Hundert Tage nach der Unwetter-Katastrophe in Simbach

"So wird’s sicher nimmer, wie’s mal gewesen ist"

Wasser steht zwischen Häusern in Simbach am Inn nach schweren Unwettern
Simbach am Inn: So stand Anfang Juni das Wasser zwischen den Häusern © dpa / picture alliance / Sven Hoppe
Von Michael Watzke · 07.09.2016
Von der Unwetter-Katastrophe in Süddeutschland war vor allem Simbach am Inn betroffen: Mehrere Todesopfer und zahlreiche Verletzte gab es zu beklagen. Die Sachschäden waren immens. Michael Watzke hat nachgeschaut, wie es den Bewohnern jetzt geht.
Ein Geräusch dröhnt durch Simbach am Inn, jeden Tag, von morgens bis abends: das Röhren dutzender Heizgebläse. Große, blaue Kästen mit armdicken Schläuchen, die warme Luft in feuchte Räume blasen. Zum Beispiel in der Innstraße 28, bei Martin Kirchner.
"Wir haben komplett entkernt, alles rausgerissen bis auf die Grundmauern. Putz abgeschlagen, getrocknet. Und jetzt – Sie sehen es ja – sind wir fleißig am Aufbauen. Trockenbau ist fast fertig. Nächste Woche kommt der Maler. Ich hege die Hoffnung: Ende September. Also in drei Wochen."
Ende September will Martin Kirchner das Central-Casino wiedereröffnen, den Spielsalon von Simbach am Inn. Der junge Unternehmer ist am weitesten mit den Aufräum-Arbeiten. Auch deshalb, weil er elementarversichert ist – anders als die meisten Flutgeschädigten in Simbach.
"Bei mir, ich hab‘ ne Versicherung für den Inhalt. Das trägt die Versicherung. Der Hausbesitzer hat keine Versicherung. Der ist auf die staatlichen Hilfen angewiesen. Aber er hat auch gesagt, wir fangen jetzt mal an. Weil das für ihn ein gewerbliches Objekt ist, das er vermieten will. Und er will möglichst schnell wieder vermieten, nicht Monate abwarten."

Das Warten ist derzeit das größte Problem

Das Warten ist derzeit das größte Problem in Simbach am Inn. Viele Gebäude sind noch immer mit Holzplatten vernagelt. Der Putz an den Hauswänden ist bis zur Hochwasserlinie abgeschlagen – aber mehr passiert nicht. Die Unsicherheit sei überall zu spüren, sagt Kirchner.
"Viele, die ich kenne, sagen zwar: Wir packen das an! Wir bauen alles wieder auf! Die stört es halt momentan, je länger das dauert, desto mehr Unmut kommt auf, weil die Bearbeitung hängt. Und letztendlich auch die Auszahlung der Gelder, dass losgelegt werden kann. Es ist zwar zugesichert, aber es dauert einfach zu lang."
Der zuständige Landrat Michael Fahmüller bestreitet das. Er sitzt 25 Kilometer entfernt von Simbach im Landratsamt Pfarrkirchen. Seine Behörde sei nicht überfordert, sagt der CSU-Politiker.
"Es ist nicht so. Wir haben sehr viele Mitarbeiter aus anderen Abteilungen rausgezogen. Es arbeiten momentan schon zwanzig Mitarbeiter im Hintergrund an den Anträgen. Das Problem vieler Anträge ist, dass sie gar nicht bearbeitbar sind. Weil Gutachten oder Angebote fehlen. Und bei anderen fehlen einfach Unterlagen. Am Anfang hatten wir einen 30 cm hohen Stapel mit ersten Anträgen – davon waren zwei richtig."
Kein Wunder – viele Bürger von Simbach fühlen sich gar nicht in der Lage, einen Antrag auf Fluthilfe auszufüllen. Sie finden keine Gutachter, keine Handwerker – und sie sind immer noch traumatisiert.
"Ja sicher. Wenn ich dran denke, da hinten, wo wir jetzt sitzen, da sind drei Leute gestorben. Die sind erst im Oktober des Vorjahres eingezogen. Das ist katastrophal gewesen."

