"Ich bin geradezu glücklich"
Moderation: Nana Brink · 19.10.2007
Der Präsident der Stiftung Weimarer Klassik, Hellmut Seeman, zeigte sich äußerst zufrieden mit dem Ergebnis der Wiederherstellung. Es sei gelungen, "ein im Dornröschenschlaf liegendes Haus wieder wach zu küssen".
Nana Brink: Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar ist ein besonderes Kleinod. Sie bewahrt literarische Zeugnisse vom 9. bis zum 21. Jahrhundert auf. Insgesamt gehören eine Millionen Bücher, Autographen, Bilder oder Musikalien zum Bibliotheksbestand. Das durch den verheerenden Brand 2004 beschädigte historische Bibliotheksgebäude mit seinem sehr berühmten Rokokosaal wird nun ab 24. Oktober 2007 wieder geöffnet sein.
Wir begrüßen jetzt Hellmut Seeman, Präsident der Stiftung Weimarer Klassik, zu der die Herzogin Anna Amalia Bibliothek gehört. Schönen guten Tag, Herr Seemann.
Hellmut Seemann: Guten Morgen, Frau Brink.
Brink: 12,8 Millionen Euro hat die Restaurierung gekostet. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Seemann: Ja, ich bin geradezu glücklich mit dem Ergebnis. Wir haben eine Bibliothek zurückgewonnen, die in vieler Hinsicht anders aussieht als das Gebäude, was wir am 2. September 2004 fast verloren hätten. Und dieses Gebäude, das müssen Sie sich klar machen, ist seit 150 Jahren nicht mehr durchgreifend ertüchtigt worden. Das heißt, es ging nicht nur darum, die Brandschäden zu beseitigen, die wir ja im Wesentlichen im Dachbereich hatten, sondern es ging auch darum, ein im Dornröschenschlaf liegendes Haus wieder wach zu küssen. Und ich glaube, das ist in fabelhafter Weise gelungen.
Brink: Es gab nur Probleme, sagte der leitende Architekt der Restaurierungsarbeiten, Walther Grunwald. Was waren die größten Probleme, und wie haben Sie sie gelöst?
Seemann: Also sicherlich war ein Problem schon mal die Zeit. Wir haben nach diesem furchtbaren Brand irgendwie eine Chiffre gebraucht, um uns daran wieder aufzurichten. Ich habe irgendwann nach dem Brand einfach als Losung ausgegeben, am 24. Oktober 2007 werden wir dieses Haus wiedereröffnen. Das ist der Geburtstag der Herzogin, der 24. Oktober, und ich dachte so, in drei Jahren kann man das schaffen.
Brink: Sie haben es ja geschafft.
Seemann: Diese Losung hat sich sozusagen verselbständigt. Dadurch ist ein unglaublicher Zeitdruck entstanden, der manches wirklich auch problematischer machte. Ich glaube trotzdem, letztlich war es richtig, dass wir unter diesem Druck gearbeitet haben, denn dadurch war allen klar, man kann jetzt hier nicht Diskussionen bis zum Gehtnichtmehr führen, man muss sich entscheiden, und das bei vielen Fragen. Sie müssen sich vorstellen, man greift ein Haus nach einer solchen Katastrophe auf, es ist vollkommen durchnässt, wir haben riesige Probleme bei der Trocknung des Gebäudes gehabt, man stellt fest, die Statik stimmt nicht mehr, man muss eine neue Statik in das Haus einbringen – all das in einer so relativ kurzen Bauphase. Und natürlich mit den extremsten Auflagen, die man bei einem solchen Weltkulturerbe von den Denkmalpflegern, von den Restauratoren her bekommt, was ja richtig ist. Das ist schon eine ziemliche Leistung, das dann trotzdem so fertig zu stellen. Und der Architekt Walther Grunwald, das ist einfach ein Zauberer, ohne den wäre das gar nicht möglich gewesen.
Brink: 50.000 von den eine Millionen Bänden sind unwiderruflich verloren, sie sind ein Raub der Flammen geworden. Wie viele Kunstwerke, Bücher und Musikalien müssen Sie noch vom Wasser retten, das heißt, sind beschädigt und noch nicht wiederhergestellt?
