“I read my bible very well”

Von Claus Fischer · 20.06.2009
Das Jahr 2009 ist ein Gedenkjahr für gleich drei große Komponisten - auch für Georg Friedrich Händel. Er gilt als erster Weltstar unter den Komponisten. Doch war sein Glaube auch weltläufig?
Georg Friedrich Händel stammt aus gut bürgerlichem Hause. Vater Georg ist Wundarzt und Leibchirurg des Herzogs August von Sachsen-Weißenfels, Mutter Dorothea geb. Taust die Tochter eines lutherischen Pfarrers.
Dremel: "Er ist halt ordentlich lutherisch getauft und entsprechend sozialisiert worden …"

erzählt der Theologe und Musikwissenschaftler Erik Dremel von der Hallenser Martin-Luther Universität. Da Vater Georg Händel wohlhabend genug ist, um für die alltäglichen Arbeiten im Haus Personal zu beschäftigen, kann sich die Mutter ganz der Erziehung ihrer drei Kindern widmen..."

"Sie besaß angenehme Gemüts- und Geistesgaben ..."

heißt es im Nachruf auf Dorothea Händel. Zu diesen Fähigkeiten
gehört ganz sicher das Singen, vielleicht auch das Cembalospiel ...

Dremel: "Es ist bekannt, daß seine Mutter noch in ihrem hohen Lebensalter Choräle für sich zuhause gesungen hat und Andacht gehalten hat, d.h. es war ein normal frommes, kirchentreues Haus, in dem er groß geworden ist."

Ab seinem achten Lebensjahr bekommt Georg Friedrich Händel Orgel- und Kompositionsunterricht bei Friedrich Wilhelm Zachow, dem Kantor der lutherischen Marktkirche zu Halle. Er unterrichtet ihn auf der kleinen Orgel des Gotteshauses, die Georg Reichel im Jahr 1664 erbaut hatte.

Das einmalige Instrument mit sechs Registern ist für ein Kind, dessen Füße für ein Pedal sowieso zu kurz sind, hervorragend geeignet. Die Reichel-Orgel ist übrigens bis heute nahezu unverändert geblieben, sie stellt heute das bedeutendste klingende Händel-Dokument in Deutschland dar ...

Noch während seiner Schülerzeit soll der junge Georg Friedrich Händel seinen Lehrer Zachow an der Orgel vertreten haben, ja, es ist sogar anzunehmen, daß er spätestens in der Pubertät erste eigene Werke für die Gottesdienste in der Marktkirche komponiert …

Dremel: "Es gibt diesen Ausspruch, daß er jede Woche eine Kantate geschrieben hat, und das heißt ja, dass er sich ja so ein bisschen in der Tradition des lutherischen Kantors gesehen hat, der wöchentlich seine Kirchenmusik schreibt …"

Ein Werk aus dieser Zeit ist erhalten, allerdings kann man nur vermuten, dass es vom jungen Händel stammt...

Im Jahr 1702, Händel ist 17 Jahre alt, beruft man ihn zum Interims-Organisten der Gemeinde am Hallenser Dom. Sie ist eine Gründung protestantischer Glaubensflüchtlinge aus Frankreich, beruft sich also nicht auf Martin Luther, sondern den Genfer Reformator Johannes Calvin.

Da der eigentliche Organist wegen Trunksucht seinen Dienst nicht mehr versehen kann, zeigten sich die Gemeindeleiter bereit, den jungen begabten Musiker vorübergehend einzustellen. Der konfessionelle Unterschied - Händel war ja Lutheraner - ist dabei anscheinend kein Problem.

Dremel: "Es steht auch in den Akten: "Das lutherische Subjekt Händel würde jetzt diesen Dienst versehen …"

Bereits ein Jahr später wird Halle Händel jedoch zu eng, er geht für drei Jahre nach Hamburg.
Die Stadt ist für einen jungen Organisten ein besonders interessantes Ziel, da hier seit 1702 der große Vincent Lübeck, einer der angesehensten Virtuosen seiner Zeit, tätig ist.

Da Lübeck jedoch bis zu 20 Talern pro Monat fürs Unterrichten nimmt, dürfte dieser Traum schnell geplatzt sein. Wo Händel sich weiterbildete, kann man heute nicht mehr sagen. Sein Komponistenkollege Johann Mattheson überliefert lediglich ...

"Er ist stark auf der Orgel in Fugen und Kontrapunkten und dazu des Improvisierens kundig ..."

Schröder: "Händel hatte auch, nach allem was man weiß und das ist ja nicht viel, wohl zuerst den Berufswunsch Organist ..."

vermutet die Hamburger Musikwissenschaftlerin Dorothea Schröder. Vielleicht sind es die ungünstigen Möglichkeiten der Weiterbildung, die ihn schließlich zur Oper führen. Er wird Cembalist im aus am Hamburger Gänsemarkt und schreibt bald selbst erste musikdramatische Werke. Doch bald ist ihm klar: um ein Meister zu werden, muß er ins Stammland der Oper reisen, nach Italien ...

