Ibsen - real und virtuell
Die starke Hjördis will nur den Stärksten zum Mann nehmen: Er muss sich den Weg zu ihrem Bett erkämpfen, indem er den Eisbären in ihrer Schlafkammer erschlägt. Gunnar schickt seinen Freund Sigurd vor: Der erlegt den Bären, gibt sich im Dunkel der Nacht für Gunnar aus, und so heiratet Gunnar schließlich Hjördis, Sigurd vermählt sich mit der zarten Dagny. Falls die Geschichte bekannt vorkommt: Der den "Helden auf Helgeland" zugrunde liegende Sagenstoff ist eng verwandt mit dem Nibelungenlied.
Die Schauspielhaus-Inszenierung lässt das Geschehen während der ersten 20 Minuten in zwei Welten zugleich ablaufen: Auf der Bühne und in der virtuellen Welt des Internets, im Second Life. Dort haben zwei Computerspezialisten ein "Bühnenbild" aufgebaut mit grünen Fjorden und Wikingerschiff, verschneiten Höhen und Heldenhalle. Die Zuschauer im Theater sehen das projiziert auf eine riesige Leinwand. Vor ihr sitzen die sechs Schauspieler in einem nüchternen Büroraum an Computern und sprechen über Headsets die Dialoge ihrer Avatare. Dies hört wiederum genau so auch der Zuschauer im Internet, während er das Leinwandgeschehen verfolgt.
Das allerdings ist ärmlich: Die Figuren bewegen sich abgehackt wie in einem schlechten Zeichentrickfilm. Das Schwerterschwingen und Muskeln aufpumpen dieser Playmobil-Wikinger ruft bei den Zuschauern im realen Theatersaal Lachsalven hervor. Die Tonspur dazu ist jedoch großes Hollywoodkino: Mitreißend synchronisieren die Schauspieler ihre Avatare, noch verstärkt durch martialische Musikuntermalung. Die gefühlvollen Stimmen treten in eine seltsame Spannung zu den comic-haften Bildern: Als schauten wir einem Jugendlichen über die Schulter, dessen Computerspiel wir komplett bescheuert finden, aber plötzlich interessieren wir uns für die Gefühle, die ihn zum Spiel animieren.
Dann: Ein Knall. Eine Sylvestertischbombe explodiert, Konfettiregen, grelles Licht, die Party beginnt und beendet vorerst den Internet-Teil. Denn nun gibt es auch im ersten Leben genügend Plattformen zur Selbstdarstellung: Die Paare Gunnar/Hjördis und Sigurd/Dagny versuchen sich beim Tanzen gegenseitig zu überbieten an erotischen Posen und akrobatischen Verrenkungen. Stets angestachelt von der unzufriedenen Hjördis, die sich in ihrer Ehe gefangen fühlt und den Triebstau kräftig an allen anderen auslässt. So kommt die Wahrheit ans Licht: Bei Ibsen der Beginn eines bürgerlichen Beziehungsdramas.
Jede der Figuren erzählt nun nämlich die Geschichte jener Nacht, da Sigurd den Eisbären erschlug und sich zu Hjördis legte, aus ihrer Perspektive. Immer neuen Wendungen und Verwerfungen des Gefühls folgen wir atemlos: Regisseur Roger Vontobel verlässt sich da ganz auf seine hervorragenden Schauspieler, nur noch ab und an benutzt er Internet bzw. Leinwand als stumme Ergänzung zum Bühnenbild. Jana Schulz als Hjördis scheitert mit großer Geste, wie 20 Jahre später Ibsen es seiner "Nora" auf den Leib schreiben wird: Sie erkennt, dass Sigurd sie wirklich geliebt hat. Der jedoch hat sich in der bürgerlichen Idylle mit Dagny mittlerweile eingerichtet. Hjördis bleibt allein mit ihrer Leidenschaft und ihrer Sehnsucht nach großen Taten: Die drei anderen sind nicht einmal zum Abenteuer einer Scheidung bereit.
