Hurrelmann: Hilfslehrer bringen neue Impulse

Klaus Hurrelmann im Gespräch mit Ulrike Timm · 24.09.2009
Der Erziehungswissenschaftler Klaus Hurrelmann begreift die Initiative "Team First", bei der die besten Uniabsolventen an Problemschulen unterrichten, als Bereichung für das Schulsystem. "Team First" könne helfen, die Schule "lebendiger" und "teamorientierter" zu machen.
Ulrike Timm: Kerstin Zilm über die amerikanische Idee "Teach First": Die besten Uniabsolventen kümmern sich vor ihrem Karrierestart um die schwächsten Schüler. Mitgehört hat diesen Beitrag der Bildungsexperte Professor Klaus Hurrelmann. Schönen guten Tag!

Klaus Hurrelmann: Schönen guten Tag!

Timm: Herr Hurrelmann, das klingt alles so amerikanisch, so sehr euphorisch, dass es nicht schwer ist, diese Idee deutsch-tiefsinnig zu zerpflücken. Deshalb lassen Sie uns kurz bei dem jungen Mann bleiben, der am Ende sagte: "Stellen Sie sich vor, alle wichtigen politischen Entscheidungsträger hätten mal zwei Jahre lang an einer Problemschule gearbeitet. Die Welt sähe anders aus." So charmante Ideen hört man doch nicht alle Tage, oder?

Hurrelmann: Nein, hört man nicht, und deswegen muss ich auch ganz ehrlich sagen: Ich bin im … Mich hat das imponiert, dass hier eine Initiative von jungen Leuten – meist auch aus dem akademischen Bereich, aus den Hochschulen, die meisten sind auch gerade frisch mit ihrem Studium fertig – diese amerikanische und übrigens auch britische Konzeption – dass man erst mal in die Schule geht, bevor man vielleicht einen hochattraktiven anderen Beruf, zum Beispiel als Manager, anschließt –, diese Idee nach Deutschland zu übertragen in ein völlig anderes System. Das ist mutig, das ist auch ein bisschen kühn. Aber es hat was.

Timm: Die Idee wird jetzt - leicht abgewandelt - auch in Deutschland seit einigen Wochen erprobt: Hemmungslos optimistische Eliteabsolventen treffen auf eine soziale Wirklichkeit, die ihnen selber ja auch erspart geblieben ist. Die Absolventen sollen soziale Fähigkeiten trainieren und Führungsqualität, aber was haben die Schüler davon?

Hurrelmann: Was haben die Schüler davon? Erst einmal haben sie davon, dass in das Kollegium einer deutschen Schule Menschen kommen, die nicht ihre ganze bisherige Ausbildung schon auf den Lehrerberuf hinauswollten. Das ist auf den ersten Blick ein Problem, weil die jungen Leute, die jetzt kommen, natürlich nicht gezielt qualifiziert sind. Auf den zweiten Blick ist das aber auch eine deutliche Anerkennung der Schule, es ist ein Signal, hey, hier ist eine interessante Tätigkeit, was ja die eine Studierende, die eine "Teach First"-Lehrerin in den USA eben auch gesagt hat. Das kann die Schule als Institution in Deutschland wunderbar gebrauchen und das können auch die Kinder gebrauchen, dass jemand von außen kommt und sagt, also, das ist ja interessant, mit euch hier zu arbeiten. Ich will es versuchen, ich nehme euch ernst. Ich glaube, dieses Signal, das ist Gold wert. Und wenn wir das schaffen, wenn die Initiative das schafft, das zu transportieren, dann ist das schon eine ganze Menge und rechtfertigt vielleicht auch die eine oder andere kleine Kinderkrankheit, die zu Beginn in dem Programm stecken könnte.

Timm: Stichwort Kinderkrankheit, ich stelle es mir mal lebhaft vor: Berlin-Neukölln, fünfte Klasse, Mathematik, multiplizieren – und der Einzige, den das interessiert, ist der Lehrer, der nicht mal ein wirklicher Lehrer ist. Ist es nicht unabhängig von unserem optimistischen Beispiel eben sehr viel wahrscheinlicher – sorry –, dass das schiefgeht?

Hurrelmann: Es kann schiefgehen, und deswegen kommt es jetzt sehr darauf an, dass die jungen "Teach First"-Lehrerinnen und -Lehrer eingespannt werden erst einmal in das System Schule, so wie es da steht. Sie müssen also mit erfahrenen Lehrkräften zusammen in den Unterricht gehen, zum Beispiel in diesen Mathematikunterricht, den Sie gerade nennen, und dann müssen sie ihre eigene Rolle finden. Das dürfte das Schwierigste sein. Wir haben im Unterschied zu USA und Großbritannien eine sehr gute Lehrerausbildung und einen verhältnismäßig hoch anerkannten Lehrerberuf, jedenfalls von der Bezahlung her kann man das sagen, vom Beamtenstatus her. Darin liegt natürlich auch ein echtes Problem: Es ist eine sehr abgekapselte Profession geworden. Und jetzt kommen hier junge Leute, die könnten das auflockern und sie könnten dafür sorgen, dass auch eine Lehrkraft merkt, hey, der junge Mann, die junge Frau, die gar nicht als Lehrerin ausgebildet war, bringt mir doch einen neuen Impuls – aus dem bisherigen Studium, aus den Erfahrungen – mit. Also, ich würde mir solch eine innovative, frische Perspektive durchaus auch positiv vorstellen können, bei all den Risiken, die wir angesprochen haben, die man nicht übersehen darf.