Im Sommer 1706 trifft Händel in Rom ein. Dort nimmt Marchese Francesco Maria Ruspoli, einer der reichsten Männer Italiens, ihn in seinen Haushalt auf. Händel bekommt keine Dienstbortenkammer, sondern ein komfortables Appartement. Im Gegenzug verpflichtet er sich, Musik für die Abendgesellschaften im Hause Ruspoli zu komponieren. Da in der Nachbarschaft die Villen der Kardinäle Pamphili, Colonna und Ottobini zu finden sind, schreibt er auch bald Sakralmusik für die römisch-katholische Messe ...

Dremel : " »Wir wissen ja, daß mehre Kardinäle sich mit ihm schmückten und ihn auch entsprechend förderten und unterstützen. Er wird diesen Zusammenhang
Von kulturellem leben und katholischen Gottesdiensten dort in jedem Fall am eigenen Leibe erfahren haben und mitgemacht haben …""

meint der Hallenser Musikwissenschaftler Erik Dremel. Und seine Hanburger Kollegin Dorothea Schröder ergänzt, dass sich der junge Händel am Tiber auch wieder der Orgel zuwandte ...

Schröder: "”Wir wissen aus einer römischen Chronik, dass am 14. Januar 1707 ein junger Deutscher, ein Sassone, auf der Orgel von San Giovanni, und damit ist sicher San Giovanni in Laterano gemeint, ein Konzert gab und die Römer in Begeisterung versetzt hat. Die Orgel von Luca Blasi war damals die größte in Rom, es war also sicher eine Auszeichnung für Händel, dass er darauf spielen durfte.

Sie war keine neue Orgel mehr, sondern schon 1599 gebaut für das Heilige Jahr 1600 und deshalb für italienische Verhältnisse besonders prachtvoll ausgestattet. Für deutsche Orgelkenner vielleicht ein eher kleines Instrument, es hatte nämlich nur ein Manual und ein kleines daran gekoppeltes Pedal, es ist also kein Instrument, da man mit den großen Stadtorgeln in Nord- oder Mitteldeutschland vergleichen kann.""

Nach seinen sehr erfolgreichen Lehr- und Wanderjahren in Italien wird Händel zum Hofkapellmeister des lutherischen Kurfürsten Georg Ludwig von Hannover, des späteren britischen Königs George I.. Lange hält er es an der Leine jedoch nicht aus. Schon nach wenigen Monaten, erzählt der Theologe und Musikwissenschaftler Erik Dremel aus Halle, zieht es ihn auf die britischen Inseln …

Dremel: "Dass er überhaupt nach England gekommen ist, ist natürlich auch seinem Luthertum zu verdanken, weil natürlich der Georg I. von Hannover ein lutherischer König war und deswegen als Protestant um die katholische Thronfolge zu umgehen extra gewählt wurde. Daß er dann seinen lutherischen Hofkapellmeister mitbringt ist ja völlig einleuchtend."

Dremel: "Es ist auch da wieder auffällig, dass er von Anfang an Kirchenmusik geschrieben hat für die Chapel Royal, also für die königliche Kapelle in London
Und es war ihm offenbar ein Anliegen, dass seine Musik in den königlichen Hofgottesdiensten aufgeführt wird."

Trotzdem, unter seinem Dienstherrn George I., der als Oberhaupt der anglikanischen Kirche selbstverständlich anglikanisch werden musste, wechselt auch Händel de facto die Konfession. Auf dem Papier gehört er ab 1727 zur englischen Staatskirche, denn König Georg I hat ihm zuvor die britische Staatsbürgerschaft verliehen. Ohne diese Voraussetzung hätte er z. B. keine Krönungsmusik für dessen Sohn Georg II. komponieren dürfen.

In seinen besten Jahren als Komponist in London war Händel konfessionell also ein "Beute-Anglikaner". Seine mitteldeutsche lutherische Herkunft hat er jedoch nie über Bord geworfen, meint der Hallenser Musikwissenschaftler und Theologe Erik Dremel ...

Dremel: "Einerseits kann man das festmachen, dass er in mehreren Werken dieser Zeit lutherische Kirchenchoräle zitiert und dass er an dieser berühmten Stelle wo er für die Krönungsanthems Textvorgaben bekommt vom Hofmarschall, dann sagt, er hätte ja als Lutheraner selber seine Bibel gelesen, er könne das auch selber auswählen und entscheiden, da bräuchte er nicht die Geistlichkeit."

"Im read my bible very well", dieser Satz kennzeichnet zweifellos den Sohn einer lutherischen Pfarrerstochter aus Mitteldeutschland, der vor allem durch seine großen Oratorien, allen voran den "Messias" zum Inbegriff für anglikanische Sakralmusik geworden ist ...

Am 14. April 1759 stirbt Georg Friedrich Händel in London. Bestattet wird er in der altehrwürdigen Westminster Abbey neben zahlreichen anderen Geistesgrößen Englands wie z.B. dem Physiker Issak Newton, als einziger Nicht-Anglikaner. Kurz vor seinem Tod, so erzählt der Fernsehjournalist und Händelkenner Rolf Seelmann-Eggebert bricht sich sein lutherischer Glaube noch einmal letzte Bahn ...

Seelmann-Eggebert: "Der wollte Karfreitag sterben, nicht, Karfreitag war der von ihm gewünschte Termin, um Christus gegenüberzutreten, hat nicht ganz geklappt, ist Samstag geworden, aber aus dieser Perspektive erfährt man aber, daß es ein gläubiger Mensch gewesen ist."