"Ich bin nicht auf Jobsuche"

Moderation: Frank Capellan |
Angesichts der schlechten Umfragewerte seiner Partei hat Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit die SPD dazu aufgefordert, sich innerhalb der Großen Koalition deutlicher zu positionieren und am eigenen Programm zu arbeiten. Entscheidend sei das eigene Selbstbewusstsein, sagte Wowereit.
Frank Capellan: Besonders gut stehen die Sozialdemokraten in der Wählergunst nicht gerade da. Und auch was das Spitzenpersonal angeht, gibt es bei den Genossen einige Probleme: Parteichef Kurt Beck wird nur von 17 Prozent der befragten Bürger zugetraut, Kanzlerin Angela Merkel bei der nächsten Bundestagswahl erfolgreich herausfordern zu können.

Der Rheinland-Pfälzer selbst gilt als bescheidener Mensch. Er ist keiner, der wie einst Gerhard Schröder mit aller Macht ins Kanzleramt möchte. Wer die besten Chancen hat, Angela Merkel zu beerben, der wird Kanzlerkandidat. Das hat Kurt Beck erst am vergangenen Wochenende wieder betont. Und da leuchtet bei den Sozialdemokraten ein neuer Stern, der sich die Spitze der Beliebtheitsskala mit Bundesaußenminister Steinmeier teilt, nämlich Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, heute zu Gast im Studio von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen.

Klaus Wowereit: Guten Morgen.

Capellan: Herr Wowereit, sitze ich einem potenziellen Kanzlerkandidaten gegenüber?

Wowereit: Das wäre mir nicht bekannt. Ich bin Regierender Bürgermeister von Berlin, und bin nicht auf Jobsuche. Wir haben in Berlin viel zu tun. Aber es ehrt mich, dass man genannt wird, das war ganz schön, ist gut für die eigene Eitelkeit, aber keine Realität. Kurt Beck ist unser Parteivorsitzender und der geborene Kanzlerkandidat.

Capellan: Aber es kann doch eigentlich kein Zufall sein, dass der Berliner SPD-Landeschef Michael Müller jetzt sagt, wir wollen eigentlich Klaus Wowereit, der kann das, der kann alles auf bundespolitischer Ebene machen.

Wowereit: Es ehrt mich, dass er mir diese Kompetenz zutraut. Nur so hat er es auch gemeint. Wir arbeiten gut in Berlin zusammen und wollen das auch fortsetzen.

Capellan: Sie regieren mit den Linken, Sie warnen davor, ein Bündnis mit der Linken auszuschließen. Halten Sie das für falsch, sich so festzulegen, wie es Fraktionschef Peter Struck getan hat, der gesagt hat, 2009 nicht und 2013 auch nicht?

Wowereit: Ich bin da jemand, der sagt, man muss sich nicht Tabus unnötig aufbauen. Sondern jeder Landesverband wird selber entscheiden, mit wem er bündnisfähig sein kann. Ich hab auch deutlich gemacht, ich kann mir nicht vorstellen, wenn man da die Programmatik kennt, man kennt die Personen, die 2009 auf der Bundesebene sein werden: Sowohl mit Oskar Lafontaine, wie auch mit der Programmatik der Linkspartei, wie sie zurzeit ist, wird eine Bündnisfähigkeit überhaupt gar nicht da sein. Das ist völlig unumstritten in der Partei. Ob das 2013 noch der Fall sein wird, das kann ich heute nicht beurteilen.

Capellan: Also ist es ein Fehler, sich jetzt schon so festzulegen, zu sagen, 2013 können wir auch nicht mit den Linken?

Wowereit: Es gibt gar keine Notwendigkeit, heute für alle Zeiten irgend etwas auszuschließen. Vor allen Dingen bringt es überhaupt gar nichts, eine Partei, die links von der Mitte sich jetzt etabliert hat, einfach zu ignorieren. Worum es mir geht, ist, dass die SPD programmatisch sich so positioniert, dass die Wählerinnen und Wähler, die ja teilweise aus Enttäuschung der SPD den Rücken gekehrt haben, wieder zur SPD zurückkehren. Da hilft es nichts, einen anderen zu verteufeln. Sondern es hilft nur, sich selbst zu positionieren und an einer eigenen Programmatik zu arbeiten.

