Ich bin dann mal wieder da

Von Thomas Otto |
Nach dem Zusammenbruch der DDR-Kombinate zog es in den 1990er-Jahren viele Sachsen-Anhaltiner zum Arbeiten in die alten Bundesländer, doch nun kehren einige wieder zurück. Eine Mischung aus wirtschaftlichem Aufschwung und altbekannter Mentalität zieht die Menschen wieder in die Heimat.
Der Marktplatz in Magdeburg: Umgeben vom historischen Rathaus und den Wohnbauten aus der Nachkriegszeit: Stände von Fleischern, Bäckern, Fisch- und Gemüsehändlern. Es ist ungemütlich – verregnet und windig. Nur wenige Menschen sind an diesem Tag unterwegs und erledigen ihre Einkäufe. Trotzdem finden sich schnell Passanten, die Erfahrungen damit gemacht haben, wenn Freunde, Bekannte, vielleicht sogar Familienmitgliedern ihre Heimat der Arbeit wegen verlassen haben:

„Meine Tochter. Die ist examinierte Altenpflegerin. Es war hier nicht möglich, Arbeit zu kriegen. Sie können sich gar nicht vorstellen, was wir gesucht haben, damals. Also ist sie nach Bayern gegangen. Da hat es gleich beim ersten Mal geklappt. Aber ich muss dazu sagen, ihr Lebensgefährte, der musste da runter wegen seiner Arbeit und da ist sie dann mitgegangen. Und da werden sie dann auch bleiben. So traurig, wie das auch ist.“

„Gucken Sie mal, mein Junge ist auch weggezogen. Es wäre schöner, wenn die Kinder näher dran wohnen würden. Aber man kann sie trotzdem besuchen. Wenn sie näher wohnen, geht man auch nicht jeden Tag hin und besucht sich. Was man vor zwanzig Jahren versäumt hat, kann man ja schlecht wieder gutmachen.“

„Da kenn ich einige, junge Leute, die weggezogen sind, die dann beruflich sich nicht verbessert haben und irgendwann gesagt haben: Ich kehre wieder zurück. Oder Pech gehabt haben, wo sie hingezogen sind, das gibt schon einige.“

Zum Übersetzen nach Düsseldorf
So wie Grit Kamann-Selbach. Die heute 33-Jährige stammt aus der Harzstadt Wernigerode. In Magdeburg studierte sie Übersetzung für Englisch und Französisch.

Eine berufliche Zukunft sah sie in Sachsen-Anhalt aber nicht. In Düsseldorf hingegen fand sie ein Unternehmen, dass eine Übersetzerin suchte. 2005 zog sie an den Rhein, schrieb bei der Firma ihre Diplomarbeit und wurde anschließend übernommen.

Grit Kamann-Selbach: „Ich bin damals sicher nicht leichten Herzens gegangen, aber ich habe auch immer gehofft, wieder zurückkommen zu können. Es war für mich damals in meinen Augen der einzige Weg, um dann auch diesen beruflichen Weg zu beschreiten.“

Wirklich wohl fühlte sie sich in ihrer neuen Heimat Düsseldorf aber nicht.

Grit Kamann-Selbach: „Auch die Menschen sind anders. Sie sind genauso liebenswürdig auf eine bestimmte Art, wie hier. Aber es ist doch deutlich mehr Ellenbogengesellschaft, als das in Wernigerode wirklich noch ist. Da habe ich sehr oft die Erfahrung gemacht, dass materielle Dinge viel wichtiger sind. Es ist wichtig, wie viel Geld man hat, was man für ein Auto fährt oder ob man Immobilien besitzt oder nicht, oder dass man was zurücklegt. Der Zusammenhalt war dort nicht so stark war, wie ich das von hier gewohnt war. "

