Hunnenkönig Etzel wird multikulturell

Von Ulrike Gondorf · 12.10.2007
Die Schauplätze der Nibelungensage reichen von Skandinavien bis Südeuropa, von Westeuropa bis zum osteuropäischen Hof des Hunnenkönigs Etzel. Trotzdem gelten die Nibelungen als deutscher - national vereinnahmter - Stoff. Mit einer bewusst multikulturellen Inszenierung gelingt es Karin Beier, dem Stück Friedrich Hebbels eine neue Bedeutung zu geben.
Ein "deutsches Trauerspiel", belastet durch nationale Begeisterung zu "Kaisers Zeiten" und unselige Vereinnahmung von "Nibelungentreue" und heroischem Untergangstaumel im Dritten Reich, ist nicht gerade eine sichere und bequeme Wahl zur Eröffnung einer Intendanz. Karin Beier hat es im Kölner Schauspiel gewagt und gewonnen. Schon allein das multikulturelle Gesicht ihres - überwiegend neu zusammengestellten - Ensembles bewahrt den Abend davor, eine kleinliche Abrechnung mit deutscher Geschichte zu werden.

Gezielt hat die Intendantin Schauspieler mit Migrationshintergrund engagiert - und wenn der in Ägypten oder Jamaica liegt, sieht man das auch deutlich. Das Missverständnis, dass Korruption und Betrug, Machtmissbrauch und Rachewahn allein deutsche - und vielleicht gar historisch überwundene - Fehler wären, kommt gar nicht auf. Der schmale Grat zwischen Opportunismus und Verbrechen, auf dem Hebbels Figuren abstürzen, läuft längst einmal um den Globus. Zitate von George W. Bush fügen sich ebenso nahtlos ein wie die Verortung von Etzels misstrauisch beäugtem Hunnenreich in China.

Karin Beier hat das dreiteilige Stück, von Hebbel einmal "ein Monstrum in elf Akten" genannt, klug gestrafft und, gelegentlich mit neuen Prosaüberleitungen, auf eine Spieldauer von dreieinhalb Stunden eingerichtet. Die verbringt man im Kölner Schauspiel größtenteils gespannt und gepackt. Die Inszenierung, mit Live-Musik atmosphärisch gestützt, lässt auf einer ganz simplen Bühne mit einigen Holzpodesten unterschiedlicher Höhe und einem Steg durch den Zuschauerraum die Tragödie mit ungebremster Wucht, mit Mut zum Extrem ablaufen.

Wo man heute bei Klassiker-Aufführungen allzu oft nur coole Ironisierungen und fadwitzige Spielchen angeboten bekommt, wagt Karin Beier große Gefühle und ernste Konflikte und stellt sich einem Stück, das an Radikalität seinesgleichen sucht. Was übrigens der überraschenden Entdeckung eines geradezu sarkastischen Humors bei Hebbel - vor allem im ersten Teil - überhaupt nicht im Wege steht.

Die Figuren erscheinen differenziert, man erschrickt vor ihrer Skrupellosigkeit, aber man sympathisiert auch mit ihren Motiven. Das gilt für die verletzten und betrogenen Frauen Brunhild, Maja Schöne, und Kriemhild, für den schwachen, opportunistischen Gunther, Michael Weber, den bedenkenlosen und doch so gewinnenden Siegfried, Carlo Ljubek, und sogar für Hagen, dessen zynisches Kalkül von grandioser Konsequenz ist. Michael Wittenborn brilliert in dieser Rolle, und die Szenen, in denen er auf die kraftvolle und klare Patrycia Ziolkowska als seine große Gegenspielerin Kriemhild trifft, sind Höhepunkte des Abends und Schauspielertheater vom Feinsten. Wie überhaupt die Leistungen aller Beteiligten in diesem großen, sehr individuell geprägten Ensemble den Erfolg des Abends entscheidend mitbestimmt haben. Die Stimmung war gut und alle Zeichen standen auf Aufbruch bei dieser ersten Premiere im Schauspiel Köln unter der Leitung von Karin Beier.