"Ich denke, dass die NATO in Libyen einen Fehler gemacht hat"

Muriel Asseburg im Gespräch mit Ute Welty · 04.08.2011
Der Krieg der Opposition gegen den libyschen Herrscher Gaddafi ist nicht entschieden - obwohl die NATO seit Wochen Bombenangriffe fliegt. Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht den Libyen-Einsatz kritisch, wenngleich dadurch ein Massaker an der Zivilbevölkerung zunächst abgewendet werden konnte.
Ute Welty: Gut Ding will Weile haben, sagt der Volksmund. Aber sagt das auch das Volk, zumal ein solches, das sich erhebt, wie in Tunesien, Libyen, Syrien? Wie lange braucht eine Gesellschaft, um sich zu häuten, um überkommene Strukturen abzustreifen? Und wie viel Hilfe von außen ist hilfreich?

Jede Menge Fragen angesichts des arabischen Frühlings, dessen Tage auch schon mal länger waren. Und ein paar Antworten, die erhoffen wir uns heute Morgen hier in Deutschlandradio Kultur von Muriel Asseburg, Forschungsleiterin für den Mittleren Osten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen.

Muriel Asseburg: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Die Euphorie war groß – und allmählich macht sich Ernüchterung breit. Das liest man häufig, das hört man häufig; wo stehen Sie zwischen Euphorie und Ernüchterung?

Asseburg: In der Tat ist es so, dass die Nachrichten der letzten Wochen und Monate schon sehr, sehr viel Ernüchterung gebracht haben, weil die ersten Erfolge der Protestbewegungen in der Region, also das, dass sie es geschafft haben, diese seit Jahrzehnten lang an der Macht sich befindenden Herrscher, Ben Ali in Tunesien und Mubarak in Ägypten, so schnell zu stürzen. Dann hat es eigentlich sehr wenig weitere Fortschritte gegeben in der Region.

Auf der anderen Seite sieht man natürlich, dass jetzt der Umbau in Tunesien und in Ägypten im Gange ist, und dass dieser Umbau jeden Tag weite Fortschritte macht. Wer hätte sich das träumen lassen, dass wir jetzt Hosni Mubarak im Gerichtssaal wiederfinden, angeklagt nicht nur wegen Korruption, sondern eben auch für die Ermordung derjenigen, die während der Proteste umgekommen sind.

Welty: Das war jetzt das Augenmerk gerichtet auf Tunesien und Ägypten. Aber wie sieht es auf der anderen Seite aus in Libyen und in Syrien?

Asseburg: Ja, da sehen wir eben, dass die Herrscher sich nicht so schnell haben von der Macht vertreiben lassen, dass sie im Gegenteil versuchen, mit Waffengewalt weiter an dieser Macht festzuhalten, und dennoch natürlich hier wieder ein Unterschied zwischen Libyen auf der einen und Syrien auf der anderen Seite: Während sich in Libyen relativ schnell in Reaktion auf die Gewalt des Regimes sich auch die Aufständischen bewaffnet haben und es zu einem bewaffneten Machtkampf wirklich gekommen ist – dann eben auch noch mit dem Eingreifen der NATO –, haben wir in Syrien eine nach wie vor im Wesentlichen friedliche Protestbewegung, die allerdings von Seiten des Regimes mit sehr viel Waffengewalt unter Druck gesetzt wird und versucht wird, einzuschüchtern und von ihrem Vorhaben abzubringen.

Welty: In keinem anderen Land greift der Westen so intensiv ein wie in Libyen, sie haben es gerade schon geschildert: Da bombt die NATO seit Monaten – wie es heißt, zum Schutz der Zivilbevölkerung –, was aber die Lage im Land nicht wesentlich verändert. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Asseburg: Ich denke, dass die NATO mit ihrem Engagement in Libyen einen Fehler gemacht hat; das ist so jetzt leicht zu sagen, es war in der Situation natürlich wirklich sehr, sehr schwer, was man tun sollte um Massaker an der Zivil…

Welty: War es auch zu spät?

Asseburg: Auch das ist sehr, sehr schwierig zu beantworten, weil die NATO in sehr, sehr schneller Zeit in der Lage war, in diese Auseinandersetzung einzugreifen. Dennoch hat sie es – und das ist ein erster Erfolg gewesen zu dem Zeitpunkt – tatsächlich geschafft, ein Massaker, das hätte passieren können an der Zivilbevölkerung, zu verhindern. Was ihr nicht gelungen ist, ist tatsächlich eine Entscheidung herbeizuführen zwischen den Konfliktparteien. Und ich denke, der Fehler war, dass man überhaupt versucht hat, hier einzugreifen – also einzugreifen in einen bewaffneten Machtkampf zwischen verschiedenen Gruppierungen in einem Land.

