"Ich bin kein Verräter"

Von Annette Wilmes · 19.03.2009
Ob der erste Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Otto John, 1954 freiwillig in die DDR ging oder dorthin entführt wurde, ist nie geklärt worden. Otto John selbst hat nach seiner Verurteilung als Landesverräter nie aufgehört, um seine Rehabilitierung zu kämpfen. Er konnte die Gerichte jedoch nicht von seiner Unschuld überzeugen.
Bevor endgültig über seinen Fall entschieden werden konnte, starb er. Am 19. März wäre der umstrittene Jurist, der im Nationalsozialismus zum Kreis der Widerständler des 20. Juli gehörte, 100 Jahre alt geworden.

"In der Allgemeinheit heißt es, der John war ein Verräter, er ist damals übergelaufen. Und ich möchte nicht als Verräter sterben."

Otto John kämpfte jahrzehntelang für seine Rehabilitierung. Denn er galt als Überläufer in die DDR. Otto John, damals Präsident des Bundesverfassungsschutzes, war am 20. Juli 1954 aus Westberlin verschwunden. Einige Tage später tauchte er im Ostteil der Stadt wieder auf.

"Die einseitige Bindung an die amerikanische Politik durch Dr. Adenauer, die damit verbundene Remilitarisierung und Wiederbelegung des Nationalsozialismus führen zwangsläufig zu einem neuen Krieg. Ich bin der Stimme meines Gewissens gefolgt und überzeugt, dass ich den richtigen Weg gewählt habe."

In mehreren Rundfunkansprachen, Auftritten bei Pressekonferenzen und anderen Gelegenheiten begründete Otto John den Wechsel in die DDR mit seiner Sorge um die Einheit Deutschlands.

Der Jurist, am 19. März 1909 in Marburg geboren, arbeitete im Nationalsozialismus als Syndikus bei der Lufthansa. Später schloss er sich dem Widerstand gegen Hitler an. 1950 wurde er erster Präsident des Bundesverfassungsschutzes. Er war einer der wenigen unbelasteten Juristen nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem die Briten setzten sich für ihn ein.

Schon bevor er 1954 in die Schlagzeilen kam, war Otto John bei vielen Deutschen unbeliebt. Denn für diejenigen, die noch immer nationalsozialistisch dachten, galten die Widerständler des 20. Juli als Verräter. Außerdem war Otto John nach dem Krieg als Übersetzer und Rechtsberater im Prozess gegen den früheren Generalfeldmarschall Erich von Manstein vor einem britischen Militärgericht aufgetreten. Auch das wurde ihm verübelt. Kurt Georg Kiesinger, CDU-Abgeordneter im Bundestag, bei der Debatte im September 1954 über Otto John:

"… der noch nach der Katastrophe den recht zweifelhaften Mut hatte, sich in Verfahren gegen Deutsche der Alliierten Anklage zur Verfügung zu stellen."

Genauso plötzlich, wie Otto John in den Ostteil Berlins gewechselt war, kam er Ende 1955 zurück in den Westen. Er sagte, er sei am Abend des 20. Juli betäubt und in die DDR entführt worden. Sowjetische Agenten hätten ihn zur Zusammenarbeit gezwungen. Man glaubte ihm nicht. Otto John wurde verhaftet und vom Bundesgerichtshof im Dezember 1956 wegen Landesverrats zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt.

"Ich bin doch zu Unrecht damals verurteilt worden und ich habe mich die Jahre hindurch bemüht, eine Wiederaufnahme zustande zu bringen, einfach aus dem Bewusstsein, dass ich zu Unrecht verurteilt bin."

Doch zur Zeit des Kalten Krieges war die Stimmung gegen ihn. Die Gerichtsunterlagen blieben zum großen Teil geheim. Dass er bei seinen öffentlichen Auftritten in der DDR unter Druck und nur zum Schein mitgemacht hatte, nahm man ihm nicht ab. Viermal wurde ein Wiederaufnahmegesuch abgelehnt. Dann kam die Wende und für Otto John eine neue Chance. Der Berliner Strafverteidiger Gerhard Jungfer wurde sein neuer Anwalt:

"Inzwischen war ja die Mauer gefallen, und es gab die Möglichkeit, im Stasi-Unterlagenarchiv Akten einzusehen. Tatsächlich fanden sich auch umfangreiche Akten der Staatssicherheit der DDR."

Auch KGB-Akten konnten eingesehen werden. Otto John, inzwischen 84 Jahre alt, flog deswegen mit einem Begleiter nach Moskau. Aber eindeutige Beweise konnten sie auch dort nicht finden. Rechtsanwalt Jungfer stellte schließlich einen umfangreichen Wiederaufnahmeantrag, der wie die früheren abgelehnt wurde. Der Anwalt legte Beschwerde ein.

"Es war ihm eine Herzenssache, es war das einzige wesentliche Ziel seines späteren Lebens, um das er sich intensiv kümmerte, um das sein Denken kreiste, und wo er auch in seinem hohen Alter erstaunliche Aktivitäten entwickelte."

Trotz der Niederlagen sei Otto John jedoch nicht verbittert gewesen, sagt Jungfer.

"Er war enttäuscht, aber er ließ ja nicht nach, zu kämpfen, und er war auch willens, die Sache beim Bundesgerichtshof durchzufechten. Allerdings hat ihn dann der Tod ereilt und die Möglichkeit genommen."

Otto John starb 1997. Daraufhin wurde das Verfahren eingestellt. Otto John hätte weitergekämpft. Denn er wollte nicht "als Verräter sterben".

"Ich bin kein Verräter und habe auch nichts verraten."