Hyperrealistisch anmutende Fotografien

11.07.2010
Farbenfrohe Gebilde in bizarren Formen und mit Oberflächenstrukturen, die an Tiefseelebewesen und bunte Bonbons erinnern - der Bildband "Die unglaubliche Welt der Pflanzen" zeigt Bestandteile von Blütenpflanzen in Nahaufnahme.
Nicht allein ihre Größe beeindruckt den Menschen seit Jahrhunderten. Die dicke braune Seychellennuss erinnert auffällig an einen weiblichen Unterleib, was vor allem seemüde Matrosen zu allerlei Legendenbildung über ihre Herkunft anregte.

Der neue Bildatlas "Die unglaubliche Welt der Pflanzen" aus dem Gerstenberg Verlag, geschrieben von dem botanisch hoch beschlagenen Autorenduo Wolfgang Stuppy und Madeline Harley und fotografisch in Szene gesetzt von dem Londoner Designprofessor Rob Kesseler, eröffnet Einblicke in die Geheimnisse der Pflanzenwelt, wie man sie bislang nicht zu sehen bekam.

Die Seychellennuss etwa, größter Samen der Erde, versteckt in ihrem Inneren, umgeben von einem ausufernden Nährgewebe, einen vergleichsweise winzigen Embryo. Sorgfältig aufgeschnitten und auf tiefschwarzem Hintergrund platziert, wirken die Nuss mit ihrem fleischigen Nährgewebe und dem kleinen Sprössling darin als könne man die Hand ausstrecken und sie berühren.

Jede der tiefschwarzen Seiten wartet mit neuen, beeindruckenden Fotografien auf. Meist zeigen sie solche Pflanzenbestandteile, die sich dem bloßen Augenschein entziehen. Zartgrün, grell lilafarben, poppig bunt, ausgestattet mit filigranen Fäden, martialischen Stacheln, seltsamen Schlitzen oder puderbestäubten Rundungen leuchten Pflanzenpollen, Blütenblätter und Samenkapseln dem Betrachter entgegen.

Um diese Fotografien möglich zu machen, hat der Künstler Rob Kesseler hochmoderne Rasterelektronenmikroskopie mit digitaler Farbgebung vermählt. Entstanden sind Aufnahmen von sonderbar hyperrealistischer Anmutung.

Flankiert wird all die Augenweide von leicht verständlicher, botanischer Sachinformation. Ausführlich berichten die Autoren von den Unterschieden zwischen Sporen, Pollen und Blütenstaub, erzählen von den raffinierten Tricks der Gewächse, um ihren Pollen unter die Fortpflanzungspartner zu bringen, beleuchten Bestäubungskooperationen mit Insekten, Vögeln oder Fledertieren und geben Einblicke in das botanische Betrugswesen.

Denn längst nicht jede fleischige Frucht, die einen Vogel oder eine Biene herbeilockt, belohnt den Besuch auch mit einem Leckerbissen. Vor allem unter Hülsenfrüchtlern, so die Autoren, ist der "Fruchtbetrug" durch geschmacklose oder gar ungenießbare Fakes keine Seltenheit.

Weil das Buch sich in erster Linie an die Sinne und nur in zweiter an den Intellekt wendet, ist es nur konsequent, wenn die Autoren den Fließtext nicht mit Abbildungsnachweisen und kleinteiligen Erläuterungen unterbrechen.

Wer Genaueres über die fotografierten Schönheiten erfahren möchte, findet im Anhang nicht nur ein Verzeichnis der deutschen und lateinischen Artnamen, sondern auch kurze Erläuterungen zu den Heimatländern der abgebildeten Pflanzen und ihren wichtigsten botanischen Merkmalen. Eine Bibliografie, die sogar einige deutsche Titel verzeichnet, rundet den bildschönen Pflanzenatlas ab.

Besprochen von Susanne Billig

Wolfgang Stuppy, Madeline Harley, Rob Kesseler: Die unglaubliche Welt der Pflanzen
Aus dem Englischen von Nixe Duell-Pfaff
Gerstenberg Verlag in Kooperation mit dem Magazin natur+kosmos, Hildesheim 2010
144 Seiten, 29,90 Euro