Hymne auf die eigene Familie

Die eigene Familiengeschichte verwebt Luan Starova im "Buch der Mutter" mit der Frage nach der Identität der Balkanstaaten und den Folgen der immer neuen Grenzziehungen für die betroffenen Menschen. Ein spannendes Vorhaben, das einen recht pathetischen Roman hervorgebracht hat.
In den Erinnerungen der Mutter an ferne, glückliche Zeiten nimmt eine Italienreise aus dem Jahr 1939 einen zentralen Platz ein. Damals ist die Mutter in den Besitz eines Modekatalogs des Warenhauses "La Rinascente" gekommen, der zu ihrem wichtigsten Buch wird. Außerdem hat sie in Rom mit dem italienischen Außenminister Graf Ciano getanzt. Die Italienreise der Mutter in Begleitung des Vaters war ein Propaganda-Coup von Mussolinis Chefdiplomaten, der kurz darauf die italienische Besetzung Albaniens organisierte. Diesen politischen Hintergrund hat die Mutter indes, anders als der Vater, kaum zur Kenntnis genommen.

Im "Buch der Mutter" hat der albanisch-makedonische Schriftsteller Luan Starova seiner eigenen Mutter ein Denkmal gesetzt und die wechselvolle Geschichte seiner albanischen Familie zu Papier gebracht. In der deutschen Übersetzung von Will Firth liegt der Band im Klagenfurter Wieser Verlag vor.

Ervehe, die den Schriftsteller und weitere fünf Kinder zur Welt bringt, wird noch zu Zeiten des Osmanischen Reichs im albanisch-griechischen Grenzgebiet geboren. Sie entstammt einer politisch einflussreichen Familie der Bektaschi, die eine mystische Tradition des Islam pflegen. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs kommt Ervehe als Halbwaise zu einer italienischen Tante in Thessaloniki und wird dort in einem Nonnenkloster der Lazaristen unterrichtet. Durch ihre Heirat mit einem Richter siedelt sie nach Pogradec um, ans albanische Ufer des Ohrid-Sees. Während des Zweiten Weltkriegs flüchtet die Familie mit dem zweijährigen Erzähler vor Mussolinis Soldaten in einem Kahn über den See auf die jugoslawische Seite.

Durch den See verläuft bald eine der am strengsten bewachten Grenzen Europas – zwischen Titos Teilrepublik Makedonien und dem Albanien von Enver Hoxha. Eine Rückkehr ist für die Familie unmöglich; in der makedonischen Hauptstadt Skopje lebt sie weiter, ohne heimisch werden zu können. Der Vater treibt wenig anerkannte Studien zur Geschichte des Balkans und droht sich in den Lektüren seiner Hausbibliothek zu verlieren. Die unpolitische Mutter opfert sich für die Familie auf.

Luan Starova, der 1941 im albanischen Pogradec zur Welt kam, hat zahlreiche wissenschaftliche und literarische Werke auf Makedonisch und Albanisch verfasst. Auch war er der erste Botschafter des seit 1991 unabhängigen Makedonien in Paris. Im "Buch der Mutter", das immer wieder die Form eines Essays annimmt, verwebt Starova die Familiengeschichte mit der Frage nach der Identität der Balkanstaaten und den Auswirkungen der immer neuen Grenzziehungen auf das Selbstgefühl der betroffenen Menschen.

Ein spannender Stoff für ein Vorhaben, das in der Durchführung vor allem zu einem hymnischen, humorfreien Lob der eigenen Familie geraten ist. Pathetische Aufwallungen - verstärkt durch die stilistischen Fehlgriffe des Übersetzers – untergraben die Glaubwürdigkeit. "Das Buch der Mutter" ist so leider kaum mehr als die missglückte Prosa eines bedeutenden Zeitgenossen.

Besprochen von Martin Sander

Luan Starova: Das Buch der Mutter. Balkansaga
Aus dem Makedonischen von Will Firth
Wieser Verlag, Klagenfurt 2010
239 Seiten, 19,80 Euro