Seemann: Wir haben neben diesen wirklich verbrannten Büchern einen Bestand von Büchern, die "nur " unter Wasserschäden gelitten haben. Das sind etwa 36.000. Und von diesen 36.000 sind auch viele schon wieder da. Wir haben dann aber eben einen weiteren Bestand von Büchern, die sowohl Wasserschäden, wie auch direkt mit Feuer in Verbindung gewesen sind, also auch Brandschäden. Und bei diesen Büchern wissen wir bis heute nicht wirklich genau, welche wir möglicherweise doch mit aufwendigsten Verfahren restaurieren können, und welche wir definitiv abschreiben müssen als zwar noch in irgendeiner Substanz vorhanden, aber als Buch nie wieder nutzbar. Und deswegen sagen wir immer, wir haben 50.000 definitive Verluste. Dieser Satz wird sich noch vergrößern. Wir werden 60 bis 70.000 definitive Verluste haben am Ende. Wir müssen eben neben der Restaurierung, die sich auf knapp 50.000 Bücher beziehen wird, ein Projekt in den nächsten 10, 20, 30 Jahren verfolgen, die verlorenen Bücher dort, wo das möglich ist, zu restituieren durch neue Ankäufe, durch Schenkungen, die uns gemacht werden. Das ist ein sehr langfristiges Programm, denn das, was da verloren ging, ist ja gerade deswegen so wertvoll, dass es eben nicht einfach irgendwo gekauft werden kann.
Brink: Anlässlich dieser Schäden kam auch noch ein anderes Problem hervor, nämlich bedroht sind auch die Bestände von Tintenfraß und Säure ganz unabhängig vom Brand eigentlich. 50 Millionen Euro braucht die Stiftung, um die Schätze zu retten, so wird geschätzt. Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat heute in einem Interview mit der FAZ gesagt, dieses Problem ist erkannt. Gibt es mehr Geld für Sie?
Seemann: Ja, also wir werden jedenfalls in den nächsten Jahren in einem anderen Umfang in der Lage sein, diese Alterungsprozesse restauratorisch, konservatorisch zu bekämpfen. Das betrifft jetzt ja nun keineswegs nur die Bibliothek, sondern mindestens so sehr, wenn Sie von Tintenfraß sprechen, auch unser Goethe- und Schillerarchiv. Wir werden also in den nächsten Jahren zum Beispiel einen solchen zentralen Sammlungsbestand wie den Briefwechsel von Goethe und Schiller restauratorisch wieder in den Zustand bringen können, dass man mit ihm arbeiten kann. Zurzeit sind die Dinge in einem Zustand, dass man sie gar nicht mehr vorlegen kann. Und das muss in den nächsten Jahren eine Hauptaufgabe dieser Stiftung sein, und dazu müssen natürlich auch die Mittel zur Verfügung stehen, diese Entsäuerung, die Tintenfraßbehandlung durchführen zu können. Und ich bin natürlich sehr dankbar, dass der Staatsminister gestern erklärt hat, dafür werden zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt.
Brink: Es gab eine unglaubliche Solidaritätswelle nach dem Brand. Bibliotheken haben gespendet, Institutionen, Firmen, aber auch Einzelpersonen, Kinder in Thüringen, ganze Scharen von Müllmännern zum Beispiel haben sich zusammengetan und gespendet, 22.000 waren es insgesamt. Die Summe beträgt 17 Millionen an Spenden. Hat Sie das überrascht, diese Solidaritätswelle?
Seemann: Also wenn ich ehrlich sein soll, dann muss ich doch sagen, dass hätte ich so nicht erwartet, weil man hier in Weimar an einem Ort lebt, wo man weiß, dass das einzigartig in Deutschland ist. Aber dass es so viele Menschen gibt, die das zu ihrer Sache machen, das hätte ich eigentlich in der Brandnacht, wenn man mich gefragt hätte, wer hilft dir denn jetzt, hätte ich das nicht erwartet. Und dass es so gewesen ist und ja immer noch so ist – also bis heute bekommen wir immer noch sehr viel Unterstützung von Menschen, die einfach sagen, das ist eine sinnvolle Aufgabe, hier mitzuhelfen. Dass es in diesem Umfang stattgefunden hat, das ist für mich bis heute ein kleines Wunder und hat auch sicherlich dazu geführt, dass die politisch Verantwortlichen gemerkt haben, das ist nicht nur so eine verschlafene Bibliothek in einem Provinzstädtchen in Thüringen, sondern das liegt ganz, ganz vielen Menschen wirklich am Herzen. Und deswegen ist da auch eine Verantwortung der Öffentlichkeit bewusst geworden, die heute ganz anders Sichtbar ist, als sie es vor drei Jahren war.
