Hupkonzert im Katastrophenfall

Von Christian Fischer |
In Deutschland gibt es zurzeit kein flächendeckendes Warnsystem. In den vergangenen Jahren wurden deshalb viele alternative Warnsysteme diskutiert. Einen ganz neuen Ansatz hat jetzt das Fraunhofer Institut für Naturwissenschaftliche Trendanalysen vorgestellt: Autohupen, so die Idee, sollen vor Katastrophen warnen.
"Wir hatten vor zwei Jahren hier in der Eifel auf einmal mitten in der Nacht ein Starkregenereignis. Mehrere Dörfer sind fast abgesoffen. Und wir auch hier in der Stadt hatten Probleme gehabt, konnten aber die Bevölkerung nicht rechtzeitig alarmieren. Selbst indem man mit Fahrzeugen durch die Straßen fährt, kriegt man eine Alarmierung nicht ordentlich hin. Und die Bevölkerung hat zu recht auch gesagt: Warum sind wir nicht rechtzeitig informiert worden? Dann hätten wir doch unsere Keller ausräumen können."

Thomas Huyeng, der erste Beigeordnete der Stadt Euskirchen, schildert ein Problem, das in Zeiten des Klimawandels immer akuter wird: Deutschlands Behörden erfahren von einem Unglück – haben aber keine Möglichkeit, die Bevölkerung rechtzeitig zu warnen. Jahrzehntelang war die Sirene das Mittel der Wahl.

Doch nach Ende des Kalten Krieges wurden die meisten Sirenen abgebaut. Stattdessen setzte man ab 1992 auf ein satellitengestütztes Warnsystem oder kurz: SatWaS. Mit dessen Hilfe können Gefahrendurchsagen vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe direkt an Funk- und Fernsehsender verschickt werden.

"Achtung! Es folgt eine AMTLICHE GEFAHRENDURCHSAGE des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Gefahr durch RAKETENANGRIFF im Raum BERLIN. Ich wiederhole: Gefahr durch RAKETENANGRIFF im Raum BERLIN. Suchen Sie in den betroffenen Gebieten sofort Schutz in geschlossenen Räumen. Befolgen Sie die Anordnungen der örtlichen Behörden! Achten Sie auf weitere Durchsagen! Ende!"

Dieser Text zum Beispiel müsste im Falle eines Raketenangriffs verlesen werden. SatWaS ist ein sicheres System – solange Radios und Fernseher eingeschaltet sind.

Doch was, wenn die Stromversorgung bereits ausgefallen ist? Oder das Unglück mitten in der Nacht passiert, wie die Überschwemmungen in der Eifel? Beim ebenfalls in Euskirchen ansässigen Fraunhofer Institut für Naturwissenschaftliche Trendanalysen macht man sich über Probleme wie diese Gedanken. Mit Bevölkerungsschutz kennt man sich dort aus, wie der Leiter des Instituts, Uwe Wiemken, erklärt:

"Wir sind ursprünglich ein verteidigungsorientiertes Institut gewesen, das zu 100 Prozent für die Belange des Verteidigungsministeriums da war. Das hat sich mit Ende des Kalten Krieges sehr deutlich gewandelt. In den letzten 20 Jahren etwa hat sich das Institut viel stärker in die Erforschung von Sicherheitsfragestellungen hineinentwickelt."

Sodass eines von vielen Projekten heute die Entwicklung eines Katastrophen-Warnsystems ist und das möglichst ohne neue Sirenen anzuschaffen. Denn diese haben – neben den hohen Kosten – noch ein ganz anderes Problem: Ihre Lautstärke ist in unmittelbarer Nähe ohrenbetäubend – lässt dann aber immer mehr nach. Besser sind deshalb zwar leisere, dafür aber dichter verteilte Geräuschgeber.

Handys etwa, oder Rauchmelder. Sogar Funkuhren kommen als potenzieller Sirenenersatz in Frage. Doch mit diesen Geräten lassen sich meist nur einzelne Personen oder Haushalte warnen – und nicht jeder besitzt sie. Die Euskirchener Forscher entwickelten deshalb ein ganz anderes Konzept. Es basiert auf den Hupen geparkter Autos. Die hört man schließlich auch, wenn man gar keinen Wagen besitzt. Die Grundidee: In Fahrzeugen werden spezielle GPS-Module, analog zu Navigationsgeräten, installiert.

"Wenn die Behörde das Alarmierungssignal sendet, wertet das Gerät das Signal aus, stellt fest: Ist das Auto abgestellt? Befindet sich das Auto in der Alarmierungszone? Dann gibt es eventuell noch andere Parameter: Zum Beispiel welches Signal soll denn erzeugt werden? Und wenn alle Bedingungen erfüllt sind, fängt das Auto dann an zu hupen."

Guido Huppertz, Mitarbeiter in der Abteilung Technologieanalysen und -vorausschau, arbeitet momentan an diesem System. Bislang wurde nur ein Patent angemeldet. Doch zusammen mit einem Autohersteller soll bis nächstes Jahr ein Prototyp entwickelt werden. Zunächst muss ein eindeutiger Warnton für die Autohupen definiert werden – ähnlich dem an- und abschwellenden Heulen einer Sirene. Damit die Hupen dann tatsächlich als flächendeckendes Warnsystem eingesetzt werden können, ist ein zusätzliches Steuergerät nötig, mit dem bislang noch kein Fahrzeug ausgerüstet ist. Doch Guido Huppertz ist optimistisch:
"Da wir jährlich eine Erneuerungsrate des PKW-Bestandes in Deutschland haben, die im Größenbereich von acht bis zehn Prozent liegt, wir statistisch gesehen in etwa 14 Prozent der momentan zugelassenen PKW bräuchten, gehen wir davon aus, dass wir nur wenige Jahre benötigen, um bei Umsetzung dieses Systems eine flächendeckende Alarmierung der Bevölkerung zu gewährleisten."

Europäische Neufahrzeuge müssen 2010 ohnehin mit dem sogenannten e-call System angeboten werden. Dieses Modul besteht aus einem GPS-Sensor und einem Mobilfunksender. Im Falle eines Unfalls übermittelt es die Koordinaten automatisch an eine Notrufzentrale. Den GPS-Sensor von e-call könnte man auch für das Katastrophen-Warnsystem nutzen.

"Zum Beispiel bei einem Gasunfall. Hatten wir vor kurzem auch gehabt, in der Nähe eines Sees. Und da geht es darum, dass sie sehr punktuell die Bevölkerung alarmieren können. An einem See stehen viele Autos. Wenn diese Hupen losgehen, weiß auch jeder: In diesem Auto ist ein Radio."

Und der Lokalsender sendet dann alle weiteren Informationen. Diese hohe Präzision, mit der gezielt einzelne Gegenden alarmiert werden können, ist für Thomas Huyeng von der Stadt Euskirchen ein großer Vorteil des Konzepts. Dank GPS löst der Alarm nur dort aus, wo er auch wirklich benötigt wird. Wahrscheinlich ist es nämlich nicht der große Raketenangriff, vor dem gewarnt werden muss, sondern ein lokal sehr begrenzter Vorfall. Wenn also in den kommenden Jahren tatsächlich alle Neuwagen mit dem entsprechenden Empfänger ausgestattet würden, gäbe es in Deutschland bald wieder ein Warnsystem, das die Menschen aus dem Schlaf reißt – wenn es darauf ankommt.