"Hunger auf Kultur in Berlin"

Von Julia Kaiser |
Theater- und Museumsbesuche sind teuer. Und daher sind Leute mit sehr wenig Geld vom kulturellen Leben weitgehend ausgeschlossen. Um das zu ändern, haben das Schauspielhaus Wien und das Nationaltheater in Weimar spezielle Angebote für diese Menschen geschaffen. In Wien gibt es den "Kulturpass" und in Weimar sind Karten für den symbolischen Preis eines Euros zu erstehen. Auch andere Städte wollen diesen Beispielen nun folgen.
Airan Berg: "Für mich muss Theater für alle offen sein und die Zugänglichkeit von Kunst und Kultur nicht nur über das, was man auf der Bühne oder in Ausstellungen macht, sondern auch, wie man eine Kommunikation mit dem Publikum schafft. Und ich denke, vor allem in unserer Gesellschaft, wo wir in einem Teil der Welt leben, wo Kunst und Kultur noch subventioniert wird und es ist auch wichtig, dass sie subventioniert wird, so wie Bildung und Gesundheit und Sozialwesen, gehört das Theater sowieso allen. Denn sie haben ja alle dafür bezahlt. Und deswegen muss man ihnen auch den Zugang ermöglichen. "

Airan Berg, der Direktor des Schauspielhauses Wien, hat vor eineinhalb Jahren gemeinsam mit der österreichischen Armutskonferenz die Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur" ins Leben gerufen. Die Idee ist einfach: Über Spenden werden Theaterkarten bezahlt, die sich ein Kulturpassbesitzer an der Abendkasse abholen kann.

Airan Berg: "Das Ganze beruht darauf, dass es Menschen, die ausgeschlossen sind, auch von Kunst und Kultur, so wie sie auch früher gelebt haben wieder zu leben. Und das ist sehr wichtig. Und es ist auch wichtig, dass es um ihre Entscheidung geht, was sie sehen wollen. Sie können bei uns Karten bestellen wie jeder andere. Ich sage immer: Der Pass ist soviel wert wie eine Mastercard. Sie zahlen einfach damit an der Kasse, indem sie sagen: Ich habe einen Kulturpass. "

In Wien läuft die Aktion sehr erfolgreich, mittlerweile haben sich auch andere Institutionen wie die Volksoper und die Kunsthallen angeschlossen. "Hunger auf Kunst und Kultur" hat drei Gewinner. Die Menschen, die über den Ausweis wieder einen Zugang zur Kultur erhalten. Die Sozialen Einrichtungen, die die Kulturpässe vergeben, sind durch die Aktion stärker vernetzt. Und die Kulturinstitutionen binden ihr Stammpublikum, das sich für "sein" Haus stark macht.
Für dieses Erfolgsmodell begannen sich zu Beginn des Jahres auch Berliner Einrichtungen zu interessieren.
"Fehlt Ihnen etwas" heißt eine Kampagne der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in Berlin – ein Netzwerk, das ähnlich arbeitet wie die österreichische Armutskonferenz.
Hermann Pfahler vom Diakonischen Werk:

"Es gibt einen Riesenbedarf in Berlin, schätze ich. Armen Leuten fehlt es nicht nur an materiellen Sachen, denen fehlt es oft auch an Bildung und an Kultur. Und ich denke mal, wir sollten die Sache unbedingt in Angriff nehmen. "

Auch in der Berliner Theaterlandschaft gab es spontanen Zuspruch für die Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur", etwa von der Intendantin der Deutschen Oper, Kirsten Harms:

"Die Deutsche Oper macht sofort mit. "

Doch vorerst liegt das "Wiener Modell", wie es inzwischen in kulturpolitischen Kreisen heißt, auf Eis. Denn es würde für Verwirrung sorgen, es neben einer zweiten Regelung einzuführen. Kultursenator Flierl hat soeben das "Weimarer Modell" durchgesetzt.
Dieses läuft ebenfalls erfolgreich. Über 300 Menschen konnten die zehn bislang für die Aktion geöffneten Vorstellungen am Nationaltheater Weimar für einen Euro besuchen, sagt Antje Bräuer, die Leiterin des Besucherservice.
Der Berliner Kultursenator sieht Weimar näher an Berlin als Wien. Was die Arbeitslosigkeit und auch die Spendenbereitschaft betrifft. Er hat sich mit den Theaterleitern darauf geeinigt, dass es ab dem 1. Mai an vielen Berliner Häusern gegen Vorlage eines Sozialpasses Restkarten für drei Euro geben soll. Allerdings erst kurz vor Kassenschluss.
Noch einmal Airan Berg:

"Es gab mal einen Versuch in Wien mit der Fußballbundesliga, und da wollte man den Arbeitslosen nur Karten geben für Spiele, die nicht ausverkauft waren. Und natürlich hatte man das Gefühl: Die guten Spiele dürfen wir nicht sehen, sondern nur die Spiele, die niemand anders sehen will. Und genau dieses Gefühl darf man nicht vermitteln, denn sonst fühlt man sich nicht ganz vollwertig als Mensch genommen. Und deshalb ist es ja auch für uns im Schauspielhaus sehr wichtig, dass die Leute vorbestellen können und nicht: Bitte schön, kommen Sie vorbei und wenn wir nicht ausverkauft sind schauen wir, ob wir Sie reinbekommen. Wenn sich so eine Philosophie einschleicht, dann funktioniert die Aktion nicht. "

Für Kultursenator Thomas Flierl ist das Restkartenmodell keine "Abspeisung".

"Wir haben hier keinen Essenstisch, von dem die Brosamen fallen, sondern Restkarten sind nur bislang nicht verkaufte Karten. Wer über dieses 3-Euro-Ticket ins Theater kommt, nimmt an der gleichen Veranstaltung teil, der Hunger auf Kultur wird am gleichen Tisch gestillt, es ist keine Resteverwertung an anderen Tischen. "

In Weimar können die Ermäßigungsberechtigten immerhin ihre Karten zwei Tage vorher reservieren. Diesem befürchteten Ansturm will sich allerdings keines der Berliner Theater aussetzen. So stellen sich die Berechtigten also für alle sichtbar in die Restkartenschlange, ohne Garantie, befürchtet noch Hermann Pfahler vom Diakonischen Werk.

"Ich möchte nur noch einmal an die allein stehende Mutter erinnern, die sich einen Babysitter besorgt hat und nun in der Schlange bei den Armen steht und nachher kein Restticket abkriegt. Also, da müssen wir gucken, dass wir würdige Lösungen finden, dass die Leute sich nicht diskriminiert fühlen. "

...Noch stärker ausgegrenzt, als sie es ohnehin sind.
Ein Jahr soll die Testphase für das Restkartenmodell in Berlin dauern. Danach wollen einige Theater weiter überlegen, ob nicht doch die Wiener Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur" für Berlin eine bessere Wahl wäre.