"Hunger ist bekämpfbar"

Bärbel Dieckmann im Gespräch mit Nana Brink |
Der Hunger könnte längst besiegt sein, denn es würden ausreichend Lebensmittel produziert, sagt Bärbel Dieckmann, die Präsidentin der Welthungerhilfe - und erklärt, warum ihre Organisation keine 100 Jahre alt werden möchte.
Nana Brink: Ob in der Sahelzone, nach dem Erdbeben in Haiti oder der Flutwelle in Pakistan - die Welthungerhilfe geht überall hin. Vor 50 Jahren, 1962, wurde sie gegründet, auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke. Ihre Bilanz bislang kann sich sehen lassen: Seit ihrer Gründung hat die Welthungerhilfe mit 2,25 Milliarden Euro rund 4500 Selbsthilfeprojekte und mehr als 1000 Nothilfeprojekte weltweit unterstützt, und aus einem Büro mit damals vier Arbeitsplätzen ist eine globale Organisation geworden mit 3000 Mitarbeitern.

Viele Prominente setzen sich für die nicht religiös gebundene, überparteiliche Hilfsorganisation ein, es gibt Aktionen - die Sie wahrscheinlich auch kennen – wie den Brotpfennig oder jetzt gerade "1 Stunde gegen Hunger". 50 Jahre, eine gute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen, und das will ich jetzt tun, und zwar mit Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe. Einen schönen guten Morgen, Frau Dieckmann!

Bärbel Dieckmann: Guten Morgen!

Brink Wäre die Welt eine andere, wenn es die Welthungerhilfe nicht gäbe?

Dieckmann: Ja, zumindest sind wir ein Teil einer Bewegung, die sich einsetzt für den Kampf gegen den Hunger. Natürlich machen wir das nicht alleine, aber wir haben schon dazu beigetragen, gerade in Deutschland deutlich zu machen, dass so viele Menschen, die hungern, nicht akzeptabel sind.

Brink Haben sich Ihre Schwerpunkte im Laufe von 50 Jahren verändert?

Dieckmann: Ja. Sie haben sich insofern verändert, als wir mehr und mehr dazu übergegangen sind, sehr intensiv mit lokalen Nichtregierungsorganisationen zu arbeiten, mit der Zivilgesellschaft, von den 3000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sind 2600 lokale Kräfte, weil wir wissen: Wir können immer nur einen Anstoß geben, wir können immer nur Hilfe zur Selbsthilfe geben. Entwicklung muss in den Ländern selbst passieren.

Brink Für viele Menschen, die spenden, ist es ja auch ganz wichtig, zu wissen, was Sie machen genau, auch verwaltungstechnisch. Wie muss ich mir Ihre Arbeit vorstellen?

Dieckmann: Also wir sind spezialisiert in der Landwirtschaft, wir arbeiten in der Regel außerhalb der großen Städte. Wir versuchen zu vermitteln: Wie baut man Saatgut an, Wassergewinnung, aber auch Bildungsgrundlagen, um überhaupt diese Arbeit tun zu können dann, ist ein wichtiges Thema, Energiegewinnung; ein wichtiges Thema ist, wie kann man erzeugte Lebensmittel aufbewahren, wie kann man sie auf den nächsten Markt bringen? Also immer da, wo Menschen in extremer Armut leben, wo Kleinbauern leben, da arbeiten wir.

Brink Gehen Sie wirklich überall hin?

Dieckmann: Nein, wir haben auch die Zahl der Länder reduziert, wir arbeiten in 37 Ländern, weil wir auch unsere Hilfe konzentrieren wollen. Man kann nur sinnvoll unterstützen, wenn man auch eine gewisse Kapazität in ein Land gibt und in Projekte gibt.

Brink Wie entscheiden Sie dann, wo Sie hingehen, oder was sind Ihre Entscheidungskriterien?

Dieckmann: Alle unsere Entscheidungskriterien sind immer kleinbäuerliche Strukturen, sind Situationen, in denen Menschen mangelernährt sind oder an Hunger leiden, also immer da, wo durch Unterstützung der Landwirtschaft Hunger bekämpft werden kann. Das ist Afrika, das ist zum Teil noch Asien, das ist immer weniger Lateinamerika.

Brink Können Sie mir mal ein Beispiel nennen in Afrika, wo man das mal ganz plastisch beschreiben kann, was Sie tun?

Dieckmann: Ja, das kann, also ich sage mal, in Sierra Leone: In Sierra Leone, ein Land nach dem Bürgerkrieg, wo viele Menschen sehr betroffen gewesen sind vom Bürgerkrieg, wo nicht in Landwirtschaft investiert worden sind – da unterstützen wir Gemüseanbau, Kakaogewinnung, übrigens auch in dem Fall schon so gut, dass es für Vertriebsprodukte auf dem europäischen Markt verkauft werden kann, aber auch Palmölgewinnung, damit die Menschen auf dem nächsten Markt verkaufen können.