Im Jahr 2006 dann die Überraschung: Über eine Datingseite im Internet lernte Grit Kamann-Selbach – damals noch als Grit Kamann – einen Mann kennen. Harald stammt aus dem Bergischen Land, nicht weit weg von Düsseldorf. Sie treffen sich regelmäßig, beginnen eine Beziehung und beschließen zu heiraten. Die gemeinsame Zukunft planen sie jedoch nicht hier. Denn ihre Kinder im Rheinland aufzuziehen, ist für Grit Kamann-Selbach schwer vorstellbar:

Grit Kamann-Selbach: „Also was für mich dort schwierig war, waren teilweise einfach viele Ansichten – was wir nicht kennen von hier – zur Rolle der Frau. Dass, wenn Kinder da sind, die Frau zu Hause zu bleiben hat, dass sie sich um die Kinder kümmern soll, zumindest bis die in die Schule kommen, bis man wieder arbeitet und auch die Kinderbetreuung dort. Und ich weiß das von vielen Kollegen – ich habe viele Kollegen dort, die aus Ostdeutschland kommen und die dort hingegangen sind – dass viele wirklich von den Problemen berichtet haben, dass die zum Beispiel gar nicht arbeiten gehen konnten, weil sie keine Plätze bekommen haben.“

Weniger Ellenbogengesellschaft
Bei den gemeinsamen Besuchen in Grits Heimat Wernigerode „verliebt sich“ Harald – wie seine Frau sagt – in Land und Leute. Die 34.000-Einwohner-Stadt am Rand des Harzes lebt vor allem vom Tourismus. Jedes Jahr kommen über drei Millionen Besucher in die Region, um sich die Fachwerkhäuser im historischen Stadtkern und das neugotische Schloss anzusehen, oder um mit der Schmalspurbahn auf den Brocken zu fahren. Grit und Harald sind sich einig: Hier sehen sie ihre gemeinsame Zukunft. Denn: Auch Harald fühlt sich an seinem jetzigen Wohnort in Bergisch-Gladbach nicht wohl.

Harald Kamann-Selbach: „Die Mentalität, die ich im Rheinland erlebt hab, dieser Wettbewerb – muss ich ehrlich sagen – ist nicht unbedingt so mein Ding. Und hier lernt man das krasse Gegenteil kennen, dass einfach erstmal gelebt wird. Und im Rheinland hatte ich schon das Gefühl, da ging's erstmal immer nur drum: Haste was, biste was.“

2008 heiraten sie im Wernigeröder Rathaus. Ein Jahr darauf ergibt sich durch einen glücklichen Zufall die Chance, endgültig in das kleine Harzstädtchen zu ziehen: Grit Kamann-Selbach bittet ihren Arbeitgeber um eine Versetzung in die Zweigstelle nach Hannover. Die tägliche Pendelfahrt zwischen Hannover und Wernigerode will sie in Kauf nehmen. Ihr Arbeitgeber macht ihr jedoch ein noch besseres Angebot: Arbeiten von zu Hause aus. Damit stand der Rückkehr nach Wernigerode nichts mehr im Wege.

Grit Kamann-Selbach: „Dann allerdings ging es sehr schnell – muss sagen fast schon zu schnell damals, weil wir wirklich innerhalb von sechs oder sieben Wochen dort alle Zelte abgebrochen haben und dann nach Wernigerode gekommen sind, weil wir gar nicht damit gerechnet hatten, dass diese Entscheidung kommt und dass das so schnell geht.“

Für Grit Kamann-Selbach ist es eine Rückkehr in die Heimat, für Harald eine Abwanderung gen Osten. Der selbstständige EDV-Dienstleister fasst schnell Fuß, findet eine Festanstellung in einem Unternehmen.

Harald Kamann-Selbach: „Die Mannschaft, mit der ich da zusammengearbeitet hab: Ich habe noch nie so einen Zusammenhalt auf der Arbeit erlebt, mit so wenig Ellenbogenmentalität, mit so viel Gemeinschaft. Das kannte ich aus dem Westen so nicht.“

Mittlerweile hat er sich wieder selbstständig gemacht, bietet IT-Dienstleistungen für jedermann an – auch wenn das Geschäft hier schwerer sei als im Rheinland, wo mehr Menschen Geld für solche Dienstleistungen ausgeben können. Aus Wernigerode jemals wieder wegzugehen, können sich beide aber nicht vorstellen.