Brink: Vielen Dank Herr Seemann!
Wir begrüßen jetzt Hellmut Seeman, Präsident der Stiftung Weimarer Klassik, zu der die Herzogin Anna Amalia Bibliothek gehört. Schönen guten Tag, Herr Seemann.
Hellmut Seemann: Guten Morgen, Frau Brink.
Brink: 12,8 Millionen Euro hat die Restaurierung gekostet. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Seemann: Ja, ich bin geradezu glücklich mit dem Ergebnis. Wir haben eine Bibliothek zurückgewonnen, die in vieler Hinsicht anders aussieht als das Gebäude, was wir am 2. September 2004 fast verloren hätten. Und dieses Gebäude, das müssen Sie sich klar machen, ist seit 150 Jahren nicht mehr durchgreifend ertüchtigt worden. Das heißt, es ging nicht nur darum, die Brandschäden zu beseitigen, die wir ja im Wesentlichen im Dachbereich hatten, sondern es ging auch darum, ein im Dornröschenschlaf liegendes Haus wieder wach zu küssen. Und ich glaube, das ist in fabelhafter Weise gelungen.
Brink: Es gab nur Probleme, sagte der leitende Architekt der Restaurierungsarbeiten, Walther Grunwald. Was waren die größten Probleme, und wie haben Sie sie gelöst?
Seemann: Also sicherlich war ein Problem schon mal die Zeit. Wir haben nach diesem furchtbaren Brand irgendwie eine Chiffre gebraucht, um uns daran wieder aufzurichten. Ich habe irgendwann nach dem Brand einfach als Losung ausgegeben, am 24. Oktober 2007 werden wir dieses Haus wiedereröffnen. Das ist der Geburtstag der Herzogin, der 24. Oktober, und ich dachte so, in drei Jahren kann man das schaffen.
Brink: Sie haben es ja geschafft.
Seemann: Diese Losung hat sich sozusagen verselbständigt. Dadurch ist ein unglaublicher Zeitdruck entstanden, der manches wirklich auch problematischer machte. Ich glaube trotzdem, letztlich war es richtig, dass wir unter diesem Druck gearbeitet haben, denn dadurch war allen klar, man kann jetzt hier nicht Diskussionen bis zum Gehtnichtmehr führen, man muss sich entscheiden, und das bei vielen Fragen. Sie müssen sich vorstellen, man greift ein Haus nach einer solchen Katastrophe auf, es ist vollkommen durchnässt, wir haben riesige Probleme bei der Trocknung des Gebäudes gehabt, man stellt fest, die Statik stimmt nicht mehr, man muss eine neue Statik in das Haus einbringen – all das in einer so relativ kurzen Bauphase. Und natürlich mit den extremsten Auflagen, die man bei einem solchen Weltkulturerbe von den Denkmalpflegern, von den Restauratoren her bekommt, was ja richtig ist. Das ist schon eine ziemliche Leistung, das dann trotzdem so fertig zu stellen. Und der Architekt Walther Grunwald, das ist einfach ein Zauberer, ohne den wäre das gar nicht möglich gewesen.
Brink: 50.000 von den eine Millionen Bänden sind unwiderruflich verloren, sie sind ein Raub der Flammen geworden. Wie viele Kunstwerke, Bücher und Musikalien müssen Sie noch vom Wasser retten, das heißt, sind beschädigt und noch nicht wiederhergestellt?