Welty: Heißt das im Umkehrschluss, dass die Staatengemeinschaft sich auch mal zwingen muss, zuzuschauen?

Asseburg: Das ist eine sehr schwierige Frage. Und letztlich ist diese Frage, oder stellt sich diese Frage immer, wenn wir über dieses Prinzip der Schutzverantwortung reden, weil es ja nicht nur um den Schutz von Zivilisten zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt gehen kann, sondern man muss natürlich entscheiden: Wird der Eingriff dazu führen, dass der Schutz der Zivilbevölkerung auch mittel- und langfristig gewährleistet werden kann? Oder kann es dazu führen, dass man durch die Intervention einen bewaffneten Konflikt eher noch weiter anheizt?

Welty: Und wie viel westliches Wunschdenken schwingt in all diesen Überlegungen mit?

Asseburg: Meiner Ansicht nach schwingen da vor allem Interessen von verschiedenen Partnern in der NATO und auch Interessen von Partnern außerhalb der NATO mit, die dazu geführt haben, dass dieser Eingriff stattgefunden hat, weniger Wunschdenken.

Welty: Das heißt, es geht in der Regel noch nicht einmal um die Revolution an sich?

Asseburg: Nein, es ging um ganz bestimmte Interessen, die die Staaten, die sehr stark im Ölsektor in Libyen engagiert sind, haben, es ging um innenpolitische Interessen in einigen der intervenierenden Staaten – und es ging auch bei den arabischen Staaten, die ja dieser Intervention den Weg freigemacht haben, darum, einen sehr verhassten Herrscher nun endlich loszuwerden.

Welty: Wenn es um westliche Interessen geht, geht es dann auch um westliche Ungeduld? Oder lässt es sich überhaupt nicht in Tagen, Monaten oder Jahren ausdrücken, wie lange es braucht, um eine Revolution oder eine Reform dieses Ausmaßes zu vollziehen?

Asseburg: Wenn wir jetzt mal wegschauen von dem bewaffneten Konflikt und tatsächlich auf die sehr schwierigen Transformationsprozesse, die sich in Tunesien und in Ägypten abspielen, dann sehen wir in der Tat: Wir reden hier nicht von Tagen, Wochen, Monaten, wir werden von Jahren und Jahrzehnten reden, die es braucht, damit man nicht nur das Führungspersonal austauscht, was ja passiert ist, sondern dann auch tatsächlich einen Regimewechsel herstellt – also, dass man ein völlig neues politisches System etabliert, was wesentlich offener, was wesentlich repräsentativer und was wesentlich inklusiver ist als das, was wir bislang in diesen Ländern gesehen haben.

Welty: Ist das der Grund, warum Sie auch den arabischen Frühling als historisch bezeichnen und ihn vergleichen in seiner Dimension mit dem Fall der Berliner Mauer, von der eben hier in Deutschlandradio Kultur schon die Rede war. Was macht Sie denn so sicher, dass dieser Prozess unumkehrbar ist?

Asseburg: Ich denke, es gibt einen Moment daran, der unumkehrbar ist. Und das ist das, dass die Bevölkerungen gemerkt haben: Es kann funktionieren, man kann auch den autoritärsten Herrscher stürzen. Und sie werden jetzt auch sehen, es muss aber nicht zwingend gut ausgehen.

Das heißt, unumkehrbar ist das, dass die Bevölkerung gemerkt hat, sie hat Macht, dass sie tatsächlich – die Massen, die Straße – gemerkt hat, sie können Politik mitbestimmen und sie müssen sich nicht mehr länger alles gefallen lassen. Sie müssen sich diese Repression, die Folter, die Polizeiwillkür nicht mehr gefallen lassen. Das ist aber eben nur der eine Schritt. Was überhaupt nicht garantiert ist, ist, dass diese Bewegungen letztlich auch das bewirken können, was sie sich vorgestellt haben: Nämlich diese freieren, diese erfolgreicheren Systeme letztlich hinterher zu haben.

Welty: Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Ich danke fürs Gespräch, und einen guten Tag noch!

Asseburg: Ja, danke!


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