"Hurensohn“-Schmähgesänge

Wen Fußballfans damit wirklich diskriminieren

06:27 Minuten
"Hurensohn"-Schmähplakat im Stadion des 1. FC Köln
"Hurensohn"-Schmähplakakate tauchen immer wieder in deutschen Fußballstadien auf (hier bei einem Spiel des 1. FC Köln). © dpa / picture alliance / Anke Waelischmiller
Von Felix Lill · 16.04.2023
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Seit Jahren bemüht sich der Fußball um einen Imagewandel: Rassismus und Sexismus sollen in Stadien keinen Platz mehr haben. Doch die Realität sieht anders aus: Vor allem Sexarbeit wird auf den Rängen verunglimpft.
Hurensohn – ein Wort, das in der Welt des Fußballs zum guten Ton gehört. Es begegnet einem ständig. Zum Beispiel hier, als Fans von Borussia Dortmund aus ihrer Kurve den gegnerischen Torwart beschimpfen:

„Arschloch, Wichser, Hurensohn.“

Oder hier, als Polizisten, die gleichzeitig Fußballfans sind, über den Leipziger Stürmer Timo Werner singen, nachdem der eine Schwalbe gemacht hat:

„Timo Werner ist ein Hurensohn.“

Auch Spieler singen mit

Auch Fußballer selbst machen mit. Im Jahr 2014 stimmte Bastian Schweinsteiger, damals Spieler bei Bayern München, mit Fans zum Gesang an:

„BVB-Hurensöhne.“

Und im deutschen Fußball vielleicht am prominentesten, weil es Fans diverser Klubs praktisch synchron riefen:

„Dietmar Hopp, du Sohn einer Hure.“

Fans beschimpfen Hoffenheim-Mäzen Hopp

Als Dietmar Hopp, Investor der TSG Hoffenheim, immer wieder als Hurensohn beschimpft worden war, griff der Deutsche Fußball-Bund durch. Es seien Grenzen überschritten, hieß es. Im Jahr 2020 sprach der DFB Strafen gegen diverse Fanszenen aus.

Aber wer wurde im Fall Hopp – und wird in ähnlichen Situationen immer wieder – eigentlich wirklich beleidigt? Wurde hier nur ein Investor verunglimpft, weil er mit seinen Millionen den Wettbewerb im Fußball verzerrt?
Fans von Union Berlin mit Fadenkreuz und "Hurensohne"-Fahne gegen 1899-Hoffenheim-Sponsor Dietmar Hopp
Immer wieder beleidigen Fans Hoffenheim-Sponsor Dietmar Hopp (hier bei einem Spiel im Stadion an der Alten Försterei in Berlin)© Imago / Matthias Koch
Oder werden die Hunderttausenden Frauen und Männer herabgewürdigt, die sexuelle Dienstleistungen anbieten? Denn wer für eine Beschimpfung das Wort „Hurensohn“ verwendet, hält Sexwork offenbar für etwas, das keinen Respekt verdient.

Offiziell soll niemand diskriminiert werden

So sollten solche Tiraden eigentlich verwundern: Denn seit einem guten Jahrzehnt fährt die UEFA eine offensive PR-Kampagne mit dem Schlagwort: „Respect.“ Im populärsten Sport der Welt soll offiziell niemand diskriminiert werden.

Aber das geht an der Realität weit vorbei, sagt André Nolte, Sexworker in Berlin und Sprecher des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen.

"Natürlich ist es schlimm. Wenn etwas wirklich schwierig ist, ist es eher das, was aus diesem Stigma heraus resultiert. Dass wir Schwierigkeiten haben, Räume anzumieten. Dass wir Schwierigkeiten haben, Konten zu eröffnen. Dass wir Schwierigkeiten haben, Werbung zu schalten.“

Beschimpfungen gegen seinen Berufsstand ist der 45-Jährige gewohnt.

Ich würde mir auch sehr doll wünschen, dass in Fußballstadien nicht nur Regenbogenfarben leuchten, dass irgendwo auch ein roter Regenschirm, das Symbol für Sexarbeit, irgendwo leuchten würde. Aber da muss man einfach sagen: Wir haben einfach keine große Lobby. Also wir haben ganz viele Kunden. Aber dass die alle mit uns auf der Straße stehen und unsere roten Regenschirme hochhalten: Das ist nicht der Fall.

