"Ich bin völlig fassungslos"

Wolfgang Benz im Gespräch mit Joachim Scholl · 05.12.2008
Der Historiker Wolfgang Benz hat vor einer pauschalen Stigmatisierung von Muslimen gewarnt. Als Forscher müsse man dabei fragen dürfen, ob der Mechanismus dieser Vorurteile dem des Antisemitismus ähnele. Das wiederum brachte ihm Kritik ein, er trivialisiere den Holocaust. Benz weist den Vorwurf entschieden zurück.
Joachim Scholl: Dass Juden zum Feindbild gemacht wurden und werden, dazu genügt ein Blick in die Geschichte. Und es gibt auch in der Gegenwart zahlreiche Beispiele für diese Form des Antisemitismus. Seitdem sich der internationale Terrorismus vermehrt als eine Art Gotteskriegertum drapiert, hat sich ein zweites Feindbild herausgebildet, das Feindbild Muslim.

Das ist der Ausgangspunkt, die These einer wissenschaftlichen Konferenz, die am Montag in Berlin tagt. Veranstalter ist das Zentrum für Antisemitismusforschung. Sein Leiter ist Wolfgang Benz. Ich grüße Sie, guten Morgen.

Wolfgang Benz: Guten Morgen.

Scholl: Worin besteht für Sie, Herr Benz, das Feindbild Muslim? Wo machen Sie es aus?

Benz: Ich mache es im Alltag, in der Presse aus, zuletzt anlässlich des Auftriebes in Köln, als Islamfeinde Arm in Arm mit Neonazis aus ganz Europa gegen einen Moscheebau zu protestieren versuchten.

Scholl: Das allerdings kläglich gescheitert ist. Und weil Sie sagen, die Presse, die Presse hat das doch aber, glaube ich, sehr kritisch begleitet, oder?

Benz: Die Presse hat diesen Anlass sehr kritisch begleitet, aber es gibt seit einiger Zeit, wenn man Medien genau betrachtet, gibt es einen Unterton. Und genau das ist das, wogegen wir uns mit den Mitteln der Wissenschaft fragend aufstellen, einen Unterton, ob denn nicht alle Muslime, ob denn nicht die islamische Religion, allen Muslimen gebiete, gegen Ungläubige, gegen westliche Demokratie von Grund auf feindselig zu sein.

Dass die Unterscheidung zwischen verabscheuungswertem Islamismus, zwischen religiös argumentierenden Fanatikern, die zum Heiligen Krieg gegen den Westen aufrufen und der Zivilgesellschaft, dass diese Grenzen verwischt werden sollen, das interessiert uns.

Scholl: Antiislamische Ressentiments, Islamfeindlichkeit, Islamophobie, das ist die Begriffskette, die Sie im Vorwort des jüngst veröffentlichten neuen Jahrbuches Ihres Zentrums knüpfen. Es wird auch Grundlage für Ihre Konferenz sein. Wo legen Sie, Wolfgang Benz, jetzt die konkreten Parallelen zum Antisemitismus?

Benz: Es gibt nur strukturelle Parallelen instrumenteller Art. Es ist keine Rede davon, dass jetzt Islamfeindlichkeit das Gleiche wäre oder gleiches Gewicht hätte wie Antisemitismus. Aber es fällt auf der Mechanismus, man definiert die Minderheit, man sucht sich in den kulturellen oder religiösen Traditionen der Minderheit Argumente. Das war über Jahrhunderte zurückreichend, das muss ich nicht erklären, beim Antisemitismus der Fall und damit argumentieren Rechtsextreme heute noch.

Die Juden hätten eine besondere Religion, sie seien das auserwählte Volk, und diese Religion gebiete ihnen gegen Nichtjuden feindselig zu sein oder erlaube ihnen, sie zu betrügen. Und wenn ich jetzt von selbst ernannten Islamwissenschaftlern, um nur einen Namen zu nennen, der in dieser Debatte fällt, Raddatz, der beim breiten Publikum einen gewissen Erfolg hat, in seiner Zunft aber nicht ernst genommen wird, der macht genau dasselbe. Der beweist mit Koranstudium, dass der Muslim, weil ihm seine Religion das gebietet, eigentlich sich hässlich verhalten muss oder die Macht ergreifen muss über die Nicht-Muslime.

Scholl: Aber, Wolfgang Benz, in einer solchen Debattelage und in solchen Zeiten sind natürlich die extremen Stimmen immer die lautesten. Sie schreiben von einer pauschalen Stigmatisierung des Islam in den Medien, in den Wissenschaften, bei Politikern ist Ihnen das aufgefallen. Wenn man aber die Debatten und Diskurse der letzten Jahre überschaut, fällt doch auch auf, dass eigentlich in jedem Artikel, in jedem Vortrag, bei jeder Diskussion gleich zu Beginn stets gesagt wird: "Wir wollen nicht pauschal stigmatisieren, wenn wir vom islamistischen Terror sprechen, meinen wir die Gesamtheit der Muslime. Der Islam ist per se friedlich, der Koran ist kein Hassbuch. Es wird nur von Fanatikern dazu gemacht." Sie, Wolfgang Benz, haben offenbar völlig andere Töne vernommen?

