseinander nimmt, im Interview Anekdoten über die zwei ganz unterschiedlichen Dreharbeiten mit Sam Shepard. Bei „Paris Texas“ sollte der Amerikaner die Dreharbeiten begleiten und dann gemeinsam mit Wenders den zweiten Teil des Films entwickeln. Weil sich Sam Shepard damals jedoch frisch in die Schauspielerin Jessica Lange verliebte, konnte Wenders wenn überhaupt nur per Telefon mit seinem Ko-Autor kommunizieren.

In „Don’t come knockin“ spielen nun Jessica Lange und Sam Shepard mit, letzterer in einer für ihn ganz ungewohnten Rolle als Anti-Held. Das unterhaltsame Werk – in Cannes mit langem Applaus bedacht – ist sicherlich der sehenswerteste Wenders Film seit Jahren. Auch wenn die Geschichte etwas dünn bleibt, so gelingt es Wender wieder Stimmungen zu evozieren und überzeugende Bilder zu finden. Er hat in den letzten Jahren sehr viel mit Formaten experimentiert, Filme digital auf Video gedreht wie „Land of Plenty“. Wenders, der auch als Fotograf tätig ist, versucht dennoch nicht zuviel zu interpretieren, wenn es um die Ästhetik seiner Bildsprache geht.

Wenders: „Ich denke auch nie groß über Ästhetik nach beim Filmemachen, beim Quadrieren. Ich mache meine Einstellungen immer selbst, ich such das Objektiv aus und weiß, wo ich die Kamera hinstellen will, und weiß, wie das Bild aussehen soll, aber drüber nachdenken, die Bedingungen dieser Ästhetik zu untersuchen, habe ich immer tunlichst vermieden. …Ich weiß, dass ich das, was ich verinnerlicht habe, aus der Malerei kommt und das es viel mit holländischer Landschaftsmalerei zu tun hat, wo ich hingepilgert bin als ich Junge war und dass ich von Paul Klee und Max Beckmann und später auch vom Edward Hopper mehr gelernt habe als aus dem Kino selbst, aber das reicht mir auch. "

Neben seinen frühen Road Movies wie „Alice in den Städten“ oder „Im Laufe der Zeit“, die typisch für Wenders sind, arbeitete er in Filmen wie „Die Angst des Torwarts vorm Elfemeter“ oder „Falsche Bewegung“ auch lange Zeit mit seinem Freund Peter Handke zusammen. Der schrieb auch einige der Monologe in „Himmel über Berlin“.

Aus „Himel über Berlin“: Als das Kind, Kind war, ging es mit hängenden Armen. Wollte der Bach sei ein Fluss, der Fluss sei ein Strom. Und diese Pfütze das Meer. Als das Kind, Kind war, wusste es nicht, dass es Kind war. Alles war ihm beseelt und alle Seelen waren eins.

Wim Wenders bildgewaltige und hoch poetische Hommage an Berlin besitzt auch fast 20 Jahre nach ihrer Entstehung eine ungeheure, auch nostalgische Kraft. Die Schwarz-Weiß-Bilder und klassischen Bildkompositionen der Kameralegende Henri Alekan tauchen die damalige Insel-Stadt in ein ebenso märchenhaftes wie überrealistisches Bild. Der Film entstand eher aus dem Bauch heraus und hatte kein Drehbuch. Die Idee kam Wenders bei Spaziergängen in Berlin, als er viele Engelstatuen entdeckte und durch Gedichte von Rilke, die er damals regelmäßig las. Auf der sehr schön ausgestatteten DVD erzählt Wenders im Interview mit Roger Willemsen, warum er in Himmel über Berlin filmisch etwas ganz Anderes ausprobierte.

Wenders: „Der Film davor, „Paris Texas“ ja eine riesige Bürde für mich war, weil ja alle Welt von mir erwartet hat, jetzt mach noch mal bitte so was. Jetzt haste endlich mal was gerade aus erzählt. Jetzt kannst du das ja und mache das bitte wieder. Das Letzte, was ich machen wollte, war das einzulösen, also so eine gradlinige Geschichte, so schön es gewesen war… jetzt kann der Wenders endlich richtig erzählen, jetzt soll er das doch bitte weiter machen. Das Letzte, was ich gemacht hätte, wäre noch mal so geradeaus erzählen.“

Nach zwei großen Erfolgen hintereinander wagte sich Wenders dann Ende der 80er Jahre an seinen bisher teuersten und ambitioniertesten Film: „Bis ans Ende der Welt“. „Der Film war von Anfang an drei Geschichten“ sagt Wenders im Interview mit Roger Willemsen und fasst damit ganz gut zusammen, warum „Bis ans Ende der Welt“ erst auf der DVD und 14 Jahre nach dem Kinostart in der von Wenders intendierten Fassung erscheinen konnte.

Fast ein Jahr lang drehte Wenders auf vier Kontinenten und in zehn Ländern seine eigenwillige Mischung aus futuristischem Roadmovie, kulturpessimistischer Moralgeschichte und Jam Session. Sechzehn Rockbands und Künstler u.a. U2, REM, Peter Gabriel, Lou Reed, Neneh Cherry und die Talking Heads komponierten je einen Song und schufen einen wirklich herausragenden Soundtrack für das 24-Millionen-Dollar-Werk, das nun auf 279 Minuten auf DVD vorliegt, und damit fast zwei Stunden länger ist als die Kinofassung, die Wenders immer nur verächtlich die „Readers-Digest-Version“ nennt.

Mit „Bis ans Ende der Welt“ hatte sich Wenders eindeutig übernommen, der Film floppte. Auch der zweite Teil von „Himmel über Berlin“, den Wenders nach der Wende im wiedervereinigten Berlin drehte, konnte weder künstlerisch überzeugen noch wurde „In weiter Ferne, so nah“ wie der Film hieß kommerziell ein Erfolg. Nur mit dem Musikfilm „Buena Vista Social Club“ landete Wenders in den letzten Jahren einen großen Hit. Seit über acht Jahren lebt er nun wieder in den USA. Wie deutsch ist er aber dennoch geblieben?

Wenders: „Ich hab ja Forschungsfilme in Deutschland gemacht. Falsche Bewegung fing in Glückstadt an und hörte auf der Zugspitze auf, das war so die Diagonale. „Im Lauf der Zeit“ ging komplett von Bayern bis an die deutsch-deutsche Grenze. Und Himmel über Berlin oder In weiter Ferne so nah, sind ja richtige Ortserkundungen von Berlin. Also ich habe das ja auch gemacht und tue das bestimmt in Zukunft auch wieder. Aber inzwischen muss ich schon zugestehen, kenne ich Amerika bestimmt besser als viele Amerikaner und auch besser als Deutschland. Ich kenne Arizona oder Montana besser als Bayern oder Sachsen. Das gebe ich gerne zu und das muss ich auch mal wieder ändern.“
Wim Wenders und Sam Shepard auf der Pressekonferenz zu "Don't come knocking"
Wim Wenders und Sam Shepard auf der Pressekonferenz zu „Don't come knocking“ in Cannes© AP