Capellan: Sie regieren ja mit den Linken. Sie haben mit Gregor Gysi zusammengearbeitet. Warum soll das anderswo nicht funktionieren?

Wowereit: Ich hab aber auch die Erfahrung in einer Großen Koalition. Also wir haben ja beides. Und entscheidend ist immer, dass man ein eigenes Selbstbewusstsein hat, dass man seine eigene Stärke hervorhebt und weiter daran arbeitet, dass man stark bleibt oder stark wird. Deshalb, eine Debatte über Bündnisse ist gar nicht notwendig zurzeit, sondern, wie gesagt, wie stehen wir programmatisch da?

Da haben wir die Chance auf dem Hamburger Bundesparteitag mit dem neuen Grundsatzprogramm uns zu positionieren, auch deutlich zu machen jenseits der Regierungspolitik, wo liegt die Stärke der SPD? Die liegt für mich eindeutig, und zwar in allen Politikfeldern, in dem Bereich der sozialen Gerechtigkeit. Das ist ein zentrales Thema.

Capellan: Muss die SPD auch wieder verstärkt Gewerkschaftspartei werden, um auch auf dem Feld nicht der Linken den Vorrang zu geben?

Wowereit: Wir müssen nicht Gewerkschaftspartei werden, wir haben die gleichen Wurzeln aus der Arbeiterbewegung heraus. Aber eins ist ganz klar: Wir müssen auch an einem zunehmenden Reichtum in unserer Gesellschaft, den es ja durchaus gibt, auch gerade in Zeiten, wo die Konjunktur wieder besser läuft, sicherstellen, dass da nicht nur wenige von dem Mehr profitieren, sondern dass breite Bevölkerungskreise auch etwas davon abhaben.

Und da sind wir uns mit den Gewerkschaften einig, sowohl in Tarif- und Lohnforderungen, wie auch bei der Frage Investivlohn, ob nicht auch in der Vermögensbildung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwas gemacht werden muss, um eine Gerechtigkeit im Arbeitsleben …

Capellan: Warum muss die SPD da erst getrieben werden vom Erfolg der Linkspartei? Zum Beispiel beim Mindestlohn. Dass man zugeht auf die Gewerkschaften und auch auf die Anhänger der Linkspartei.

Wowereit: Beim Thema Mindestlohn hat es genauso starke Debatten gegeben, wie innerhalb der SPD. Reichen die vorhandenen Mechanismen aus, um so etwas wie einen Mindestlohn zu erreichen, nämlich über die Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien, also der Unternehmerverbände plus der Gewerkschaften?

Es hat lange gebraucht, bis so auch ein Gewerkschaftsführer einer so großen Gewerkschaft wie ver.di, Herr Bsirske, öffentlich gesagt hat, unsere Kraft reicht dazu nicht mehr aus. Und deshalb hat es dort einen Diskussionsprozess gegeben, der heute dazu führt, dass sowohl Gewerkschaften wie auch die SPD sagt, wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn. Weil man es heute gar keinem mehr erklären kann, dass jemand, der den ganzen Tag arbeiten geht, sich seinen Buckel krumm macht, nach Hause kommt und für sich und seine Familie am nächsten Tag zum Sozialamt gehen muss, um ergänzende Sozialhilfe zu beantragen, weil es nicht mehr ausreicht.

Das ist ein Sprengstoff in unserer Gesellschaft, in unserer reichen Gesellschaft. Und das hat gar nichts mit Links und Rechts zu tun oder mit Konservativen oder mit Progressiv, sondern das geht ja weit in die Klientel der CDU hinein, oder in Kirchenkreisen, die sagen, nein, das ist nicht mehr gerecht.

Und wenn das die Gewerkschaften mit den Unternehmerverbänden nicht mit hinbekommen, dann muss der Staat da rein, dann muss da ein vernünftiger Mindestlohn für alle beschaffen werden und der muss dann auch eine Summe haben. Und die kann ja nicht unter der Sozialhilfe sein, sonst würde auch wieder eine Gerechtigkeitslücke entstehen.

