Huldigung an den Vater

Rezensiert von Gustav Seibt · 21.09.2006
Der Publizist und Historiker Joachim C. Fest erzählt in "Ich nicht" die Geschichte seiner kompromisslos widerständigen Familie im Dritten Reich. Und er beschreibt - brillant und bewegend -, wie ihn sein Vater vor den moralischen Gefahren dieser finsteren Epoche gerettet hat.
"Ich nicht" ist für eine Autobiographie der ungewöhnlichste Titel, der sich denken lässt. In Joachim Fests Geschichte seiner Jugend markiert er den Ausdruck von individueller Selbstbehauptung.

"Etiam si omnes, ego non", ließ Fests Vater seine Söhne am Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft auf Zettel schreiben, in Anspielung auf die Ölbergszene im Neuen Testament. Dort erklärt Petrus, der Lieblingsjünger von Jesus, seinem Herren, dass wenn alle ihn verleugnen würden, er das nicht tun würde. Treue zu einem höheren Sittengesetz, das meint diese stolze Formel. Dass Petrus selbst schwach wird und Christus doch verleugnet, die Erinnerung daran überlässt Fest dem Leser. Denn sein Vater, Johannes Fest, blieb standhaft.

Als Schulrat von Lichtenberg wurde er 1933 aus dem Staatsdienst entlassen und musste bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs unter beengten materiellen Bedingungen mit einer siebenköpfigen Familie, darunter dem 1926 geborenen Sohn Joachim, aushalten. Als die Mutter Schwäche zeigte, dem Vater den Eintritt in die Partei nahe legte und erklärte, schließlich seien sie kleine Leute, erwiderte dieser: Nein, das seien sie nicht, nicht in solchen Fragen.

Ich nicht, das heißt also: In moralischen Dingen ist niemand ein kleiner Mensch, und jedem stellt sich die Frage, ob er mitläuft oder nicht. Familie Fest lief nicht mit, und diese eher seltene Geschichte einer kompromisslos widerständigen Familie im Dritten Reich ist der Hauptinhalt von Fests letztem und vielleicht schönstem Buch. Es erzählt von Bürgerlichkeit als politischer Haltung – Republikanismus – und als Bildungswelt, von der seltenen Kombination aus Preußentum und Katholizismus, die diese moralische Sicherheit ermöglichten. Und sehr farbig schildert es den großstädtischen sozialen Hintergrund, der auch Freiräume bot, zumal im kleinbürgerlich-proletarischen Osten Berlin, in dem Fest aufwuchs.

Der spätere Hitler-Biograph musste sein Gymnasium in Kreuzberg verlassen, weil er den Führer karikiert hatte und kam auf ein katholisches Internat in Freiburg am Schwarzwald. Vielleicht rettete ihm dieser Umstand das Leben, denn das Kriegsende erlebte der Luftwaffenhelfer Fest nicht an der Ostfront, sondern in den Ardennen, wo er in die Gefangenschaft der Amerikaner fiel und vergleichsweise gut behandelt wurde.

Fests brillant erzähltes, bewegend gefühlvolles Buch ist vor allem eine dankbare Huldigung an seinen Vater, der ihn vor den moralischen Gefahren dieser finsteren Epoche gerettet hat. Die späteren Motive des Historikers und Publizisten Fest, seine Befassung mit dem Dritten Reich, seine Sorge um die Fundierung der demokratischen Staatsform werden hier lebendig; aber auch die große Menschlichkeit dieses bedeutenden Mannes, seine Freude an kontroverser Auseinandersetzung, sein unbeugsamer Freiheitswille und sein lebendiger Konservatismus, der aus einer glücklichen Herkunftswelt stammt. Wunderbar erzählt ist dieses ebenso farbige wie grundsätzliche Buch.

Joachim Fest: Ich nicht. Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend
Rowohlt Verlag, Reinbek 2006
367 Seiten, 19,90 Euro