André Nolte, Sprecher des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen

Woran liegt es, dass im Fußball das Wort „Hurensohn“ Fans und sogar Profis so locker von den Lippen geht?

Das fragt sich auch Helen Breit, die seit zwei Jahrzehnten Fan des SC Freiburg ist und sich bei der Supporters Crew stadionpolitisch engagiert:

"Ich hatte über eine lange Zeit auch den Eindruck, dass es vorbei ist - vor allem mit so stumpfer Pöbelei.“

"Hurensohn"-Wort auch bei den Freiburger Fans

Auch in der Kurve des SC Freiburg – eigentlich ein Klub, der bekannt ist für eine Fanszene, die sich zumindest gegen Rassismus und Sexismus starkmacht – ist das Wort Hurensohn kaum tabu.
Dabei ist sich Helen Breit unsicher, inwieweit die Fans damit wirklich konkret an Sexwork denken:

„Man kann ja Wörter wie Hurensohn einerseits als wirklich eine stumpfe, dumme Beleidigung sehen, andererseits als sexistische Beleidigung diskutieren. In beide Richtungen war ich mit sicher, dass wir es überwunden hatten. Und war ebenso verwundert, diese Saison zu registrieren, dass ich mich wieder damit auseinandersetzen muss - und zwar nicht in Einzelrufen, sondern in kollektiven Rufen.“

Support ist "Aushandlungssache"

Unter organisierten Fangruppen werde dies auch zur Sprache gebracht, aber:

„Support und der Ausdruck auf Rängen im Stadion ist immer Aushandlungssache. Und mal kommt man besser zu Übereinstimmungen und mal schlechter.“

Auswirkungen bei der Sexarbeit

Aus der Sicht von Sexworkerinnen und Sexworkern also meist schlechter. Denn indem sie wie selbstverständlich herabgewürdigt werden, verbessert sich ihre soziale Stellung kaum. Und das hat schnell reale Auswirkungen.

So gibt es seit Jahren Bemühungen, den Job Prostitution, der von Hunderttausenden betrieben und von Millionen nachgefragt wird, gesetzlich zu verbieten.

Für Prostitution im Gleichstellungsgesetz

Und selbst in ihrer derzeitigen Legalität sieht sich die Prostitution an den Rand gedrängt, sagt André Nolte:

„Es ist so, dass im Moment das Allgemeine Gleichstellungsgesetz auch novelliert wird, und dass sich da jetzt Dutzende Verbände zusammengetan haben und sagen: Also das Thema Sexarbeit muss da drinstehen.
Also das bedeutet: Wenn jemand zu mir Schwuchtel sagt, dann kann ich das als Diskriminierung verwenden. Wenn man zu mir sagt: 'Eine Hure will ich hier nicht haben, oder eine ehemalige Hure', dann ist das nicht der Fall. Und deswegen plädieren wir noch mal dafür, dass das mit ins Allgemeine Gleichstellungsgesetz kommt.“

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Könnte ein Wandel im Fußball auch zu einem Wandel in der Gesellschaft insgesamt beitragen?

Vor zehn Jahren gab es noch homophobe Gesänge

Der Umgang mit Homosexualität macht da grundsätzlich optimistisch: Vor einem Jahrzehnt waren homophobe Vokabeln in Stadien noch ähnlich selbstverständlich wie das Wort „Hurensohn“, sind es nach jahrzehntelanger Aufklärungsarbeit heute aber nicht mehr.

Könnte sich irgendwann auch der Umgang mit Sexwork zu normalisieren beginnen?

SC-Freiburg-Fan Helen Breit schätzt:

Ich glaube, wenn alle Akteure zusammenspielen: Die Fangruppen, die sich dem Thema annehmen und eine Lobby schaffen. Und dann eine Entsprechung finden bei den Vereinen, die nicht wegschauen: Dann, glaube ich, könnten wir in zehn Jahren noch mal sprechen und sagen: Das ist sehr viel besser geworden.

SC-Freiburg-Fan Helen Breit und bei der Supporters Crew

Möglich, dass viele Fans einfach irgendein Schimpfwort brauchen, um die Gegner herabzuwürdigen. Dennoch: Vielleicht ist es einmal mehr eine Frage der Zeit, bis die „Hurensöhne“-Rufe aus den Stadien verschwinden. Überfällig wäre es längst.
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