Seemann: Wir haben neben diesen wirklich verbrannten Büchern einen Bestand von Büchern, die "nur " unter Wasserschäden gelitten haben. Das sind etwa 36.000. Und von diesen 36.000 sind auch viele schon wieder da. Wir haben dann aber eben einen weiteren Bestand von Büchern, die sowohl Wasserschäden, wie auch direkt mit Feuer in Verbindung gewesen sind, also auch Brandschäden. Und bei diesen Büchern wissen wir bis heute nicht wirklich genau, welche wir möglicherweise doch mit aufwendigsten Verfahren restaurieren können, und welche wir definitiv abschreiben müssen als zwar noch in irgendeiner Substanz vorhanden, aber als Buch nie wieder nutzbar. Und deswegen sagen wir immer, wir haben 50.000 definitive Verluste. Dieser Satz wird sich noch vergrößern. Wir werden 60 bis 70.000 definitive Verluste haben am Ende. Wir müssen eben neben der Restaurierung, die sich auf knapp 50.000 Bücher beziehen wird, ein Projekt in den nächsten 10, 20, 30 Jahren verfolgen, die verlorenen Bücher dort, wo das möglich ist, zu restituieren durch neue Ankäufe, durch Schenkungen, die uns gemacht werden. Das ist ein sehr langfristiges Programm, denn das, was da verloren ging, ist ja gerade deswegen so wertvoll, dass es eben nicht einfach irgendwo gekauft werden kann.
Brink: Anlässlich dieser Schäden kam auch noch ein anderes Problem hervor, nämlich bedroht sind auch die Bestände von Tintenfraß und Säure ganz unabhängig vom Brand eigentlich. 50 Millionen Euro braucht die Stiftung, um die Schätze zu retten, so wird geschätzt. Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat heute in einem Interview mit der FAZ gesagt, dieses Problem ist erkannt. Gibt es mehr Geld für Sie?
Seemann: Ja, also wir werden jedenfalls in den nächsten Jahren in einem anderen Umfang in der Lage sein, diese Alterungsprozesse restauratorisch, konservatorisch zu bekämpfen. Das betrifft jetzt ja nun keineswegs nur die Bibliothek, sondern mindestens so sehr, wenn Sie von Tintenfraß sprechen, auch unser Goethe- und Schillerarchiv. Wir werden also in den nächsten Jahren zum Beispiel einen solchen zentralen Sammlungsbestand wie den Briefwechsel von Goethe und Schiller restauratorisch wieder in den Zustand bringen können, dass man mit ihm arbeiten kann. Zurzeit sind die Dinge in einem Zustand, dass man sie gar nicht mehr vorlegen kann. Und das muss in den nächsten Jahren eine Hauptaufgabe dieser Stiftung sein, und dazu müssen natürlich auch die Mittel zur Verfügung stehen, diese Entsäuerung, die Tintenfraßbehandlung durchführen zu können. Und ich bin natürlich sehr dankbar, dass der Staatsminister gestern erklärt hat, dafür werden zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt.
Brink: Es gab eine unglaubliche Solidaritätswelle nach dem Brand. Bibliotheken haben gespendet, Institutionen, Firmen, aber auch Einzelpersonen, Kinder in Thüringen, ganze Scharen von Müllmännern zum Beispiel haben sich zusammengetan und gespendet, 22.000 waren es insgesamt. Die Summe beträgt 17 Millionen an Spenden. Hat Sie das überrascht, diese Solidaritätswelle?
Seemann: Also wenn ich ehrlich sein soll, dann muss ich doch sagen, dass hätte ich so nicht erwartet, weil man hier in Weimar an einem Ort lebt, wo man weiß, dass das einzigartig in Deutschland ist. Aber dass es so viele Menschen gibt, die das zu ihrer Sache machen, das hätte ich eigentlich in der Brandnacht, wenn man mich gefragt hätte, wer hilft dir denn jetzt, hätte ich das nicht erwartet. Und dass es so gewesen ist und ja immer noch so ist – also bis heute bekommen wir immer noch sehr viel Unterstützung von Menschen, die einfach sagen, das ist eine sinnvolle Aufgabe, hier mitzuhelfen. Dass es in diesem Umfang stattgefunden hat, das ist für mich bis heute ein kleines Wunder und hat auch sicherlich dazu geführt, dass die politisch Verantwortlichen gemerkt haben, das ist nicht nur so eine verschlafene Bibliothek in einem Provinzstädtchen in Thüringen, sondern das liegt ganz, ganz vielen Menschen wirklich am Herzen. Und deswegen ist da auch eine Verantwortung der Öffentlichkeit bewusst geworden, die heute ganz anders Sichtbar ist, als sie es vor drei Jahren war.
Brink: Vielen Dank Herr Seemann!