Grit Kamann-Selbach: „Ich habe erst nachdem wir wieder zurückgekommen sind gemerkt, wie zu Hause ich hier eigentlich bin und wie wohl ich mich dann doch hier fühle.“
„Für mich selber: Ich möchte nicht mehr hier weg.“

Der Ruf der Wurzeln
Zurück auf dem Marktplatz in Magdeburg. Es gibt sie also die Rückkehrer. Aber ist das tatsächlich ein Trend? Sind es wirklich viele Menschen, die, einmal weggezogen wieder in ihre alte Heimat nach Sachsen-Anhalt ziehen? Die Passanten in Magdeburg kennen zumindest etliche Beispiele aus dem eigenen Bekanntenkreis:

„Wer hier einmal groß geworden ist, wer hier zur Schule gegangen ist, wer hier geboren ist, seine Wurzeln hier hat, der kehrt meisten immer wieder hierher zurück, ist so.“

„Die beide, die weggegangen sind, die sind beide nach München, die kommen auch wieder. Also spätestens wenn sie Kinder haben und Oma und Opa noch hier sind. Oder wenn sie einfach etwas Zuwendung brauchen und Heimatgefühl, dann kommen sie alle wieder.“

„Aber viele kommen auch wieder zurück, weil sie dort, wo sie hingegangen sind, nicht glücklich werden. Und das finde ich sehr schön, wenn sie wiederkommen.“

Meist hängt eine Rückkehr von der Aussicht auf einen Job ab.

Auf diese Chance hat auch Bernd Seifert-Goldammer lang gewartet. Er sitzt in seinem kleinen Zimmer in einem Gasthof in Gernrode bei Quedlinburg. Seit Februar arbeitet der Maschinenbauingenieur hier in der Qualitätssicherung einer Kunststofffirma. Jahrelang ist er zwischen Heimat und Arbeit gependelt. Zuletzt war er in einem Betrieb im Saarland beschäftigt. Seit er nach Sachsen-Anhalt zurückkehren konnte, sind es zu seiner Familie in Naumburg mit dem Auto nur noch eineinhalb Stunden.

Bernd Seifert-Goldammer: „Die Beziehung in meiner Familie hat sich auch insgesamt gebessert – es ist nicht ganz so viel Stress am Wochenende. Denn wenn man Freitagnachmittag von Arbeit losfährt, dann Abends gegen zehn da ist, dann ist der Sonnabend auch schon fast rum. Man möchte noch was machen und fährt dann aber Sonntagnachmittag schon wieder los. Und so habe ich die Möglichkeit: Ich fahre Freitag auch nach Feierabend, bin drei Stunden eher zu Hause und fahre Montagfrüh los.“

Über das Fachkräfteportal „PFIFF“ des Landes Sachsen-Anhalt hatte er sich nach einem neuen Job umgesehen. Hier werden zur Zeit fast 700 Stellen und über 1.500 Ausbildungsplätze im Land angeboten. Dem gegenüber stehen mehr als 2.700 Arbeitsgesuche, unter anderem auch von Pendlern wie Bernd Seifert-Goldammer. Ende vergangenen Jahres stellte er sein Gesuch online. Im Februar bekam er eine Antwort. Das Unternehmen brauchte dringend einen Fachmann:

Bernd Seifert-Goldammer: „Ich war selber überrascht, es ging verdammt schnell. Dass auch die Firma so schnell reagiert hat um einen Mitarbeiter einzustellen. Und was ich nicht ganz verstanden habe ist: Mitte des Monats! Oder nicht mal Mitte des Monats! Sonst fängt man doch am Ersten an...“