Benz: Nein. Natürlich. Und meine Mitarbeiter, die sich jetzt etwa viel Mühe gegeben haben und das Internet des letzten halben Jahres, was da im Internet dargeboten wird, das ist ein großer Aufsatz im Jahrbuch, und das wird am Montag auch verhandelt, die sind zu anderen Ergebnissen gekommen. Da wird keineswegs so unterschieden oder es ist der verbale Einstieg, genauso wie das natürlich gerne Neonazis machen, die verabschieden sich erst mit Abscheu von den Verbrechen des Nationalsozialismus, um dann zu sagen, ja, aber doch.

Scholl: Sind Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, ja, gibt es hier Parallelen? Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist Wolfgang Benz, Leiter am Zentrum für Antisemitismusforschung Berlin. Wolfgang Benz, als Intellektueller wissen Sie immer, wie heikel historische Vergleiche sind, selbst wenn man sie gar nicht richtig anstellen möchte.

Parallelisierungen haben immer irgendwie Pferdefüße, gerade wenn es um Xenophobie, Völker-, Rassenhass geht. Der Politologe Matthias Küntzel hat Ihnen jetzt im Vorfeld der Konferenz bittere Vorwürfe gemacht, dass Sie mit diesem Vergleich einerseits den Holocaust trivialisieren, andererseits islamistischen Terror ignorieren würden. Was antworten Sie darauf?

Benz: Ja, ich bin völlig fassungslos, wie man auf die Idee kommen könnte, dass man, wenn man auf ein gesellschaftliches Problem als Vorurteilsforscher aufmerksam macht, dass das etwas mit Trivialisierung des Holocaust zu tun haben könnte. Dass man ausgerechnet mir Trivialisierung des Holocaust vorwirft, ist da noch eine besonders freundliche Note. Aber da soll ich absichtlich missverstanden werden.

Es geht auch nicht darum zu sagen, Islamophobie oder Feindschaft gegen den Islam, wie immer man das nennen will, ist dasselbe wie Antisemitismus. Und es heißt nicht, dass man deshalb Empathieentzug gegenüber der jüdischen Sache betreiben würde, wenn man auf das Wachsen eines bestimmten Vorurteils öffentlich aufmerksam macht.

Scholl: Nehmen wir doch mal ein Beispiel. Der Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen, Wolfgang Benz, es gab etliche Stimmen, die sich damals dagegen ausgesprochen haben im Sinne von "hier werden religiöse Gefühle verunglimpft" und "es ist skandalös, dass diese Bilder veröffentlicht wurden". Aber es gab andere, die pochten auf das demokratische Recht der Meinungsfreiheit. In einer offenen Gesellschaft muss man auch Witze über Religionen machen dürfen. Nach Ihrer Lesart, wenn ich das verkürze, wäre diese Meinung ja klar islamfeindlich. So einfach kann und darf man es sich doch nicht machen?

Benz: Na ja, gut, aber so einfach mache ich es mir auch nicht, und das muss man mir ja nun wirklich nicht unterstellen. Ich beziehe hier auch keine Position in so vordergründigen Kampagnen, in einer manichäischen Weltsicht zu sagen: "Entweder-oder, wenn du nicht meiner Meinung bist, dann musst den Schädel eingeschlagen kriegen", wie es nur bei den derzeitigen Attacken im Vorfeld einer Erörterung der Fall ist.

Als Vorurteilsforscher muss ich doch die Chance nutzen, wenn ich mich nun mit diesem Institut seit Jahr und Tag mit dem ältesten und folgenreichsten, historischen, politischen, kulturellen Vorurteil, nämlich dem gegen die Juden beschäftige, daraus auch etwas zu lernen, ob nicht mit demselben Mechanismus auch gegenüber anderen Minderheiten, gegenüber anderen Gruppen Unheil gestiftet werden kann.

Scholl: Wenn denn nun diese Parallelisierung wirklich triftig ist, Herr Benz, was wäre denn die Erkenntnis daraus? Welches Verständnis ließe sich draus gewinnen?

Benz: Daraus lässt sich das Verständnis gewinnen, dass der Mechanismus in einem hohen Grade gefährlich sein kann. Ich definiere von der Mehrheit. Es geht mir immer um das Denken der Mehrheit. Ich definiere von der Mehrheit aus eine bestimmte Gruppe, stigmatisiere sie dann, dann kann ich sie ausgrenzen mit allen weiteren Erfolgen.

Scholl: Feindbild Muslim, Feindbild Jude. Darüber wird ab kommendem Montag in Berlin diskutiert, am kommenden Montag, am Zentrum für Antisemitismusforschung. Sein Leiter ist Wolfgang Benz. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch, Herr Benz.