Timm: Man kann es aber auch so sehen: Die Uniabsolventen kriegen die Chance auf ein Freiwilliges Soziales Jahr zur Verbesserung der Karriereaussichten, und die Schüler werden Opfer eines weiteren Schulversuchs. Wie wägen Sie das ab?

Hurrelmann: Das ist richtig, auch diese Sorge sollten wir ganz ernst nehmen. Ich würde sagen, so richtig Ihre Überlegung ist – also dieses Problem darf man nicht übersehen: Es steckt ja noch etwas anderes drin, es steht da drin die Bereitschaft eines jungen Menschen, sich auf die Schule, auf das Unterrichten, auf schwierige, junge Menschen, auf Kinder, auf Jugendliche, die eine ganz, ganz komplizierte Biografie haben, die Lernverluste haben, sich auf sie einzulassen und eine Beziehung einzugehen. Der Vertrag läuft über zwei Jahre. Ich bin auch neugierig, wie viele das durchhalten, das ist eine gewaltige Strecke. Darin steckt eine Qualifizierung dann für beide Seiten, wenn es funktioniert, und selbstverständlich auch für den "Teach First"-Studierenden, der da hingeht. Und das finde ich völlig legitim, der lernt etwas, der hat eine andere Perspektive auf die Welt, und wenn er dann in der Schule hängen bleibt, ist es gut für die Schule und für die Kinder, wenn er wieder rausgeht, bringt er diese Erfahrung, bringt er den Kontakt mit jungen Leuten, Lernerfahrungen, soziale Spannungserfahrungen, die bringt er dann in seinen anderen Beruf mit. Also, bei dieser Betrachtung dürfen wir sagen: Versuchen wir es doch.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton im Gespräch mit Klaus Hurrelmann über die Initiative "Teach First", die jetzt von den USA nach Deutschland kommt. Herr Hurrelmann, die deutschen Lehrerverbände laufen ziemlich Sturm, die altgedienten Lehrer sagen, na ja, jetzt kommen auf einmal Leute mit einer Idee und dürfen es machen, und wir bemühen uns und beackern seit Jahren die Mühen der Ebene. Was bedeutet denn das politisch? Es gibt jetzt schon Lehrermangel, besonders in den naturwissenschaftlichen Fächern, und jetzt füllt man das mal kurz mit Schmalspurlehrern wieder auf. Ist das nicht auch eine Gefahr?

Hurrelmann: Ja, das ist eine Gefahr, aber man muss nun hier auch zu Protokoll geben: Die Situation haben wir in vielen Bundesländern jetzt schon seit einigen Monaten oder sogar Jahren, und was passiert? Es werden ja schon Quereinsteiger in die Schule geholt, und die bekommen auch keine ganz ausgeruhte und komplexe Ausbildung, um sich auf den Beruf einzulassen. Also, ganz neu ist das Ganze nicht, dass wir Menschen in die Schule hineintun, die nicht ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer sind, die aus einer anderen Zone der Welterfahrung und des Trainings kommen. Das ist für uns neu, ich würde sagen, das ist sehr positiv. In die Schule gehören nicht nur die Lehrerinnen und Lehrer, sondern es gehören viele andere Berufsgruppen, die mit Kindern sich auskennen, mit Entwicklungsproblemen, mit Lern- und Sozialfragen sich auseinandersetzen können … Die Schule muss lebendiger, teamorientierter sein in ihrer professionellen Zusammensetzung, und da kann "Teach First" kräftig mit dran rühren und ich denke, das werden auch die Lehrerverbände nach kurzer Zeit sehen, dass das eher zu ihrem Vorteil ist und den Lehrerberuf am Ende aufwertet.

Timm: Trotzdem, mit Skepsis und der Bitte um eine kurze Antwort: Wenn es um die Vorbildfunktion geht – man kann es schaffen –, wäre da nicht ein gestandener Handwerksmeister in einer Hauptschule das bessere, stärker motivierende Vorbild als ein Eliteabsolvent der Wirtschaftswissenschaften?

Hurrelmann: Ja, könnte ich mir vorstellen, und wir sollten den Handwerksmeister auch ermutigen, wir sollten die Voraussetzungen dafür schaffen, dass er mit in das gemischte Team einer Hauptschule, einer Gesamtschule, einer Förderschule eintreten kann, dann haben wir ein buntes Leben schon in der Schule, was das bunte Leben der Kinder abbildet.

Timm: Kurzum – Schule muss bunter werden, mit und ohne "Teach First", meint der Bildungsexperte Klaus Hurrelmann. Herzlichen Dank für das Gespräch!

Hurrelmann: Danke für Ihr Interesse!