Humboldt in Südamerika

Ein postkolonialer Blick auf die Welt

12:47 Minuten
Zeitgenössisches Bild von Alexander von Humboldt und Aimé Bonplan in den Anden.
Ein Forscher, der versuchte, seinen kulturellen Kontext abzuschütteln, sagt der Historiker Joachim Eibach über Alexander von Humboldt. © imago stock / United Archives
Joachim Eibach im Gespräch mit Winfried Sträter |
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Alexander von Humboldt ist der Star der Wissenschaft in diesem Jahr. Zugleich wird er kritisiert als Mann, der mit seinen Forschungen den Drang der Europäer, sich die Welt untertan zu machen, verkörpert. Damit tut man ihm unrecht, meint Joachim Eibach.
Als aufgeklärter Europäer reist der Naturforscher Alexander von Humboldt zwischen 1799 und 1804 nach Südamerika. Er sammelt, vermisst, beobachtet.
Mit einer Erlaubnis des spanischen Königs ausgestattet, nach Lateinamerika zu reisen, bewegte sich Humboldt natürlich in einem klassischen kolonialen Kontext, sagt der Historiker Joachim Eibach (Universität Bern), der an der in diesem Jahr erschienenen Gesamtausgabe der Humboldt-Schriften mitgewirkt hat.

"Ein absoluter Nerd und Maniac"

Humboldt sei ein "Forscher-Ich par exellence" gewesen, so der Historiker. "Ein absoluter Nerd und Maniac, wenn es um seine empirischen Forschungen ging." Gleichzeitig aber auch jemand, der eine große Sensibilität gegenüber den Indigenen an den Tag legen, was letztlich zu einer gewissen Ambivalenz seines Verhaltens führte:
"Ein berühmtes Beispiel ist, wie er auf einer Insel im Orinoko mit seinem französischen Reisebegleiter Aimé Bonpland eine Grabstätte der ausgestorbenen Aturis-Indianer entdeckt und dann versucht, diese Skelette auszugraben, um sie mit nach Europa zu nehmen", sagt Eibach.
"Man könnte sagen: ein klassischer Grabraub. Das ist sicherlich eine der Geschichten, die auf der legenda negra ziemlich weit oben rangieren. Was dann aber typisch für ihn ist: Er bemerkt das und sagt es auch ganz explizit, dass es eigentlich ein Frevel ist. Dass er hier Grenzen überschreitet. Und er notiert das und teilt das so mit, dass er auch die Reaktionen der sogenannten Indianer wiedergibt. Er schreibt: Die Mienen unserer indianischen Führer sagten uns, dass wir diese Grabstätte genug entheiligt hätten und den Frevel endlich endigen sollten."

Ein unvorstellbarer Rollentausch

Humboldt weigerte sich im Gegensatz zu anderen europäischen Forschungsreisenden, sich von Lastenträgern tragen zu lassen. Er ging sogar so weit, die Rollen zu tauschen:
"Im heutigen Kolumbien, an einem Andenpass, ist es üblich gewesen, dass sich die weiße Herrenschicht, wenn sie diesen Bergpass bewältigen wollte, von indigenen Führern tragen ließ. Von Stuhlträgern. Das lief so ab, dass sich diese Träger einen Stuhl auf den Rücken schnallten, wo sich dann eben der weiße Herr oder die Dame drauf setzte und ließ sich dann über den Sattel tragen", erzählt Eibach.
"Das muss ziemlich ungemütlich gewesen sein. Humboldt sieht das und sagt: das kommt für mich überhaupt nicht in Frage. Und jetzt meldet sich dieses omnipräsente Forscher-Ich in Alexander von Humboldt und sagt: Ich will aber wissen, wie das funktioniert! Deswegen sagt er zu dem Träger: Komm, gib du mir mal den Stuhl, ich schnall mir den auf meinen Rücken, und setz du dich mal auf meinen Rücken."

Europa nicht als Maßstab gesetzt

Auch habe Humboldt versucht, die kulturellen Praktiken der Indigenen zu verstehen, ohne diese geringzuschätzen: Zwar gebe es in seinen Reisetagebüchern Passagen, in denen er sein Befremden über die Indigenen ausdrücke oder beispielsweise auch einmal bestimmte Ethnien am Orinoko als hässlich beschreibe. "Andererseits ist er immer einer, der auch versucht, diese Stereotypen zu überwinden und sich zu fragen: warum machen die das eigentlich so, sind die wirklich so primitiv, wie sie auf den ersten Blick manchen vielleicht erscheinen mögen?"
Insofern ist es Humboldt dem Historiker zufolge teilweise gelungen, die koloniale Perspektive zu überwinden. Zum einen, indem er sich der Kultur der Indigenen einfach ausgesetzt habe:
"Das ist eben etwas, wo kaum jemand in dieser Zeit Humboldt etwas vormacht, dieses sich aussetzen unter freiem Himmel, am Orinoko mit indigenen Ruderern übernachten, in ihren Hütten übernachten und so weiter."
Und zum anderen, indem er versucht habe, Europa nicht als Maßstab zu setzen:
"Also etwa, wenn er Höhen inspiziert und es ist ein Problem, dass dann die indigenen Führer nicht weitergehen wollen, weil das ein heiliger Ort für sie ist, das ist für ihn erst mal lästig und er regt sich darüber auf, aber andererseits relativiert er das auch und sagt: naja, die haben genau solche Vorstellungen eigentlich wie die Griechen. Mit dem Hades, wo die Seelen der Verstorbenen wohnen, und es sind heilige Orte. Also er vergleicht immer wieder horizontal und indem er Europa nicht ins Zentrum setzt."
Literaturhinweise:
  • Joachim Eibach: Tasten und Testen. Alexander von Humboldt im Urwald, in: Zeitenblicke 11 (2012), herausgegeben von Joachim Eibach und Claudia Opitz
  • Oliver Lubrich (Hrsg.), Thomas Nehrlich (Hrsg.): Alexander von Humboldt - Sämtliche Schriften
    Berner Ausgabe, dtv 2019, 10 Bde., 6848 Seiten, 250 Euro
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