"Ich bin auf keinen Fall softer geworden"

Sebastian Fitzek im Gespräch mit Frank Meyer · 03.04.2012
Radikal bösen Figuren begegnet man in den Büchern von Sebastian Fitzek, einem der erfolgreichsten deutschen Thriller-Autoren mit einer Gesamtauflage von dreieinhalb Millionen Büchern. Wenn man einen Experten für das Böse sucht, ist man bei dem gebürtigen Berliner also an der richtigen Adresse.
Frank Meyer: Ja, es geht um das Böse in einer Themenwoche hier im "Radiofeuilleton", und böse Figuren, radikal böse Figuren, denen begegnet man in den Büchern von Sebastian Fitzek, einem der erfolgreichsten deutschen Thriller-Autoren – Gesamtauflage seiner Bücher dreieinhalb Millionen, und das in nur sechs Jahren. Eines dieser Bücher heißt "Der Augensammler", da gibt es einen Kindesentführer, der erst die Mütter umbringt und den Vätern dann die herausgenommenen Augen ihrer Kinder schickt. Herr Fitzek denkt sich so was aus. Willkommen bei uns!

Sebastian Fitzek: Ja, schönen guten Tag!

Meyer: Macht das Spaß, über solche grauenhaft bösen Dinge zu schreiben wie diesen Augensammler?

Fitzek: Schreiben an sich macht schon Spaß, explizite Gewaltdarstellung zu beschreiben macht keinen Spaß – das ist eher eine Art Therapie, wo ich mir als Autor meine eigenen Ängste von der Seele schreibe.

Meyer: Wie nimmt denn dieser Kindesentführer die Augen raus?

Fitzek: Na, das macht er natürlich mit einem Skalpell, die Sache ist aber die, dass das gar nicht so wichtig ist, und es auch gar nicht beschrieben wird, was manchmal sogar noch schlimmer ist. Diese explizite Gewaltdarstellung, wie man sie beispielsweise in Filmen wie "Der andalusische Hund" gleich in der Eröffnungsszene sieht …

Meyer: Berühmte Szene mit der Rasierklinge oder der Wolke als Rasierklinge, die ins Auge geht.

Fitzek: … – genau, da wendet man sich ab. Manchmal ist es so, dass die Leser sagen, die grausamsten Szenen in meinen Büchern sind manchmal die, wo nur jemand eine Treppe hochgeht und man hört etwas, und die eigene Fantasie schaltet sich ein. Also wenn Leute sagen, du schreibst aber besonders grausam, dann ist es meistens so, dass ich die grausamen Szenen, die er bereits im Kopf hat oder sie, dass ich die nur antriggere, und er sich selbst als ein besonders grausamer Mensch entlarvt.

Meyer: Wenn ich an so etwas denke, wie Sie das da beschreiben, mit den entführten Kindern, denen diese Augen herausgetrennt werden – mir geht es so, seit ich Vater bin –, ertrage ich so etwas kaum mehr, weil ich immer an meine eigenen Kinder dabei denken muss. Sie haben auch eine Tochter. Stellt sich da keine Verbindung her zwischen Ihrer eigenen Tochter und solchen Dingen, die Sie da beschreiben?

Fitzek: Ich habe eine Tochter und einen Sohn mittlerweile, und es ist tatsächlich so, dass ich vor der Geburt meiner Tochter gefragt worden bin von Lesern: Sag mal, wirst du jetzt softer schreiben, weicher werden? Das war meistens mit einem besorgten Unterton gestellt, diese Frage, weil meine vor allen Dingen Leserinnen es schon ganz gerne haben, wenn der Blutzoll nicht zu sehr absinkt. Und ich habe gesagt: Ich weiß es nicht, aber ich befürchte eher, dass meine Bücher grausamer werden, weil ich ja, wie ich schon sagte, Ängste in mir habe. Und wenn ich kein Weichei wäre, könnte ich nicht über grausame Dinge schreiben. Dann würden die an mir ja auch abperlen, und ich würde einen Satz beispielsweise über einen Besuch beim Zahnarzt reden. Und so ist es tatsächlich geworden. Dadurch, dass – meine Ängste haben sich potenziert durch die Geburt meiner Kinder, und da die sich potenziert haben, hat sich natürlich auch mein Schreiben verändert. Aber ich bin auf gar keinen Fall softer geworden.

Meyer: Für Sie ist das also ein Befreiungsvorgang, wenn Sie das Böse aus Ihrem Kopf herausholen und es aufs Papier bringen – dann sind Sie es los?