Brink Eine Menge zu tun also. Sie beschäftigen dann hauptsächlich eigentlich Spezialisten, also zum Beispiel Agrarwissenschaftler?

Dieckmann: Ja. Das ist auch ein Grund für die Schwerpunktbildung. Wir wollen gut ausgebildete Leute haben, wir wollen Leute haben, die auch immer auf dem neuesten Stand sind, denn es wird ja ständig auch geforscht, es gibt ständig neue Erkenntnisse. Wir beschäftigen aber zum Beispiel auch Wasseringenieure oder -ingenieurinnen, in Kenia, zwei tolle Frauen, die Ingenieurinnen sind, die ich kennengelernt habe. Ja, das ist einer der Gründe für die Spezialisierung.

Brink Sie fahren ja auch viel in der Welt herum, besuchen Ihre Projekte, und dann sehen Sie natürlich auch das Elend, das es noch gibt: 900 Millionen Menschen hungern auf dieser Welt. Die Millenniumsziele 2015, die man sich gesetzt hat, also die Halbierung von Hunger und Armut, werden definitiv nicht erreicht werden. Schmerzt Sie das?

Dieckmann: Ja. Also ich habe viele Projekte besucht, wo ich mir nicht habe vorstellen können, dass Menschen heute noch in solchen Situationen leben. Dazu gehören natürlich in ganz besonderer Weise ein Flüchtlingscamp in Kenia, wo 420.000 Somalier leben, Kinder, Jugendliche, Frauen, die vergewaltigt worden sind, die alle ein Kind auf der Flucht verloren haben. Aber es sind auch Besuche, die einem immer wieder Kraft geben, weil man Menschen erlebt, die in fast unvorstellbaren Situationen unglaublich viel Willen und Kraft aufbringen, ihre Situation zu verbessern.

Ich erlebe ganz tolle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die in diesen Situationen arbeiten. Ich habe kein Projekt in den vier Jahren besucht, wo man nicht sagen kann: Wenn wir da arbeiten, geht es den Menschen nach einer gewissen Zeit besser, das ist noch nicht immer optimal, aber es geht ihnen besser als vorher.

Brink Aber damit es ihnen besser geht, brauchen Sie Geld, es hängt Ihre Arbeit auch davon ab, dass die Menschen spenden. Zu Weihnachten, in Krisenzeiten ist das ja wieder besonders ein Thema, aber in diesem Jahr sind die Deutschen laut Umfragen viel weniger spendabel als früher. Warum?

Dieckmann: Also, wir haben stabile Spendeneinnahmen, die liegen in der Regel so um 30, 32 Millionen im Jahr, von um die 300.000 Spender und Spenderinnen, davon viele Dauerspender, manchmal spenden manche nur ab und zu, und dann, wenn Krisen irgendwo sind, dann kommen ganz schnell auch mal große Summen dazu.

Für Haiti haben die Deutschen alleine für die Welthungerhilfe 20 Millionen gespendet. Und jeder Euro eines Spenders wird vervierfacht, oder einer Spenderin, weil eben öffentliche Gelder dazukommen, Kofinanzierungen vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Auswärtiges Amt, von der EU, um nur einige zu nennen.

Ich glaube, dass die Menschen kritischer geworden sind. Wir erleben sehr konkrete Nachfragen, sie wollen wissen, was in den Projekten passiert, und deshalb sind für uns die Rechenschaftsberichte, aber auch unser Internetauftritt, wo über einzelne Projekte berichtet werden, ganz wichtig.

Brink Sie haben in Ihr Leitbild geschrieben, die Welthungerhilfe will sich abschaffen. Werden Sie noch Ihren 100. Geburtstag feiern?

Dieckmann: Wir wollen das nicht. Es wird immer Armut in der Welt geben, aber Hunger ist bekämpfbar. Es werden ausreichend Lebensmittel weltweit produziert. Es müsste keiner hungern. Und wir haben uns wirklich vorgenommen: Es ist ein Elend und nicht akzeptabel, dass immer noch eine so große Zahl von Menschen hungert, weil es eben auch langfristige Folgen hat.

Kinder, die unter fünf Jahren dauernd unterernährt gewesen sind, haben eine ganz schlechte Prognose auch für ihr Leben, weil sie einfach Entwicklungsschritte nicht gemacht haben. Und das kann in einer globalisierten Welt nicht mehr akzeptiert werden.

Brink Bärbel Dieckmann war das, die Präsidentin der Welthungerhilfe. Das Gespräch haben wir aufgezeichnet.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Ein unterernährtes Kind wartet auf medizinische Versorgung in Mogadischu© picture alliance / dpa / Antoine De Ras
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