Dem dreißigjährigen Roger Vontobel gelingt mit dieser Inszenierung zweierlei: Die überzeugende Wiederbelebung eines vergessenen Ibsen-Dramas und eine vielschichtige Reflexion über das Verhältnis zweier Kunstwelten: Der des Internets und der des Theaters. Auch wenn sie eines Tages technisch perfekt sind, werden die Avatare nie die Schauspieler ersetzen. Bestenfalls werden beide Künste wie Kino und Theater nebeneinander existieren. Das Internet ist eine wunderbare Projektionsfläche für Gefühle, aber es kann nur die Sehnsucht nach Berührung anheizen, es bietet nie die Berührung selbst. Wenn am Ende aller Spiele und Verabredungen keine leibhaftige Begegnung steht, führen alle Anstrengungen im Second Life nur zu Triebstau. Wie bei Hjördis, die schließlich schreiend auf dem Tisch steht und die anderen vergeblich auffordert, ihr Heldenspiel mitzuspielen. Ihre Verzweiflung ist berechtigt: So toll ist die bürgerliche Realität auch nicht.
Die Helden auf Helgeland
Von Henrik Ibsen
Regie: Roger Vontobel
Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Das allerdings ist ärmlich: Die Figuren bewegen sich abgehackt wie in einem schlechten Zeichentrickfilm. Das Schwerterschwingen und Muskeln aufpumpen dieser Playmobil-Wikinger ruft bei den Zuschauern im realen Theatersaal Lachsalven hervor. Die Tonspur dazu ist jedoch großes Hollywoodkino: Mitreißend synchronisieren die Schauspieler ihre Avatare, noch verstärkt durch martialische Musikuntermalung. Die gefühlvollen Stimmen treten in eine seltsame Spannung zu den comic-haften Bildern: Als schauten wir einem Jugendlichen über die Schulter, dessen Computerspiel wir komplett bescheuert finden, aber plötzlich interessieren wir uns für die Gefühle, die ihn zum Spiel animieren.
Dann: Ein Knall. Eine Sylvestertischbombe explodiert, Konfettiregen, grelles Licht, die Party beginnt und beendet vorerst den Internet-Teil. Denn nun gibt es auch im ersten Leben genügend Plattformen zur Selbstdarstellung: Die Paare Gunnar/Hjördis und Sigurd/Dagny versuchen sich beim Tanzen gegenseitig zu überbieten an erotischen Posen und akrobatischen Verrenkungen. Stets angestachelt von der unzufriedenen Hjördis, die sich in ihrer Ehe gefangen fühlt und den Triebstau kräftig an allen anderen auslässt. So kommt die Wahrheit ans Licht: Bei Ibsen der Beginn eines bürgerlichen Beziehungsdramas.
Jede der Figuren erzählt nun nämlich die Geschichte jener Nacht, da Sigurd den Eisbären erschlug und sich zu Hjördis legte, aus ihrer Perspektive. Immer neuen Wendungen und Verwerfungen des Gefühls folgen wir atemlos: Regisseur Roger Vontobel verlässt sich da ganz auf seine hervorragenden Schauspieler, nur noch ab und an benutzt er Internet bzw. Leinwand als stumme Ergänzung zum Bühnenbild. Jana Schulz als Hjördis scheitert mit großer Geste, wie 20 Jahre später Ibsen es seiner "Nora" auf den Leib schreiben wird: Sie erkennt, dass Sigurd sie wirklich geliebt hat. Der jedoch hat sich in der bürgerlichen Idylle mit Dagny mittlerweile eingerichtet. Hjördis bleibt allein mit ihrer Leidenschaft und ihrer Sehnsucht nach großen Taten: Die drei anderen sind nicht einmal zum Abenteuer einer Scheidung bereit.
Dem dreißigjährigen Roger Vontobel gelingt mit dieser Inszenierung zweierlei: Die überzeugende Wiederbelebung eines vergessenen Ibsen-Dramas und eine vielschichtige Reflexion über das Verhältnis zweier Kunstwelten: Der des Internets und der des Theaters. Auch wenn sie eines Tages technisch perfekt sind, werden die Avatare nie die Schauspieler ersetzen. Bestenfalls werden beide Künste wie Kino und Theater nebeneinander existieren. Das Internet ist eine wunderbare Projektionsfläche für Gefühle, aber es kann nur die Sehnsucht nach Berührung anheizen, es bietet nie die Berührung selbst. Wenn am Ende aller Spiele und Verabredungen keine leibhaftige Begegnung steht, führen alle Anstrengungen im Second Life nur zu Triebstau. Wie bei Hjördis, die schließlich schreiend auf dem Tisch steht und die anderen vergeblich auffordert, ihr Heldenspiel mitzuspielen. Ihre Verzweiflung ist berechtigt: So toll ist die bürgerliche Realität auch nicht.
Die Helden auf Helgeland
Von Henrik Ibsen
Regie: Roger Vontobel
Deutsches Schauspielhaus Hamburg