"Ich brauche Landschaft wie Brot"

Von Yvonne Weindel |
Der Leipziger Künstler Wolfgang Mattheuer war gewiss kein Sonntagsmaler, kein Romantiker, sondern ein Realist durch und durch. In diesem Jahr wäre er 80 geworden. Die einen rühmen ihn als Urvater der Leipziger Schule, die anderen sehen in ihm den politischen Maler, der 40 Jahre DDR- Regime wie kein anderer kritisch beleuchtete. Erstmals zeigt das Leipziger Museum der Bildenden Künste die Landschaftsmomente Mattheuers. Wenn es ihm in Leipzig zu stickig wurde, hat seine Frau die Koffer gepackt und sie sind raus in die Natur. "Ich brauche Landschaft wie Brot", so erinnert sich Ursula, die Witwe Mattheuers, an die stärkste Sehnsucht ihres Mannes.
In der großen, mit dicker brauner Farbe bestrichen Eichentür steht Ursula Mattheuer-Neustädt. Eine zarte Frau, hinter der sich eine riesenhafte Wohnung auftut: Mit Atelier und Wohnstube, mit Bildermagazinen und unzähligen Schreibtischen. Das Leben und die Arbeit des Künstlerehepaars Mattheuer-Neustädt könnte kein schöneres Museum haben als ihre langjährige Wohnung in Leipzig. Im Erker bei Tee und Gebäck erinnert sich die Witwe Mattheuers an ihre große Liebe: einen der wichtigsten Vertreter der ostdeutschen Malerei.

"Er meinte, man muss irgendwo Wurzeln haben. Die Heimat findet man nicht überall. Man hat eine Heimat, oder man gibt sie auf. Das war auch der Ausgangspunkt natürlich für die Eroberung der Welt."

1974 kaufte die Hamburger Kunsthalle ein erstes Bild von Mattheuer, 1977 war er auf der documenta 6 vertreten. Ausstellungen in New York, in Mexiko, in der gesamten BRD folgten und führten die Mattheuers vielfach in den Westen. Dennoch sind sie immer wieder zurückgekehrt, jede Reise endete in der Heimat. Auch das verhasste und viel kritisierte System der DDR konnte Mattheuers von diesem Land nicht trennen.

Ursula Mattheuer-Neustädt: "Der Ausdruck DDR-Maler war ihm zuwider, denn was soll DDR-Kunst, was soll der Ausdruck überhaupt, das ist deutsche Kunst, und die ist entstanden in den Jahren der DDR, während die andere eben in den Jahren der BRD, also in den Jahren der Teilung, entstanden ist."

Wolfgang Mattheuer war unbequem - für sich und andere. Das zeigt auch seine Kunst. 1927 in Reichenbach im Vogtland geboren, hat er als junger Mann an einen verheißungsvollen Sozialismus geglaubt. Ein guter gerechter Traum war er ihm gewesen, dessen vergiftete Realität Mattheuer bald erkannte. Doch er ist nicht geflohen, er hat seinen Protest gemalt, mit starken Symbolen - mit einer Landschaft, die er liebte.

Ursula Mattheuer-Neustädt: "Die Landschaft war für ihn die Natur und natürlich war in der Natur auch immer der Ruhepunkt gewesen, den er fand und der ihn ablenkte und befriedigte. Und in dem er auch seine schönsten und berührendsten Erlebnisse hatte. Aber man sieht ja die Natur nicht nur mit den Augen des Verliebten, will ich mal sagen, oder des Romantikers, sondern die Wunden wurden auch gesehen."

Werner Schmidt: "Es ist nicht die Postkartenlandschaft, nicht die Urlaubsgrüße aus dem Vogtland. Da raucht ein Schornstein, da ist mal heftiger Verkehr, da ist eine wild abgekippte Müllhalde am Straßenrand - aber letztendlich bleibt ein versöhnender Himmel über diesen Landschaften."

90 Landschaftsbilder hat Dr. Werner Schmidt, Direktor und Mit-Kurator, ins Leipziger Bildermuseum geholt, auch aus der heimeligen Wohnung der Mattheuers. An den kargen Museumswänden entfalten sie einen anderen Charme, wirken ernster und zeigen auf eigenwillige Art den immergleichen Blick.

Werner Schmidt: "Das geht bei mir soweit, wenn ich Richtung Süden unterwegs bin, das Hermsdorfer Kreuz passiert habe, die ersten Schilder auf Hof hinweisen, sehe ich "mattheuerische" Landschaft um mich."

Das sind sanfte Ackerlandhügel, die sich zu weiten Horizonten öffnen. Es ist eine bescheidene, unaufregende Landschaft. Ein enger Blick in der einbetonierten DDR-Wirklichkeit. Doch diese Provinzialität ist kein Makel, sondern ein Segen für die Kunst Mattheuers. Er hat das scheinbar Bildunwürdige, das Banale nicht übersehen.

Werner Schmidt: "Ich glaube, das hat Wolfgang Mattheuer immer wieder herausgefordert, den Alltag, die alltägliche Umgebung, die festen Blickschneisen immer wieder zu zeichnen und zu malen, auch auf dem Weg der Selbstvergewisserung."

Wolfgang Mattheuer hat sich wahrlich gefunden, in seinen Landschaften, mal düster im Mondlicht, mal frischgrün im Garten. Doch es sind die Augen eines Zweiflers, die über Felder, Bäume, Straßen und Tagebauten blicken. In der Schönheit findet sich immer auch die Hässlichkeit. Frisch gepflügte Herbstfelder sind durchbrochen von Silos und der nahen Stadt. Saftige Sommerwiesen werden geschnitten von Autobahn und Plattenbauten.

Mattheuer hat mit altmeisterlicher Manier moderne Naturräume gemalt. Aus schiefen Perspektiven, mit fast schreienden Farben. Jede "Mattheueridylle" besitzt einen verstörender Beigeschmack. Wie ein Bazillus, der im Bild sitzt, versteckt und doch spürbar, kann die Schönheit jeden Moment kippen.

Werner Schmidt: "Ich behaupte, diese Bilder, die lassen sich weiterhin kunsthistorisch entschlüsseln, aber es rückt eine Generation nach, die eben nicht diese widerspruchsvollen Erfahrungen gemacht hat, das war auch der Grund, dass wir diesmal gesagt haben, nicht wieder den verklausulierten Mattheuer, sondern wir rücken ihn mal als den echten Privatier ins Bild, der mit Palette, Keilrahmen, Leinwand und Staffelei durch die Landschaft zieht und sich in diesem Refugium wieder selbst aufbaut."

Die Vielzahl an scheinbar immer gleichen Motiven kann anfangs auch den geduldigsten Blick ermüden. Dennoch ist die Leipziger Ausstellung zu genießen, denn wer sich auf das wenig Spektakuläre einlässt, findet darin viel Verborgenes: Abend, Hügel, Wälder, Liebe - wie Mattheuer eins seiner schönsten Landschaftsbilder titulierte.

Service:
"Landschaftsbilder - Sehnsuchtsbilder - der andere Mattheuer" - Ausstellung mit Landschaftsbildern Wolfgang Mattheuers im Museum der bildenden Künste Leipzig, 15. Juli bis 14. Oktober 2007