Ian Anderson wird 70 Jahre alt

Rock-Revolutionär im Storchenschritt

Ian Anderson, Gründer und musikalischer Kopf der Gruppe "Jethro Tull"
Ian Anderson, Gründer und musikalischer Kopf der Gruppe "Jethro Tull" © imago stock&people
Tilmann Dehnhard im Gespräch mit Haino Rindler · 10.08.2017
Die Flöte war kein Instrument für die Rockmusik. Bis er kam: Ian Anderson. Nach Einschätzung des Musikkritikers Tilmann Dehnhard hat auch das Auftreten des "Jethro Tull"-Sängers als eine Art Gaukler dem Instrument wieder verpasst.
Rauschebart, lange Haare, wilde Klamotten, und in der Hand eine Flöte: Ian Anderson, Gründer und musikalischer Kopf der Gruppe "Jethro Tull", hat etwas vom Rattenfänger von Hameln. So augenzwinkernd-schräg die Erscheinung, so revolutionär ist das, was Ian Anderson musikalisch geleistet hat.
Die Flöte ist nicht gerade ein Instrument, das man mit der Rockmusik in Verbindung bringt. Dass die Flöte dennoch einen gebührenden Platz im Rock-Olymp hat, ist das Verdienst von Ian Anderson: der Gründer und Frontmann der Formation "Jethro Tull" hat die Flöte im Rock-Instrumentarium verankert. Sein Flötenspiel ist dabei keine kultiviert-feine Kunstdarbietung, sondern lebt von der Verfremdung und der Erweiterung der klanglichen Möglichkeiten des Instruments

Das große Aushängeschild

Der renommierte Jazz-Flötist Tilmann Dehnhard betont im Gespräch, dass Ian Anderson die zeittypische Erweiterung der Flöten-Spieltechniken in die Rockmusik transportiert hat: "Das Interesse an modernen Spieltechniken war in den 60er Jahren ohnehin groß. In der Rockmusik stand Ian Anderson jedoch ziemlich alleine mit seinem Instrument. Entsprechend ist er auch das große Aushängeschild geworden."

Dabei wirken diese ungewöhnlichen Spieltechniken nicht nur vom Gestus her bereichernd und "wilder", sondern haben auch eine musikalische Funktion, wie Tilmann Dehnhard betont: "Die Flöte ist ein leises Instrument, das dynamische Spektrum ist nicht so groß – wenn man nun zum Spiel singt oder summt oder grunzt, wird es wesentlich lauter. So hat Ian Anderson dem Instrument etwas hinzugefügt und dafür gesorgt, dass die Flöte im Rock-Kontext überhaupt klingt."
Auf diese Weise hat Ian Anderson auch dem insgesamt eher braven Image der Querflöte aufgeholfen, wie Tilmann Dehnhard betont: "Die Querflöte war vom Standing her eher an der Blockflöte als am Saxophon, und meilenweit entfernt von der E-Gitarre – dem Instrument Nr. 1 für den geneigten männlichen Rockmusiker."

Gaukler-Inszenierung als Alleinstellungsmerkmal

Doch nicht nur der musikalische Befund, sondern auch die markante optische Erscheinung, die Tilmann Dehnhard als "bewusste Inszenierung" bezeichnet, hat dazu beigetragen, dass man sich an den flötespielenden Rockmusiker Ian Anderson erinnert: "Die Idee, sich in den Storchenschritt zu begeben beim spielen und sich ein bisschen flippig, als Gaukler zu inszenieren, hat das Ganze auch nach vorne gebracht."

So verbinden sich Persönlichkeit und musikalische Leistung zu einem Ganzen, das man mit dem konventionellen Begriff von einer Rock-Gruppe nicht vollständig fassen kann: "Anderson war eine Art Konzeptkünstler, die Band hat Geschichten erzählt, und dementsprechend ging es weit mehr als nur darum, dass da ein Mann Flöte gespielt hat."