Ian Stewart: „Wetter, Viren und Wahrscheinlichkeit“
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Vom Wunsch, den Zufall zu bändigen
06:46 Minuten

Ian Stewart
Übersetzt von Monika Niehaus, Bernd Schuh
Wetter, Viren und Wahrscheinlichkeit. Wie wir die Ungewissheiten des Lebens berechenbar machenRowohlt, Hamburg 2022394 Seiten
22,00 Euro
Ungewissheit gehört zum Leben. Das zeigt der britische Mathematiker Ian Stewart auf eindrucksvolle Weise. Er blickt dabei zurück auf all das, was Menschen tun, um Lebensrisiken und Chancen berechenbar zu machen.
Noch vor drei Jahren hat auch der britische Mathematiker noch keine weltweite Pandemie und einen Krieg in Europa vorhersagen können. Daher ist die deutsche Ausgabe des bereits 2019 auf Englisch erschienenen Buchs durch ein aktuelles Vorwort von Ian Stewart zu Covid-19 ergänzt, in dem er die modernen Verfahren vorstellt, die die Ausbreitung von Krankheiten möglichst realistisch simulieren sollen.
Sein Buch wirft insgesamt einen Blick zurück auf die Strategien, mit denen der Mensch im Laufe seiner Existenz versucht hat, den Zufall zu bändigen.
Sechs Zeitalter der Ungewissheit
Sechs Zeitalter der Ungewissheit macht er aus, in denen das Chaos zunächst durch Götterglaube und das Lesen aus Eingeweiden gebändigt werden sollte, bis immer ausgefeiltere mathematische Methoden dazu beitrugen, die Eintrittswahrscheinlichkeiten und Risiken verschiedenster Ereignisse abzuschätzen.
Ob Glücksspiel, das Wetter, die Entwicklung der Finanzmärkte oder die Vorgänge im Atom – viele Systeme entwickeln sich nach scheinbar zufälligen Mustern. Ian Stewart untersucht die Chancen auf verschiedenen Gebieten im Detail. Seine Berechnungen machen deutlich, unter welchen Bedingungen sich mehr oder weniger sichere Vorhersagen machen lassen und wo die Fallstricke mancher Risikoeinschätzungen liegen.
Allgemein verständliches Sachbuch
Die hohe Präzision seiner Schilderungen und Herleitungen ist dabei für ein allgemein verständliches Sachbuch durchaus bemerkenswert. Eine gewisse Unerschrockenheit gegenüber mathematischem Fachvokabular ist für die Lektüre definitiv von Vorteil.
Dennoch hat Ian Stewart kein Studienbuch geschrieben, sondern einen erhellenden Überblick über die Geschichte und Möglichkeiten der Wahrscheinlichkeitsrechnung vorgelegt. Darin widmet er sich dem Durchschnittsmenschen ebenso wie dem Schmetterlingseffekt und der Aussagekraft medizinischer Studien, den Pionieren der Wahrscheinlichkeitsrechnung ebenso wie modernen theoretischen Ansätzen.
Spannende Einblicke auch in die Quantenwelt
Spannend und ein wenig unorthodox sind seine Ausführungen zur unvorhersehbaren Natur der Quantenwelt: Sind die Vorgänge im Atom wirklich zufällig oder gibt es dafür einen verborgenen deterministischen Mechanismus, der sich bislang unserem Verständnis entzieht? Obwohl die gängige Deutung das verneint, kann diese Möglichkeit nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Dass er Unsicherheit nicht nur als Problem behandelt, sondern auch nützliche Aspekte des Zufalls berücksichtigt, rundet sein Buch ab.
Der Wunsch, die Zukunft zu kennen, um das eigene Leben besser planen zu können, wird sich auch weiterhin nicht erfüllen. Aber nach der Lektüre von Ian Stewarts „Wetter, Viren und Wahrscheinlichkeit“ weiß man wenigstens, warum der Vorhersagbarkeit so enge Grenzen gesetzt sind.