Fitzek: Ja, ich bin es los, ich stülpe meine Albträume andern über, die müssen dann damit durchs Leben gehen. Ganz so ist es natürlich auch nicht, sondern ich glaube, dass uns Leser und Autoren, eint uns die Tatsache, dass wir – wir haben ja keine Macke und wollen es uns mit Psychopathen und Axtmördern auf der Couch gemütlich machen und sagen, das ist jetzt Kultur, wenn wir so was lesen, wenn es wirklich bestialisch zur Sache geht, sondern nein, ganz im Gegenteil: Bücher sind für uns wie eine Art Blitzableiter. Wir brauchen diese Bücher, um tatsächlich dann uns in einem angstfreien Ambiente zu Hause gruseln zu können und uns den Ängsten, die uns in der Realität begegnen, besser stellen zu können. Das ist meine Überzeugung, sonst hätten wir 80 Prozent der Buchleser, die wären dann auch Psychopathen. Aber weder ich bin Psychopath noch die Leser.

Meyer: Wenn ich Sie so höre, müsste es Ihre Bücher eigentlich in der Apotheke geben. Sie sind so der Seelenmasseur der Nation, alle werden ihre Ängste los, weil sie Ihre Thriller lesen?

Fitzek: Ich habe jetzt nicht von meinen Büchern geredet, sondern insgesamt von der Branche, die am meisten gerade, von dem Genre, was am meisten gelesen wird, nämlich Krimi und Thriller. Und wenn ich da eben – da könnte man ja Angst kriegen und sagen … also ich war beispielsweise auf der Lit.Cologne auf einer Veranstaltung, da habe ich eine Lesung halten dürfen vor 4.400 Menschen, die hieß "Literarisches Gemetzel", und da kann man eigentlich … hätte ja der Verfassungsschutz da einschreiten müssen, wenn 4.400 Leute sich unter dem Thema Gemetzel treffen und sich dann amüsieren über gruselige Szenen. Nein, ich glaube eben, dass solche Bücher als Ventil eben wichtig sind, nicht nur meine, sondern generell. Und ich persönlich beispielsweise habe ein viel größeres Problem mit Sachbuchdarstellungen, wo ich eben nicht sagen kann, oh, das hat es nicht gegeben, das trifft mich nicht, wo ich nicht meine Ängste zwischen den Buchdeckeln einsortieren kann und eben mit dem Buch sozusagen die Ängste dann in das Regal einsortieren kann.

Meyer: Man kann aber auch sagen, Sachbücher pflegen einen ernsthaften Umgang mit solchen Themen, und Sie beuten praktisch das Böse aus, um damit Bücher zu verkaufen.

Fitzek: Ich würde es fast, also eher – also wenn man überhaupt den Vorwurf machen kann, müsste es eigentlich eher umgedreht sein, weil das Sachbuch, häufig beispielsweise bei … ich habe mit vielen Profilern gesprochen, auch mit Rechtsmedizinern, ja? Wenn man sich Sachbücher, wie beispielsweise "Der Menschenleser" vorliest, dann kommt man dahinter, dass vielfach hier Klischees bedient werden – nicht bedient werden, sondern es ist tatsächlich so, dass oftmals das Böse stumpf ist, das Böse keine Motivation hat, das Böse einfach existiert. Und da müsste man sagen: Na ja, was hilft mir das jetzt, das zu lesen? Also da kann ich auch die Zeitung sozusagen aufschlagen – das ist ein gutes Buch, ich will es jetzt nicht schlecht machen, sondern ich will nur sagen, wenn Sie überhaupt einen Vorwurf machen müssen, dann eher den Sachbuchautoren, die das plakativ darstellen, wohingegen der Autor – wenn es denn ein gutes Buch ist – sich immer die Mühe macht, die Motivation zu hinterfragen, aber da sind wir häufig im Bereich der Fiktion, denn wie gesagt, leider gibt es in der Realität oftmals überhaupt gar keine Motivation.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, in unserer Themenwoche über das Böse reden wir mit dem Erfinder ausgesprochen böser Figuren, dem Thriller-Autor Sebastian Fitzek. Noch mal zurück zu dem Beispiel, dieser Augensammler mit den Augen der Kinder – ist das schon so die Grenze des Bösen, was Sie sich auszudenken vermögen oder geht das noch deutlich weiter, schlimmer?