Seitdem gehört er fest zum Team. Sein neuer Arbeitgeber stellt Kunststoffteile für den Automobil- und Sanitärbereich her. Bernd Seifert-Goldammer überprüft sie auf ihre Qualität. Stellt er Fehler fest, müssen die Kollegen nachbessern. Für diesen Job nimmt Goldammer das karge Zimmer, das er von Montag bis Freitag in Gernrode bewohnt, gerne in Kauf. Ein kleiner Fernseher verschafft nach Feierabend Ablenkung. Viel mehr brauche er auch nicht sagt er. Da die Familie nicht nach Gernrode ziehen wollte, fährt Bernd Seifert-Goldammer jeden Freitagabend zu seiner Frau und seinen vier Geschwistern nach Naumburg in den Süden Sachsen-Anhalts. Zur Freude seiner Frau.

Bernd Seifert-Goldammer: „Dass ich wieder zu Hause bin hat sie positiv empfunden. Dass ich jetzt wieder weg bin hat sie auch positiv empfunden. Aber ich kann auch mal zwischendurch, wenn was sein sollte, mal schnell nach Hause. Das geht aus dem Saarland nicht.“

Bis zur Wiedervereinigung hatte Seifert Goldammer in einer Werkzeugmaschinenfabrik im nahegelegenen Leipzig gearbeitet. Dann, mit 30 Jahren, wurde er arbeitslos, was nicht nur weniger Geld bedeutete, sondern sich auch auf die Familienplanung auswirkte .

„Wenn man dann den mitteldeutschen Dialekt hört, ist das dann schon etwas problematisch“
Bernd Seifert-Goldammer: „Kinder hab ich leider keine, weil die Wende dazwischen kam. Und erst hatte ich keine Arbeit, dann hatte meine Frau keine Arbeit. Dann hatten wir mal zusammen bisschen Arbeit, dann wurde das wieder gesplittet, ich wieder Arbeit, und dann haben wir angefangen mit Rechnen und haben festgestellt: Es reicht doch nicht ganz."‘“

Einfach aufgeben und auf Arbeitslosenunterstützung hoffen, dass ist nicht sein Ding. Aus seiner eigenen Verwandtschaft kannte er andere Pendler. Deshalb begann auch Bernd Seifert-Goldammer sich andernorts nach einer Arbeitsstelle umzusehen.

Seitdem hat er in vielen verschiedenen Betrieben gearbeitet, ist gependelt nach Triptis in Thüringen oder nach Burg bei Magdeburg. Er hat sich immer weitergebildet, um mit der technischen Entwicklung Schritt halten zu können, hat gelernt CNC-Fräsen zu bedienen und die Qualität der Produktion zu kontrollieren.

Bernd Seifert-Goldammer: „"Was viele heutzutage vergessen: Mit Augen und Ohren lernen. Man muss aber auch versuchen, selbst Initiative zu zeigen, damit man überhaupt im Leben bestehen kann.“

Trotz seines Einsatzes: Vor vier Jahren wurde Bernd Seifert-Goldammer wieder arbeitslos – er dehnte den Suchradius aus.

Bernd Seifert-Goldammer: „Also ich wäre auch in die äußerste Ecke gezogen von Deutschland, was dann die schweizer-französisch-deutsche Grenze ist. Also gependelt – gezogen, wenn die Frau mitgemacht hätte. Und da hat sie gesagt: Ich möchte eigentlich nicht. Hat sie mir klipp und klar gesagt, und da musste ich natürlich in den sauren Apfel beißen.“

Fortan pendelte er jede Woche zwischen Naumburg und dem Saarland. Als Außenstehender brachte er neuen Wind in den Betrieb. Ihm wurde sogar eine Leitungsposition in Aussicht gestellt. Zu Beginn war es für ihn aber nicht leicht in der neuen Umgebung.

