"Ich bin zu einem präzisen Gewissen erzogen worden"

Von Ulrike Rückert · 25.03.2009
Niemand weiß, wie viele Juden in Deutschland untertauchten, um der Verfolgung durch Hitlers Schergen zu entgehen und in Verstecken überlebten. Historiker schätzen, dass etwa 10.000 in den Untergrund gingen, die Hälfte davon in Berlin. Notwendig waren Menschen, die beim Überleben halfen - eine schillernde Gestalt unter den Helfern war Maria von Maltzan.
"Ich bin zu einem präzisen Gewissen erzogen worden. Nicht nur von meinem Vater, auch von meinem ältesten Schwager, der ein Mann war, der wusste, was ein Gewissen ist."

Maria Gräfin von Maltzan kommt am 25. März 1909 auf Schloss Militsch in Schlesien zur Welt. Sie ist das Lieblingskind des Vaters, den sie früh verliert. Gegen den Widerstand der Mutter erkämpft sie sich Abitur und Studium. Anfang der 30er-Jahre lebt sie in München, in Hitlers "Hauptstadt der Bewegung".

"Ich hatte sehr früh gelernt, Bücher zu lesen und die eventuell auch zu verstehen. Und "Mein Kampf" habe ich in der Erstausgabe gelesen. Dieses ganze Buch entsetzte mich von A bis Z, denn im Grunde genommen hat er ja nach seinem Buch gelebt."

1933 promoviert Maria von Maltzan, und weil sie als Biologin keine Stelle findet, arbeitet sie für das katholische Wochenblatt "Weltguck".

"In München war ich ja denn schon ganz schön politisch aktiv."

Der Jesuitenpater Friedrich Muckermann will im Ausland publik machen, was in Deutschland vor sich geht. Maria von Maltzan benutzt dafür den "Weltguck", der in Innsbruck gedruckt wird: Mit den Druckvorlagen schmuggelt sie verschlüsselte Meldungen hinaus. 1935 heiratet die Gräfin den Kabarettisten Walter Hillbring.

"Die Ehe war nicht von langer Dauer. Bin nach Berlin. Und ich blieb in Berlin."

Gewandt bewegt sich Maria von Maltzan zwischen Aristokraten, Künstlern und Kommunisten. Die "Löwin von Berlin" nennt sie Erik Myrgren, Pastor der schwedischen Kirchengemeinde in Berlin:

"Sie war sehr temperamentvoll, machte Judo, schwamm und ritt wie ein Mann. Wenn es nötig war, konnte sie auch mit einer Pistole umgehen."

Sie verteilt kommunistische Flugblätter, befreit in gestohlener Uniform Gefangene aus der Gestapo-Haft und entlockt Parteifunktionären Informationen.

"Ich soff die sowieso untern Tisch, denn wir hatten hinter der Bar einen, der zu unsern Freunden gehörte, und ich kriegte, wenn die ihren Himbeergeist kriegten, meist ein Gläschen Wasser, da kann man's ja sehr lange durchhalten."

Maria von Maltzan gehört zu den Fluchthelfern um die Diplomatenwitwe Hanna Solf. Einmal bringt sie eine Jüdin schwimmend über den Bodensee in die Schweiz. Erik Myrgren, der Pastor der schwedischen Kirchengemeinde, versteckt Juden in Güterzügen nach Stockholm.

"Sie schmuggelte sie durch die städtische Kanalisation aus der Stadt heraus."

Als ihrem jüdischen Geliebten und späteren Mann Hans Hirschel die Deportation droht, versteckt sie ihn bei sich.

"Das wäre ja sehr schön gegangen. Aber dann kam ein Freund von ihm, dann kam der nächste. Da waren es schon drei Personen. Die konnten ja nicht mal auf'n Klo gehen und ziehen, die mussten ja ganz sanft 'nen Eimer Wasser nachgießen, damit's nicht die andern Wohnungen hörten, dass da Leute waren, denn ich war ja zwölf bis dreizehn Stunden außer Hauses."

Maria von Maltzan studiert nun Tiermedizin, und sie muss drei Erwachsene ernähren, die keine Lebensmittelkarten haben - oft auch noch mehr.

"Wie es so ist, dann kam der und dann kam jener. Und dann war ich so ein Übernachtungsloch. Es kamen abends Leute, sagten: Können wir zwei Tage hier übernachten. Dann blieben die da."

Als die Gestapo jüdische Fahnder einsetzt, kommt es beinahe zur Katastrophe, wie Hans Hirschel berichtet:

"Im Oktober 1943 wurde meine Frau denunziert. Wenige Tage später kam auch schon die Gestapo. Durch ein geschicktes Ablenkungsmanöver meiner Frau gelang es ihr, die Beamten einige Augenblicke aufzuhalten, so dass ich in den Bettkasten meiner Couch hineinkriechen konnte. Vier Stunden dauerte die Haussuchung. Wie mir meine Frau später erzählte, war der berüchtigte jüdische Gestapo-Agent Isaacsohn bei dieser Aktion zugegen."

Maria von Maltzan versteckt Juden, politisch Verfolgte und Deserteure. Hans Hirschel schätzt ...

" ... dass ihr und ihrem Einsatz allein sechzig Menschen ihr Leben verdanken."

Als der Krieg zu Ende ist, liegt auch ihr eigenes Leben in Trümmern. Anstrengung und Druck haben Maria von Maltzan medikamentensüchtig gemacht. Die Ehe mit Hans Hirschel zerbricht. Die Spirale dreht sich abwärts: Entziehungen, Rückfälle, Verlust der Zulassung als Tierärztin, Sozialhilfe. Zäh erobert sie sich ihr Leben zurück: eine eigene Praxis, eine zweite Ehe mit Hans Hirschel. Sie schreibt ihre Autobiografie, ihre Geschichte wird verfilmt. Die Gedenkstätte Yad Vashem ehrt sie als "Gerechte unter den Völkern". 1997 stirbt sie, achtundachtzig Jahre alt. Dass sie die Menschen, die sie gerettet hatte, nicht wiedersah, verstand sie:

"Erstmal tu' ich etwas, weil ich es für richtig halte. Und zweitens Mal: Ich kann mir vorstellen, wenn Leute sozusagen am Rande des Holocaust durchkommen, und rauskommen, da fällt wahrscheinlich ein Vorhang. Sie wollen nichts mehr von den Zeiten wissen. Und das respektier' ich."