Hype aus Neuseeland

Die Mär von der A2-Milch

Milch
Milch © dpa / picture alliance / Jan-Philipp Strobel
Von Udo Pollmer |
Ein neuer Ernährungshype kommt von Neuseeland nach Deutschland: Die sogenannte A2-Milch soll angeblich gesünder sein als die bei uns übliche. Udo Pollmer hat da seine Zweifel und vermutet hinter der Kampagne ganz andere Interessen.
Von Neuseeland aus geht ein neuer Ernährungshype um die Welt: Nach dem Erfolg der fettarmen und der lactosefreien Milch schwappt nun die A2-Milch nach Europa. Natürlich soll sie "gesünder" sein als die bei uns übliche Milch, diese würde nämlich Zivilisationskrankheiten hervorrufen.
A2-Milch heißt fachsprachlich eine Milch, deren ß-Casein – einer von vielen Eiweißbestandteilen – nach einer biochemischen Klassifizierung zufällig das Kürzel A2 bekam. Es gibt zahlreiche weitere Varianten. Jedes Rind hat in seiner Milch eine etwas andere Mischung. Dennoch gibt es gewisse Häufungen: Bei europäischen Rindern kommt A1 relativ oft vor, bei indischen Kühen A2, für koreanisches Vieh ist die Variante H typisch.
Natürlich steckt dahinter kommerzielles Interesse
Im Grunde sind die Unterscheidungen nur von akademischem Interesse. Nun aber behaupteten neuseeländische Geschäftsleute, dass unter den ß-Caseinen die A2 Variante besser sei als das in Europa häufigere A1-Casein. Letzteres würde Krankheiten wie Herzinfarkt, Allergien, Kinderdiabetes, Übergewicht und Autismus auslösen. Belege für die Behauptung fehlen, einmal abgesehen von ein paar Zahlenspielereien im Rahmen von Korrelationsstudien.
Natürlich steckt dahinter kommerzielles Interesse. Das Unternehmen, das die A2-Kampagne ausgetüftelt hatte, um seine Milch teurer verkaufen zu können, verklagte unter großem Medienrummel die Konkurrenz und forderte explizite Warnhinweise auf dessen Milchtüten. Die Molkereien auf der ganzen Welt starrten fassungslos auf das tapfere Aufschneiderlein von down under. Natürlich kam es damit vor Gericht nicht durch, natürlich wurden ihm seine eigenen Werbesprüche verboten und eine Geldstrafe trug wohl auch zur Insolvenz bei. Damit sollte der Spuk eigentlich ein Ende haben.
Doch die Idee lebt fröhlich weiter und hat sich dank Internet verselbständigt. All jene, die Rinder halten, die zufällig A2-Milch produzieren, mühen sich nach Kräften, die Mär weiter zu beatmen. Dabei schielen sie auf die Märkte in Europa und China. Deshalb kommen jetzt aus Indien – also der weltweit größten Rindernation – stete Warnungen vor europäischer Milch. Diese Warnungen werden hierzulande wiederum von Schlaumeiern aufgegriffen, die Milch für gefährlich halten und sich dadurch bestätigt fühlen.
Ein Inhaltsstoff, der wie Morphium wirkt
Besonders angetan haben es den Kritikern die sogenannten Exorphine: Im Milcheiweiß sind viele Eiweißschnipsel verborgen, die - salopp gesprochen - Botschaften für die nächste Generation enthalten. Eines davon ist ein Casomorphin, also ein Stoff, der wie Morphium wirkt. Was vielleicht verstörend klingt, ist ein ganz normaler Vorgang. Auch Muttermilch enthält ein Casomorphin. Es sorgt dafür, dass der Säugling nach dem Stillen auch wirklich still ist und schlummert. Deshalb trinken manche Erwachsene vor dem Zubettgehen noch eine Portion Milch - weil sie dann besser einschlafen.
Nun behaupten die A2-Milch-Verkäufer, das Casomorphin des europäischen A1-Caseins würde im Gegensatz zum A2-Casein nicht nur den Schlaf fördern, sondern auch noch zu Geisteskrankheiten wie Schizophrenie führen. Zwar lässt das Argument an der geistigen Gesundheit zweifeln, aber kurioserweise steht dies in einer Patentschrift, die die neuseeländische Milchwirtschaft selbst eingereicht hat. Bei Patenten ist es nicht ungewöhnlich, zur Sicherung seiner Ansprüche wild zu spekulieren – es ist damit alles andere als ein Beleg.
Keinerlei Einfluss auf die Lebenserwartung
In jeder Milch, ja in praktisch allen Eiweißen – auch in pflanzlichen – sind solche Infoschnipsel enthalten. Sie eignen sich wunderbar, je nach Bedarf Angst zu schüren oder Hoffnung zu wecken. So sollen sie nach anderen Publikationen vor Übergewicht, hohem Blutdruck, Osteoporose, Karies und Herzinfarkt schützen. An Argumenten mangelt es nicht, Beweise fehlen auch hier.
In dieser misslichen Lage kommt uns eine aktuelle prospektive Studie aus Holland mit über 34.000 Teilnehmern gerade recht. Ergebnis: Der Verzehr von Milchprodukten aller Art hatte keinerlei Einfluss auf die Lebenserwartung. Wer hätte das gedacht! Mahlzeit!
Literatur
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