Bernd Seifert-Goldammer: „Die Generation meinerseits spricht ja noch zweisprachig. Und das vermischt sich manchmal. Und dann steht man erstmal da: Was will der Herr oder die Dame gegenüber? Das ist schon nicht einfach. Da muss man dann immer nachfragen. Und wenn man dann nachfragt und dann den mitteldeutschen Dialekt hört, ist das dann schon etwas problematisch.“

Schließlich aber lebte er sich gut ein, wurde im Ort akzeptiert und arrangierte sich damit, jede Woche 800 Kilometer durch Deutschland zu fahren.
Dann die Entlassung: Die in Aussicht gestellte Position wurde mit einem anderen Kollegen besetzt. Bernd Seifert-Goldammer suchte wieder – und kam nach Gernrode.

Bernd Seifert-Goldammer: „Und ich bin eigentlich froh wieder in Sachsen-Anhalt tätig zu sein. Ich hoffe, dass ich hier noch länger tätig sein darf, weil ich doch gerne noch ein paar Jahre arbeiten möchte. Und ich möchte es recht weit bis an die Rente schaffen.“

Genaue Zahlen kennt keiner
Wie viele Menschen, die einst ihrer Heimat den Rücken gekehrt haben, wieder zurückkommen, darüber führt das Land keine Statistik. Es sei zu kompliziert zu erfassen, wer von wo aus nach Sachsen-Anhalt zieht, so die Erklärung. Zahlen zwischen 4.000 und 40.000 Rückkehrern kursieren. Bestätigen will sie niemand.

Mit etlichen Programmen versucht Sachsen-Anhalt allerdings die Menschen im Land zu halten und zurückzuholen. Ministerpräsident Haseloff trat medienwirksam bei Abwanderer-Stammtischen in westdeutschen Städten auf.

In Magdeburg scheint er vom Bleiben niemanden mehr überzeugen zu müssen.

„Ich bin in Sachsen-Anhalt geboren, habe hier gearbeitet und bleibe auch hier.“

„Eigentlich, wenn man von hier kommt, also ich möchte hier bleiben. Und ich finde hier auch was. Ich studiere jetzt Medizin und dann mache ich mal irgendwann meine Praxis auf.“

„Ich bin hier geboren in Magdeburg und dann werde ich auch sterben hier. Also ich gehe – also wir, sage ich jetzt mal, mein Mann, ich kann mich da mit einbeziehen – wir werden hier bleiben. Wir wollten auch damals nicht, weil unsere Bekannten haben gesagt, ‚Mensch kommt mit‘ nach der Wende gleich, ‚lasst uns...‘ – ‚Nee‘ haben wir gesagt, wir bleiben hier.‘ Und wir werden auch hier bleiben. Das war für uns eine richtige Entscheidung.“

Für Dagmar Lengefeld wäre Bleiben keine Option gewesen. 1992 zog sie mit ihrem Mann Rolf aus dem sachsen-anhaltischen Gröben nach Dillenburg in Hessen. Die damals 41-jährige Dolmetscherin für Russisch und Französisch hatte keine Aussicht auf eine neue Arbeit in ihrem Beruf. Ihr Mann wurde nach den Massenentlassungen im Tagebau arbeitslos. Gröben – zwischen Tagebau und Brikettfabrik – den Rücken zu kehren, fiel beiden nicht schwer.

Magdeburger Markt
Magdeburger Markt© picture alliance / dpa / Jens Wolf
Motivation Ruhestand
Dagmar Lengefeld: „Wir hatten beispielsweise einen kleinen Garten – sämtliches Obst, sämtliches Gemüse mussten sie im Prinzip abschrubben. Oder: Wir hatten einen weißen Trabant. Also wenn der die Nacht über draußen gestanden hatte, war das Dach früh schwarz. Und die Fensterbretter mussten jeden Tag sauber gemacht werden und so Sachen. Wir hatten einen Balkon an unserer Neubauwohnung, den haben wir eigentlich nie genutzt, weil es einfach immer schmutzig war. Wenn man auf den Balkon raus wollte, hätte man jedes Mal erst mal gründlich sauber machen müssen.“

Mit dem Neustart in den alten Bundesländern wollten Lengefelds all das hinter sich lassen. Trotzdem fiel ihnen das Weggehen nicht leicht.