Viele Bewohner sind traumatisiert

Der Bürgermeister von Simbach, Klaus Schmid, hat deshalb zusammen mit dem Landrat ein Nachsorge–Projekt ins Leben gerufen. Vier Mitarbeiter des Bayerischen Roten Kreuzes sollen flutgeschädigte Anwohner beraten und betreuen.
"Es gibt viele Menschen in Simbach, die Angst vor einer Rückkehr in ihre Wohnungen haben. Die sich ganz einfach fürchten, wenn es wieder mal stark zu regnen beginnt. Deswegen hoffe ich sehr, dass viele Menschen den Weg zum Nachsorgeteam des BRK finden, so dass ihnen dort professionelle Hilfe angeboten werden kann. Unabhängig davon, ob sie mit kleineren Problemen oder ganz großen Sorgen kommen."
Die ganz großen Sorgen sind meistens finanzielle Notlagen - Privatinsolvenzen. Nur wenige Simbacher waren gegen Flutschäden versichert, obwohl mehr als 90% der Gebäude versicherbar gewesen wären. Der Freistaat Bayern hat zugesichert, zerstörte Wohnungseinrichtungen zu 80% zu ersetzen, in Härtefällen sogar zu 100%, erklärt Landrat Fahmüller.
Helfer schaffen verdreckte Bücher aus einer Buchhandlung in Simbach am Inn.
Auch die Kultur musste leiden: Helfer schaffen verdreckte Bücher aus einer Buchhandlung© imago / Lukas Barth
"Bei Gebäuden ist es so, dass der Schaden bei uns im Landkreis bezahlt wird – egal, ob Versicherung möglich war oder nicht. Wenn ich sage, ich habe einen Schaden von 100.000 Euro - das kostet das Wiederherstellen des Gebäudes, so wie es war, nicht mehr und nicht weniger – dann gibt es 80%."
Dieses Hilfsangebot orientiert sich an der Jahrhundertflut-Katastrophe von 2013 an der Donau. Die damals schwer betroffenen Städte Deggendorf und Passau sind nicht weit von Simbach entfernt.
"Ich hab‘ immer gefordert, ich will das gleiche Programm, wie es in Deggendorf gegolten hat. Da war es ja vom Bund die größte Förderung. Bei uns ist es nicht vom Bund. Ist mir ganz egal, weil bei uns der Freistaat Bayern das gleiche Programm aufgelegt hat, wie es 2013 war. Das Land Bayern steht dafür ein."

Die Stimmung im Ort ist schlecht - trotz Hilfe

Das klingt gut – aber die Stimmung in Simbach ist trotzdem schlecht. Zu tief sitzt bei vielen der Schock, zu groß sind die Verluste. Etwa bei dieser Anwohnerin, die behauptet, dass…
"… die Hilfe, die vorzeitig angepriesen worden ist vom Landratsamt, da ist ganz schnell wieder zurückgerudert worden. Da sind ganz viele Abzüge. Eine Bekannte hat was aus dem Spendentopf gekriegt, und dann ist ihr das bei der Soforthilfe wieder abgezogen worden. Und die hatte wirklich alles verloren."
Landrat Fahmüller sagt, es sei richtig, dass private Spendengelder mit staatlichen Hilfen verrechnet würden. Er müsse sicherstellen …
"… dass wirklich die Bedürftigen diese Spendengelder bekommen. Weil, wenn wir es jedem geben würden, wenn jeder bedürftig wäre, der einen Schaden hatte, dann bekommt jeder von den 5000 betroffenen Haushalten 500 Euro. Ob damit den wirklich Betroffenen geholfen ist, sei dahingestellt. Der wirkliche Härtefall bekommt ja 100 %."
Rückblick: Am 1.Juni 2016 wälzt sich eine gewaltige Schlamm- und Flutwelle durch das kleine Städtchen Simbach am Inn. Der Simbach, normalerweise nur 30 cm tief, reißt alles mit sich.
"Ja, das Wasser ist ungefähr 1,70 im Erdgeschoss gestanden. Alles kaputt, alles. Private Sachen, Papiere, alles kaputt. Und welche Versicherung zahlt? Wahrscheinlich gar keine."

Die Flutwelle kommt ohne Vorwarnung

Die gewaltige Flutwelle kommt ohne Vorwarnung. An einigen Stellen ist sie fünf Meter hoch. Christian Biedermann, Sprecher der Polizei Straubing, schaut auf die Fundamente eines zerstörten Hauses. Die Mauerreste ragen wie verfaulte Zähne aus den braunen Fluten des Simbachs.
"Ein Schadensausmaß für eine so kurze Zeit des Regens, der hier innerhalb von 20 Minuten oder einer halbe Stunde alles zerstört – unvorstellbar. Jeder, der das hier in Simbach gesehen hat, wird mir das bestätigen."
Heute, 100 Tage später, ist das Ausmaß des Schadens noch immer nicht endgültig geschätzt. Aber es liegt wohl allein im Landkreis Rottal-Inn bei rund einer Milliarde Euro.
In den vergangenen Wochen gab es Meldungen, dass zu kleine oder verstopfte Abflussrohre die Katastrophe mitverursacht hätten. Landrat Michael Fahmüller schüttelt den Kopf.
"Bei uns sind in 18 Stunden 240 Liter Wasser runtergekommen. Ein normales Gewitter hat zwei Gewitterzellen, wir hatten 50. Eine zehn Kilometer hohe Wetterfront, die aufgrund Windstille in Rottal-Inn quasi stillstand. Und das ist ein Ausmaß, diese Wassermassen waren einfach nicht machbar. Heißt aber nicht, dass wir in Zukunft den Hochwasserschutz nicht noch verstärken müssen. Wenn die Bevölkerung bereit ist, manche Maßnahmen mitzutragen."
Das Verrückte in Simbach ist: der Ort hat einen Hochwasserschutz. Der kleine Simbach verschwindet schon jetzt hinter meterhohen Mauern. HW150 heißt das in der Fachsprache: Schutz für ein Hochwasser, wie es alle 150 Jahre vorkommt. Aber das, was am 1. Juni in Simbach passierte, gab’s noch nie.

