"Ich bin Miss Auschwitz!"
Vom Lager ins Heim: Zahlreiche Menschen, die die nationalsozialistischen Konzentrationslager überlebt haben, verbringen ihre letzten Tage in einem Altersheim in Polen. In den Mittelpunkt setzt Autorin Rudzka eine Überlebende der medizinischen Versuche des berüchtigten KZ-Arztes Mengele.
Es kommt vor, dass sich Frau Czechna, eine gut aussehende und keineswegs uneitle ältere Dame, Annäherungsversuchen von Herren ausgesetzt sieht, die sich – wie ihr scheint – nicht auf ihrer Höhe bewegen. Bei solchen Gelegenheiten pflegt Frau Czechna ihrem Gegenüber zu entgegnen: "Wissen Sie überhaupt, wer vor ihnen steht? Ich bin Miss Auschwitz!" Die polnische Schriftstellerin Zyta Rudzka hat einen Roman geschrieben, in dessen Mittelpunkt eine polnische Jüdin steht, die im Alter von zwölf Jahren nach Auschwitz kam und dort Opfer von medizinischen Experimenten des berüchtigten KZ-Arztes Mengele wurde. Unter dem Titel "Doktor Josefs Schönste" ist dieser Roman jetzt auf Deutsch im Zürcher Ammann Verlag erschienen.
Rudzka schreibt keinen "klassischen" Roman über das Überleben im Vernichtungslager. Die Autorin entwirft vielmehr vor allem eine düster-groteske Szenerie unserer Gegenwart. Zahlreiche Menschen, die die nationalsozialistischen Konzentrationslager überlebt haben, verbringen ihre letzten Tage in einem Altersheim in Polen. An drückend heißen Sommertagen trifft man sich zumeist zum Essen auf der Terrasse, befehdet sich, erinnert sich und hält sich aneinander fest.
Herr Henoch monologisiert immer wieder über seine Zeit als Konsul in Afrika, Herr Miron ergeht sich in Vulgaritäten, die stille Frau Leokadia ekelt sich vor jeder Nahrung, und da ist vor allem auch Leokadias Schwester Czechna. Czechnas Erinnerungen an die Schrecken und Demütigungen des Lagers sind gepaart mit einem trotzigen Stolz darauf, die Anerkennung des KZ-Arztes Mengele für die Schönheit ihres Körpers erlangt zu haben. Nach und nach wird die ganze Geschichte ihrer verstörenden Faszination für ihren Peiniger preisgegeben.
Im Kontrast dazu erscheinen Miniaturen aus einer mehr oder weniger grauen Nachkriegszeit. Eingebettet ist alles in die drastische Lebenswirklichkeit des Heims, das aus der Sicht der körperlich hilflosen, gebrechlichen Alten Züge einer neuen Lagerwirklichkeit erhält. Der Heimdirektor agiert selbstgefällig, autoritär und nicht ohne Sadismus. Kleine Sonderwünsche der Bewohner werden fast immer abgelehnt oder auf einen nie endenden Amtsweg verwiesen.
Als Strafe für Inkontinenz droht zum Beispiel die sofortige Abschiebung in ein mysteriöses Pflegeheim am See. Um eine Flucht seiner Schützlinge vom Heimgelände zu verhindern, ordnet der Direktor schließlich das Tragen von Armbinden an.
Zyta Rudzka, geboren 1964 in Warschau, ist ausgebildete Psychotherapeutin und debütierte 1989 als Schriftstellerin. In ihrem Schreiben interessiere sie, hat sie einmal gesagt, der Mensch, der mit vielen Wahrheiten konfrontiert ist, und sich nicht unbedingt selbst findet.
"Doktor Josefs Schönste" ist ein erschütterndes Buch, das den Leser nicht nur durch die im Kern wahre Auschwitz-Geschichte in den Bann zieht, sondern ebenso durch den ungewöhnlichen Bogen, den die Schriftstellerin Rudzka in eine bedrohlich inhumane Gegenwart schlägt. Der ganz eigene Sprach- und Satzrhythmus dieses Romans wurde von Esther Kinsky hervorragend ins Deutsche übertragen.
Besprochen von Martin Sander
Zyta Rudzka: Doktor Josefs Schönste
Roman
Aus dem Polnischen von Esther Kinsky
Ammann Verlag, Zürich 2009
316 Seiten, 29,95 Euro
Rudzka schreibt keinen "klassischen" Roman über das Überleben im Vernichtungslager. Die Autorin entwirft vielmehr vor allem eine düster-groteske Szenerie unserer Gegenwart. Zahlreiche Menschen, die die nationalsozialistischen Konzentrationslager überlebt haben, verbringen ihre letzten Tage in einem Altersheim in Polen. An drückend heißen Sommertagen trifft man sich zumeist zum Essen auf der Terrasse, befehdet sich, erinnert sich und hält sich aneinander fest.
Herr Henoch monologisiert immer wieder über seine Zeit als Konsul in Afrika, Herr Miron ergeht sich in Vulgaritäten, die stille Frau Leokadia ekelt sich vor jeder Nahrung, und da ist vor allem auch Leokadias Schwester Czechna. Czechnas Erinnerungen an die Schrecken und Demütigungen des Lagers sind gepaart mit einem trotzigen Stolz darauf, die Anerkennung des KZ-Arztes Mengele für die Schönheit ihres Körpers erlangt zu haben. Nach und nach wird die ganze Geschichte ihrer verstörenden Faszination für ihren Peiniger preisgegeben.
Im Kontrast dazu erscheinen Miniaturen aus einer mehr oder weniger grauen Nachkriegszeit. Eingebettet ist alles in die drastische Lebenswirklichkeit des Heims, das aus der Sicht der körperlich hilflosen, gebrechlichen Alten Züge einer neuen Lagerwirklichkeit erhält. Der Heimdirektor agiert selbstgefällig, autoritär und nicht ohne Sadismus. Kleine Sonderwünsche der Bewohner werden fast immer abgelehnt oder auf einen nie endenden Amtsweg verwiesen.
Als Strafe für Inkontinenz droht zum Beispiel die sofortige Abschiebung in ein mysteriöses Pflegeheim am See. Um eine Flucht seiner Schützlinge vom Heimgelände zu verhindern, ordnet der Direktor schließlich das Tragen von Armbinden an.
Zyta Rudzka, geboren 1964 in Warschau, ist ausgebildete Psychotherapeutin und debütierte 1989 als Schriftstellerin. In ihrem Schreiben interessiere sie, hat sie einmal gesagt, der Mensch, der mit vielen Wahrheiten konfrontiert ist, und sich nicht unbedingt selbst findet.
"Doktor Josefs Schönste" ist ein erschütterndes Buch, das den Leser nicht nur durch die im Kern wahre Auschwitz-Geschichte in den Bann zieht, sondern ebenso durch den ungewöhnlichen Bogen, den die Schriftstellerin Rudzka in eine bedrohlich inhumane Gegenwart schlägt. Der ganz eigene Sprach- und Satzrhythmus dieses Romans wurde von Esther Kinsky hervorragend ins Deutsche übertragen.
Besprochen von Martin Sander
Zyta Rudzka: Doktor Josefs Schönste
Roman
Aus dem Polnischen von Esther Kinsky
Ammann Verlag, Zürich 2009
316 Seiten, 29,95 Euro