Dagmar Lengefeld: „Natürlich, die Verwandten kann man nicht mitnehmen. Und dass unser Sohn dageblieben ist, hat uns doch auch zu schaffen gemacht. Aber wir konnten das auch verstehen, dass er seine Lehre erst abschließen wollte.“

Zunächst ging es nach Dillenburg. Dagmar Lengefeld und ihr Mann arbeiteten für das gleiche Unternehmen: Sie als Dolmetscherin, er als Lagerist. Nach der Insolvenz und dem Verkauf der Firma zogen sie in den Taunus. Sie nahm eine Stelle als Sekretärin in einem Rechtsanwaltsbüro an.
Beide fühlten sich wohl, bauten sich einen Freundeskreis auf. Der Gedanke, später einmal wieder in die alte Heimat zu ziehen, bestand damals noch nicht. Erst mit der Zeit und mit Blick auf den Ruhestand überlegten Lengefelds, Hessen wieder zu verlassen.

Dagmar Lengefeld: „Trotzdem es uns gut gefallen hat in Hessen, würde ich doch nicht sagen, es ist meine Heimat geworden, auch nach 18 Jahren. Uns hat es da gefallen, wir haben da gelebt und hatten da auch einen Freundeskreis. Aber wie Heimat hat sich das nicht angefühlt. Das ist dann doch eher da, wo ich herstamme.“

Die Bevölkerung altert weiter
Dazu kam noch ein anderes Argument: Beide hatten sich zum Ziel gesetzt, im Ruhestand keine Miete mehr zahlen zu müssen. In ihrer neuen Heimat, hätten sie sich das nicht finanzieren können. Mit dem Geld, was ihnen im Ruhestand zur Verfügung steht, wäre ihr Lebensstandart nicht zu halten gewesen. Also ging der Blick nach Sachsen-Anhalt. Nach Gröben, den Ort an dem sie geboren wurde und aufwuchs, wollte Dagmar Lengefeld aber nicht wieder zurück.

Dagmar Lengefeld: „Wenn ich jetzt zurückkomme in den Bereich, wo wir gewohnt haben, die Dörfer, da hat sich überhaupt nichts verändert. Und das zeigt mir, dass relativ wenig junge Leute geblieben sind, die auch was aus der Bausubstanz, die da war, machen. Das zeigt mir aber auch, dass sie nicht genug Arbeitsplätze gefunden haben und weggegangen sind.“

Für Dagmar und Rolf Lengefeld sollte es eine andere Ecke Sachsen-Anhalts werden: Auch sie zogen, so wie Grit Kamann-Selbach und ihr Mann, nach Wernigerode und kauften sich ein Reihenhaus. Sie genießen beide ihren Ruhestand und engagieren sich ehrenamtlich.

Dagmar Lengefeld: „Wir sind hier eingezogen und waren sofort zu Hause.“

Zu Hause sein, sich heimisch fühlen. Auch wenn die meisten Abwanderer ganz praktische Gründe haben, ihre Heimat zu verlassen – sei es die Ausbildung oder die Arbeit – die stärkste Motivation wieder zurückzukehren ist die Sehnsucht nach der seit Kindheit vertrauten Umgebung und den Menschen, die man verlassen musste.

Die Arbeitslosigkeit in Sachsen-Anhalt ist in den vergangenen Jahren gesunken, liegt momentan bei etwa zehn Prozent. Besonders die Quote der arbeitslosen Jugendlichen hat sich verbessert. Städte wie Magdeburg und Halle registrieren mehr Zuzüge als Fortzüge. Und trotzdem: Das Problem einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung bleibt. Rückkehrer werden daran kaum etwas ändern.

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