Fitzek: Ja, wie gesagt, dadurch, dass Sie dann immer auf die Augen selber – ist natürlich auch klar, weil es ja im Titel liegt – zurückkommen, in dem ganzen Buch findet sich nicht eine einzige Beschreibung, wie das Auge herausgelöst wird. Aber sehr wohl werden die Sorgen und Ängste eines Vaters beschrieben, der auf der Suche nach seinem Kind ist. Und es wird die Motivation desjenigen beschrieben, der aus einem ganz bestimmten Grund, der für viele Leser im Übrigen schrecklicherweise sogar nachvollziehbar war, diese grausamen Taten begeht. Einen Psychothriller liest man eben nicht wegen der äußeren Gewaltdarstellung, man liest ihn wegen der inneren düsteren Seelenlandschaft und vor allen Dingen wegen der Entwicklung der Charaktere.

Meyer: Sie haben ja vorhin auch schon angesprochen, dass vor allem Frauen Ihre Bücher lesen und sich öfter mal zu Wort melden und sagen: Mach doch bitte noch ein bisschen blutiger. Können Sie sich das erklären, warum sind es vor allem Frauen?

Fitzek: Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht so hundertprozentig, aber es ist wirklich sehr skurril. Es gibt sogar bei uns im Verlag ein geflügeltes Sprichwort, das heißt: Je härter, desto Frau. Das heißt also, je expliziter etwas dargestellt wird, desto mehr lesen es Frauen, desto häufiger schreiben es im Übrigen auch Frauen. Wenn man sich also Tess Gerritsen, Jilliane Hoffman, Karin Slaughter, wo Nomen ja sogar Omen ist – also da geht es viel, viel, viel härter zur Sache als beispielsweise in meinen Büchern, aber ich weiß nicht. Ich war jetzt zweimal bei der Geburt meiner Kinder anwesend im Kreissaal, also zumindest habe ich da gelernt, warum Frauen vielleicht dann doch das stärkere Geschlecht sind. Also Schmerzen können sie auf jeden Fall besser ertragen, als ich es könnte.

Meyer: Und wenn die Frauen von Ihnen, Leserinnen von Ihnen, mehr Blutzoll verlangen, geben Sie dem nach?

Fitzek: Nein, überhaupt nicht. Ich bin angetreten damals, als ich 2006, als mein erstes Buch "Die Therapie" veröffentlicht wurde. Ich wollte immer ein Buch schreiben, was ich selber gerne lese. In meinem allerersten Buch beispielsweise, da steht schon auf dem Klappentext "Keine Spuren, keine Zeugen, keine Leiche", das ist schon mal ein Wunder, dass es sich überhaupt verkauft hat als Thriller. Und ich habe auch ein Buch wieder in Planung, wo genau das Gleiche draufstehen könnte, wo es keine Leichen gibt. Weil wie gesagt, ich beschäftige mich gerne mit Ängsten, und auch gerne mit dem Bösen. Aber das Böse zeigt sich ja nicht nur in einer Blutspur, die über Fliesen sich zieht, sondern das Böse zeigt sich beispielsweise auch in Form von häuslicher Gewalt, das Böse zeigt sich in den Abgründen der menschlichen Seele, die sind vielfältig.

Meyer: Wir versuchen ja hier, in dieser Themenwoche die Natur des Bösen zu erkunden. Ich weiß nicht, wie weit Sie da als Thrillerautor sich an eine Antwort herangeschrieben haben. Warum sind Menschen überhaupt böse?

Fitzek: Ich glaube, dass natürlich keiner sich dazu bewusst entscheidet: Heute bin ich böse. Ich glaube, dass es tatsächlich in der Natur des Menschen liegt, dass in uns ein Kampf ist, und zwar in jedem Menschen. Einfaches Beispiel, wenn ich Ihnen jetzt die Möglichkeit geben würde – Sie hätten die Wahl, im Supermarkt sollen Sie 1.000 Konservendosen stapeln, oder sie können eine strategisch geordnete rausziehen und dabei zuschauen, wie die Pyramide wieder zusammenfällt. Ich glaube, mehr als die Hälfte der Menschen würden sich für die zweite Option entscheiden.

Meyer: Klar, ist ja interessanter.

Fitzek: Ja, es ist interessanter, und das andere ist Arbeit. Und das Produkt unserer Erziehung, das formt uns hoffentlich, dass wir positiver etwas konstruktiv machen. Aber in uns drinnen, in jedem vom uns ist auch etwas Destruktives. Und diese beiden Seiten der Medaille, die sind wahrscheinlich sogar wichtig, denn würde es das Böse nicht geben, könnten wir das Gute gar nicht wertschätzen.

Meyer: Böse Gestalten im Thriller beim Autor Sebastian Fitzek. Sein aktuelles Buch heißt übrigens "Der Augenjäger", im Droemer Verlag erschienen. Besten Dank für das Gespräch!

Fitzek: Danke auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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