Capellan: Der deutsche Gewerkschaftsbund warnte gestern davor, den deutschen Arbeitsmarkt vorzeitig für Fachkräfte aus Osteuropa zu öffnen. Als Berliner wissen Sie eigentlich, wie wichtig solche Kräfte neben den Billigarbeitskräften auch für die Wirtschaft hierzulande sind. Welche Position vertreten Sie da?

Wowereit: Ja, das ist das klassische Spannungsfeld. Wir haben eine hohe Arbeitslosigkeit. Da fasst man sich natürlich am Kopf, wenn man sagt, jetzt müssen wir noch mehr reinholen, wenn diejenigen die da sind und qualifiziert sind, nicht einen Job bekommen. Deshalb muss man vorsichtig damit umgehen. Weil wir müssen eine Perspektive bieten für die Arbeitslosen, die da sind. Denen kann man nicht die vorhandenen Jobs wieder wegnehmen ohne weiteres.

Trotzdem wissen wir, wir sind als Bundesrepublik Deutschland auf Zuwanderung angewiesen, wir brauchen Arbeitskräfte auch aus dem Ausland. Und wir haben auch gemerkt, gerade in Berlin, wo man anfangs bei der EU-Erweiterung dachte, jetzt werden alle polnischen Arbeitskräfte unseren Arbeitsmarkt hier überschwemmen, ist gar nicht der Fall.

Capellan: Wir brauchen die Arbeitskräfte jetzt schon.

Wowereit: Wir haben Branchen, wie wir auch aufgrund des Marktes keine genügenden qualifizierten Angebote haben. Da gibt es zwei Wege: Wir müssen selber nachqualifizieren. Das wird eine Aufgabe sein, dass auch Menschen umgeschult werden in die Bedarfsberufe hinein. Das ist das Eine.

Und zum Anderen sage ich, wir müssen auch sehen, dass wir uns öffnen. Wir bilden beispielsweise viele ausländische Studenten aus mit den deutschen Steuergeldern. Und nachdem sie erfolgreich ihr Studium abgeschlossen haben, wo sie vielleicht auch eine Perspektive haben können, hier zu arbeiten, schicken wir sie wieder nach Hause. Das macht keinen Sinn.

Capellan: Auch die Bahn-Privatisierung spaltet SPD und Gewerkschaften. Aber vor allen Dingen die Sozialdemokraten untereinander. Auch Sie haben ja offenbar Angst, dass private Investoren nur auf schnellen Profit aus seien könnten bei der Bahn. Werden Sie die Privatisierung im Bundesrat stoppen?

Wowereit: Wir können ja nicht alleine stoppen. Aber wir sind noch nicht davon überzeugt, dass die Privatisierung ein vernünftiger Weg ist. Und meine Befürchtung ist, dass bei einer rein profitorientierten Vorgehensweise eines Unternehmens, eines privatisierten Unternehmens, auch wenn es nur teilprivatisiert ist, viele Strecken wirklich auf der Strecke bleiben. Und das sollten wir uns nicht leisten. Wir sollten die Bahn fit machen, dass sie die notwendigen Kräfte hat, um zu investieren, investieren in Zukunft, in Infrastruktur, für eine verbesserte Verkehrssituation der Menschen in unserer Republik.

Capellan: Um zum Schluss auf den Ausgangspunkt unseres Gespräches zurückzukommen: Haben Sie denn den Eindruck mit Blick auf die Kanzlerkandidatur, dass Kurt Beck wirklich will?

Wowereit: Ich glaube, wenn man Parteivorsitzender in dieser großartigen Partei SPD wird, dann weiß man auch, dass man derjenige ist, der zuerst die Option hat, Kanzlerkandidat zu werden. Wenn Kurt Beck es will, und ich habe eigentlich keinen Zweifel daran, dann wird ihm das keiner streitig machen, und die SPD wird geschlossen hinter Kurt Beck stehen.

Capellan: Aber wenn nicht, dann stünden Sie auch bereit?

Wowereit: Nochmals, Sie werden noch lange fragen können: Ich bin nicht auf Jobsuche, ich mache mein Amt des Regierenden Bürgermeisters gerne und ich hab auch noch viel zu tun.

Capellan: Der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit zu Gast bei Deutschlandradio Kultur. Danke für den Besuch im Studio.

Wowereit: Bitte schön.