Vor dem Rathaus reißen Bagger die Straße auf

Vor dem Rathaus von Simbach am Inn reißen Bagger die Straße auf. Die Flut hatte sie komplett zerstört. Die gesamte Infrastruktur des Ortes wird erneuert. Die Kosten dafür trägt zu 100% der Freistaat, sagt Landrat Fahmüller.
"Das heißt, was die Kommunen haben an Schäden bei öffentlichen Straßen und Gebäuden, da wird die Bevölkerung nicht über Steuern belastet, weil der Freistaat Bayern auch 100% der Entsorgungskosten von dem ganzen Schlamm und Sperrmüll trägt. Das ist enorm."
Andere Bundesländer könnten sich das kaum leisten. In Bayern ist das Geld da - noch. CSU-Politiker Fahmüller hat kurz nach der Katastrophe gar versprochen, alles werde noch schöner wieder aufgebaut als vorher. Die meisten Simbacher glauben nicht daran.
"So wird’s sicher nimmer, wie’s mal gewesen ist."
Es ist natürlich ätzend, so zu leben. Schaut aus, als hätt‘ a Bombn eig‘schlogn! Das ist einfach belastend."
Allerdings zeigen andere Flutkatastrophen, dass es beim Wiederaufbau nicht um Wochen oder Monate, sondern Jahre geht. Es braucht einen langen Atem. In Passau, das 2013 in einer Jahrtausendflut versank, sind bisher erst 40 Prozent aller Anträge auf Hochwasserhilfe abschließend bearbeitet und ausgezahlt. Und das sei auch nicht ungewöhnlich, findet Landrat Fahmüller aus Rottal-Inn.
"Man kann bis Mitte nächsten Jahres den Antrag stellen. Man muss noch gar nicht fertig sein. Das heißt, wenn ich im Sommer 2017 den Antrag stelle, kann ich immer noch bauen. Das schlimmste ist die Eile beim Sanieren. Wenn ein Haus nass ist, muss man ihm Zeit lassen. Die Förderprogramme geben das her. Wenn die Rechnungen da sind, können wir die auch auszahlen."

Versicherungen werden nicht billiger werden

Das ist leicht gesagt. Aber wer ein zerstörtes Haus oder einen verwüsteten Laden hat, fragt sich, wie es morgen weitergeht. Wo und von was er leben soll. In Martin Kirchners Fall kommt hinzu: der selbständige Unternehmer muss seine Angestellten bezahlen – Flut hin oder her. Deshalb drückt er aufs Tempo.
"Deshalb haben wir einfach auf blöd angefangen, auf deutsch gesagt. Wir haben einen gewissen Druck, bei zwanzig Angestellten. Die Kosten laufen weitestgehend weiter, ich habe niemanden ausgestellt. Deshalb will ich, dass der Betrieb baldmöglichst weitergeht."
Kirchner hat keine Ahnung, welche Schäden seine Elementarversicherung am Ende tatsächlich übernimmt.
"Wird sich am Schluss herausstellen. Ich wusste, dass der Simbach schon mal über die Ufer getreten ist, 1990 war das. Da waren in den Geschäften 10 cm Wasser. Deshalb hab‘ ich Elementar auf jeden Fall gemacht."
Dass nun auch jene Simbacher Bürger staatliche Hilfen bekommen, die nicht versichert sind – Kirchner findet das okay. Auch wenn er selbst jahrelang teure Versicherungsbeiträge gezahlt hat. Und in Zukunft wird die Versicherung nicht billiger werden. Landrat Fahmüller fordert gar eine Absicherungs-Pflicht.
"Eine Zwangsversicherung wäre in meinen Augen das A und O. Angeblich darf man’s ja laut EU-Recht nicht. In Baden-Württemberg waren mal über 95% versichert, weil’s da mal Pflicht war. Der Zwang ist dann weggefallen. Es ist jeder schon auch selber eigenverantwortlich."
Denn in Zukunft, glaubt Fahmüller, kann sich der Staat keine großzügigen Fluthilfe-Programme mehr leisten. Diesmal hat sein Landkreis Rottal-Inn noch Glück gehabt. Glück im Unglück.
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