Humorvoll, selbstironisch und erkenntnisreich

16.08.2010
Der Philosoph Umberto Eco und der Drehbuchautor Jean-Claude Carrière sind überzeugt: Das E-Book wird gedruckte Bücher nicht als dauerhaftesten Wissens- und Erkenntnisspeicher ablösen können.
Seit Jahren steigt die Zahl digital verfügbarer Bücher. Vor allem Fachbücher, aber auch zunehmend belletristische Texte werden mithilfe spezieller Lesegeräte oder auf dem PC konsumierbar. Seitdem geht die Rede von der Verdrängung des gebundenen Buches durch das E-Book. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2008 wurde sogar das Verschwinden herkömmlicher Bücher innerhalb der folgenden fünfzehn Jahre prophezeit, berichtet der französische Drehbuchautor Jean-Claude Carrière.

In Anwesenheit des französischen Journalisten Jean-Philippe de Tonnac hat er sich wiederholt mit dem italienischen Schriftsteller, Medienwissenschaftler und Philosophen Umberto Eco zum Gespräch getroffen. Die beiden ausgewiesenen Buchliebhaber und -sammler, deren Privatbibliotheken jeweils vierzig- bzw. fünfzigtausend Bände umfassen, haben sich Gedanken über Geschichte des Buches, seine Zukunft und den Zustand unserer Kultur gemacht. Das Ergebnis liegt nun vor: "Die große Zukunft des Buches".

Die beiden nahezu Achtzigjährigen unterhalten sich, vom Journalisten de Tonnac immer wieder fragend animiert, voller Esprit über das Buch als eine Art "Rad des Wissens und des Imaginären", das trotz technologischer Veränderungen in seiner Funktion nicht zu übertreffen sei. Auch ihre persönliche Beziehung zu Büchern kommt zur Sprache: Sammelleidenschaft, Lektürevorlieben und Pläne, was mit der eigenen Bibliothek nach ihrem Ableben zu geschehen habe.

Eco und Carrière philosophieren über den Akt des Lesens und den des Vergessens. Mit autobiografischen Erzählungen und Anekdoten durchsetzt, humorvoll, selbstironisch, erkenntnisreich, stimulieren sie sich gegenseitig - und zugleich den Leser. Im entspannten Plauderton wird hier aus Erfahrung kondensiertes Wissen ausgebreitet, werden Autoren zitiert, von denen man noch nie etwas gehört hat, und die man nun unbedingt kennen lernen möchte.

Enzyklopädisch gebildet, sprechen die beiden über die Malerei der Aborigines oder über iranische Buchbindekunst des 10. Jahrhunderts. Sie erörtern, in welcher Phase der abendländischen Geschichte künstlerische Inspiration plötzlich versiegte und wie das Gedächtnis seit Verbreitung der Computer seine Funktion verändert. Seine Aufgabe sei nun vor allem das Filtern – keine besonders originelle Erkenntnis. Auf den prognostizierten Siegeszug des E-Books reagieren die beiden älteren Herren gelassen – für sie ist es ein weiteres modernes Speichermedium, bald veraltet wie Floppy Disc, VHS-Kassette oder CD-ROM, also nichts von Dauer. Gedruckte Bücher sind ihnen immer noch die dauerhaftesten Wissens- und Erkenntnisspeicher, etwas Besseres ließe sich nicht erfinden.

Auf knapp dreihundert Seiten erhält der Leser jede Menge Anregungen. Er kann ihnen selbstständig folgen oder sie übergehen, er kann seine eigenen Gedanken entwickeln, durch die Gesprächsform wird ihm keine Erkenntnis oktroyiert. Dieses Buch ist ein mitreißendes Plädoyer; eine Hommage an alle, die mit dem Buch Kultur geschaffen, bewahrt und transportiert haben, zugleich ist es auch ein beruhigend unaufgeregtes Zukunftsversprechen.

Besprochen von Carsten Hueck

Umberto Eco und Jean-Claude Carrière: Die große Zukunft des Buches
Aus dem Französischen von Barbara Kleinerm
C. Hanser Verlag, München 2010
274 Seiten, 19,90 Euro
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