Hungerstreik von Oleg Senzow

"Das Gefühl des Hungers erschlägt das Gefühl der Schande"

Der ukrainische Filmregisseur Oleg Senzow am 25. August 2015 im Gericht im südrussischen Rostow am Don: Wegen Terrorvorwürfen wurde er zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Der ukrainische Filmregisseur Oleg Senzow am 25. August 2015 im Gericht im südrussischen Rostow am Don: Wegen Terrorvorwürfen wurde er zu 20 Jahren Haft verurteilt. © SERGEI VENYAVSKY / AFP
Von Florian Kellermann · 02.06.2018
Der ukrainische Regisseur Oleg Senzow wurde 2015 von einem russischen Gericht zu 20 Jahren Straflager verurteilt und verbüßt seine Haft am Polarkreis. Am 14. Mai ist er in einen Hungerstreik getreten. Im Vorfeld der Fußball-WM haben nun ukrainische Aktivisten an ihn erinnert.
Eine große rote Karte, der Schiedsrichterpfiff aus Dutzenden Trillerpfeifen: Ukrainische Aktivisten haben in vielen Ländern an Oleg Senzow erinnert - den Regisseur, der seit über vier Jahren in Russland im Gefängnis sitzt. Die Symbolik spielte natürlich auf die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft an. Die Zuschauer an den Fernsehbildschirmen sollten nicht vergessen, dass Russland kein Fair-Player sei, sagt Maksym Sytnikow, 22 Jahre alt, der vor die russische Botschaft in Warschau gekommen ist:
"Man hätte Russland die Weltmeisterschaft schon 2014 wegnehmen sollen. Dafür wie es sich gegenüber der Ukraine verhalten hat. Aber wir wissen ja, wie korrupt die Fifa ist. Ich hoffe, dass die Fans, die dorthin fahren, ihren Unmut äußern, dass es Aktionen geben wird, mindestens Plakate auf den Tribünen."

Die Zeit von Oleg Senzow läuft ab

Maksym, der Politologie studiert, hat eine Sträflingskluft übergezogen, in der Hand hält er eine Sanduhr. Sie steht dafür, dass die Zeit von Oleg Senzow abläuft. Der Regisseur ist vor drei Wochen in den Hungerstreik getreten. Er sei eben ein unbeugsamer Mensch, der für seine Überzeugungen bis zum Äußersten gehe, meint Jelena Holosij, eine Kollegin von Senzow, die ebenfalls protestierte:
"Dank solcher Leute wie Oleg wird die blutige Maschine von Putins Regime irgendwann zerstört. Er fürchtet sich nicht, er setzt sich hohe Ziele, er hat sich einfach nicht damit abgefunden, dass die Krim, seine Heimat, plötzlich zu Russland gehören sollte."

Offener Brief an Bundeskanzlerin Merkel

Dutzende Kollegen auf der ganzen Welt haben Senzow ihre Solidarität bekundet. Fast 400 Prominente forderten zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem offenen Brief auf, sich für den ukrainischen Regisseur einzusetzen. Zu den Unterzeichnern gehören die Nobelpreisträgerinnen Herta Müller und Swetlana Alexijewitsch. Das Verfahren gegen ihn nennen sie einen "politischen Schauprozess". Die Zeugen, die gegen ihn aussagten, seien gefoltert worden.
Beim Protest in Warschau lesen die Teilnehmer der Reihe nach rund 70 Namen vor - andere in Russland gefangene Ukrainer, die dort aus politischen Gründen festgehalten würden. Viele von ihnen sind Krimtataren. Gerade erst erklärte der russische Journalist Schura Burtin, er werde auch in den Hungerstreik treten - aus Solidarität mit Senzow. "Das Gefühl des Hungers erschlägt das Gefühl der Schande", begründete er seinen Schritt.

Sein Hungerstreik setzt die russische Regierung unter Druck

Senzows Hungerstreik setzt die russische Regierung zumindest unter Druck. Sein Tod würden viele als Beweis dafür sehen, dass er zu Unrecht verurteilt worden war. Wohl deshalb werde der Regisseur mit einer Glukoselösung versorgt und so am Leben erhalten, sagt seine Schwester Natalia Kaplan:
"Näheres werden wir erst in einigen Tagen erfahren, wenn sein Anwalt ihn besuchen kann. Die Ärzte sagen uns, sein Zustand sei stabil. Aber ich gehe davon aus, dass es ihm schlecht geht. Schließlich waren schon die vier Jahre Lagerhaft kräfteraubend. Er hat schon vor dem Hungerstreik erzählt, dass ihm Haare ausfallen. Sein Herzleiden und seine Gelenkbeschwerden, die er schon als Kind hatte, sind auch schlimmer geworden."
Trotzdem verstehen die Ukrainer, die für ihn protestiert haben, dass der Regisseur zu diesem äußersten Mittel, dem Hungerstreik, gegriffen hat. Maksym Sytnikow, der Politologie-Student:
"Das ist seine letzte Chance, früher aus dem Gefängnis zu kommen - und nicht erst 2034, nach einer halben Ewigkeit. Sein Schritt ist mutig - wir unterstützen ihn."
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