Hymne auf die Vergänglichkeit

Von Bernhard Doppler · 16.06.2013
Regisseur Claus Guth und Komponist Herman Oehring hat Henry Purcells Semiopera "The Fairy Queen" zu einem Werk verarbeitet, das mit Texten aus Shakespeares Sonetten und Sylvia Plaths Tagebuch angereichert ist. Der Abend ist bisweilen zu lang - und bisweilen auch zu symbolschwanger.
Welchem Genre man Henry Purcells Semiopera "The Fairy Queen" heute zuordnen sollte, ist nicht einfach: Musiktheater mit Ballett und viel Schauspiel, wobei eine Bearbeitung von William Shakespeares "Sommernachtstraum" die Vorlage bietet, eine Komödie, die gleichfalls auf verschiedenen Ebenen spielt; Liebegeschichten am Hofe zu Athen, Traum-, Feen- und Geisterspiele, dazwischen Rüpelszenen.

Regisseur Claus Guth wollte nicht die festlich heitere barocke Welt Purcells mit ihren allegorischen Figuren auf die Bühne stellen, sondern ihr eine ganz andere, durchaus düstere Handlung unterlegen. Als Partner dafür wählte er den Komponisten Helmut Oehring, um mit ihm auch Purcells Musik in einen neuen Rahmen zu stellen: Der Komponist als Co-Regisseur! (Guth und Oehring hatten bereits zusammen in Düsseldorf Wagners "Fliegenden Holländer" zu der Oper "Sehnsuchtsmeer" weiterentwickelt.)

Nicht die Partitur, sondern das Regiekonzept macht also den Kern der Aufführung aus, oder vielleicht sogar noch zuvor das Setting, die Bühne von Christian Schmidt: auf der Drehbühne eine Wohnung. Ein Mann (Ulrich Matthes) kehrt in die Wohnung seiner Kindheit zurück, Kindheitserinnerungen suchen ihn heim. Die Wohnung bevölkert sich mit verschiedenen Gästen, bis weilen Traumgestalten, oder Feen mit Flügeln: Man überreicht Blumen für eine Feier, ein Glas zerbricht in der Küche. Manche Szenen wiederholen sich in fast unmerklichen Variationen, und die leeren Regale, die Fächer des Schranks in einzelnen Zimmer sind, wenn sie die Drehbühne wieder zeigt, plötzlich mit einigen Gegenständen belegt. Es ist eine traumatische Erinnerung: Die Mutter des Mannes hatte Selbstmord begangen. Man sieht ihre Grabstätte.

Guth und Oehring scheinen sich weit von der Purcell-Shakespeare Vorlage zu entfernen, und kommen paradoxerweise ihrer Grundstruktur gerade dadurch nahe. So wie die frühe Oper noch ein Experiment des Theaters mit Musik ist, so setzt auch Oehrings Musik setzt immer wieder bei Grundsätzlichem, bei den den Anfängen an: zunächst entwickelt aus Geräuschen entwickelt. Wichtig bei Oehring auch die gehörlose Gebärdensolistin (Christina Schönfeld). Ein eindrucksvolles Beispiel: die "tierischen Ausrufe", die der Schauspieler Ulrich Matthes ausstößt, wie Zettel als Esel bei Shakespeare, ein Höhepunkt des Abends.

Die Alte Musik kommt dabei nicht zu kurz, schließlich ist dafür neben der Staatskapelle unter Johannes Kalitzke auch als zweites Orchester die Akademie für Alte Musik unter Benjamin Bayl engagiert, und vor allem eindrucksvolle Sänger wie Marlies Petersen und der Countertenor Benjun Mehta, ja in Wechsel mit Oehrings Musik scheint sie sogar noch eindringlicher ihre Sogwirkung zu entfalten, wobei raffinierte Übergänge zur E-Gitarre oder zum elektronischen Klang überzeugen.

"Aschemond" nennen Oehring und die Librettistin Stefanie Wördemann ihr Werk, das vor allem mit Texten aus Shakepeares Sonetten und Sylvia Plaths Tagebuch angereichert ist. Sie verstehen es als eine "Hymne auf die Vergänglichkeit". Wäre nicht die psychologisch genaue Personenzeichnung Claus Guths, im Libretto drängt sich dann doch zu viel an Symbolhaftigkeit an dem bisweilen auch etwas zu langen Abend in den Vordergrund. Denn nicht eine einzige Sommernacht wie bei Shakespeare, sondern mehr: der Wechsel der Jahreszeiten, der Wechsel von Sonne und Mond wird bedeutungsschwer beschworen, um Werden und Vergehen zu illustrieren. Wie auch immer Oehring und Guths haben dennoch die englische Barock "Semi-Oper" eindrucksvoll weiterentwickelt.