Hubertus Knabe: Es wird mit zweierlei Maß gemessen

Hubertus Knabe im Gespräch mit Frank Meyer |
"Was im Osten selbstverständlich ist, stößt im Westen bis heute auf massiven Widerstand", kritisiert der Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe. Eine Überprüfung von Bundestagsabgeordneten würde sicherstellen, dass nicht "alte Seilschaften geheimdienstlicher Natur" in die Politik einwirkten, so Knabe.
Frank Meyer: Der Einfluss der DDR-Staatssicherheit auf den Westen muss endlich gründlich untersucht werden nach dem bekannt gewordenen Fall Kurras. Das wird jetzt von verschiedenen Seiten gefordert, von Historikern und einigen Politikern. Schon vor zehn Jahren hat der Historiker Hubertus Knabe zwei Bücher über die Stasi im Westen vorgelegt. Hubertus Knabe war Mitarbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde, heute leitet er die Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen. Hubertus Knabe ist jetzt für uns am Telefon. Herr Knabe, Sie haben den Fraktionen des Bundestages schon vor einiger Zeit vorgeschlagen, die Einflussnahme der Staatssicherheit auf das deutsche Parlament wissenschaftlich zu untersuchen. Das wurde aber abgelehnt. Von wem denn und mit welcher Begründung?

Hubertus Knabe: Ja, ich habe es zunächst einmal der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen vorgeschlagen, die ja die Aufgabe hat, die Öffentlichkeit über Struktur, Methoden und Wirkungsweise der Staatssicherheit zu unterrichten. Und ich habe ihr gesagt, dass die Einwirkung der Stasi auf das deutsche Parlament da doch sicherlich eine besonders große Bedeutung hat. Sie hat das damals abgelehnt. Dann habe ich an die Fraktionschefs des Deutschen Bundestages geschrieben, weil der Bundestag nach Gesetz befugt ist, die Stasi-Akten-Behörde zu beauftragen, eine solche Expertise anzufertigen. Daraufhin hat mir der Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen geantwortet, dass das nicht ginge, dass man das auch nicht wolle. Und sein Kollege von der SPD hat sich dann in einem Brief dieser Meinung angeschlossen. Unter dem Strich wollen beide nicht – und ich finde das nicht in Ordnung.

Meyer: Was vermuten Sie an Ursachen dafür, fehlt da einfach der Aufklärungswille der deutschen Politik über ihre eigene Vergangenheit?

Knabe: Tja, also wo Sie vorhin meine Bücher aus dem Jahre 1999 erwähnt haben, ging mir auch durch den Kopf, eigentlich merkwürdig, dass sich in diesen zehn Jahren auf diesem Gebiet so wenig verändert hat. Es gab eigentlich von Anfang an massive Blockaden gegenüber einer Aufarbeitung der Westaktivitäten der Staatssicherheit. Ich selber hatte damals Schwierigkeiten, Dinge zu publizieren, und dann ging es um die Rosenholz-Unterlagen, wo die Agenten des Westens oder im Westen verzeichnet waren, die erst in Amerika unter Verschluss waren, dann hier in Deutschland. Und das setzt sich im Grunde bis heute fort an dieser Frage des Deutschen Bundestages, wo es auch kürzlich noch einmal großen Ärger gab, nachdem eine Information aus der Behörde gedrungen war, dass, ich glaube, 43 Abgeordnete der Legislaturperiode 69 bis 72 bei der Staatssicherheit erfasst waren. Das hat man ganz schnell dann unter den Teppich gekehrt, da gab es schon vor einiger Zeit große Aufregung drum. Also man hat das Gefühl, dass hier eine Blockade besteht und dass bei Stasi-Aufarbeitungsfragen wirklich mit zweierlei Maß gemessen wird. Das, was im Osten selbstverständlich ist, stößt im Westen auf massiven Widerstand, bis heute.

Meyer: Sie haben gerade diese Legislaturperiode des sechsten Deutschen Bundestages angesprochen, 1969 bis '72. Der wurde ja in der Tat untersucht, und es gab den Anfangsverdacht, der auch durch die Medien ging: 49 Abgeordnete, das wäre ja wirklich eine ganze Fraktion, hätten Kontakte mit der Stasi gehabt. Am Ende blieben aber, wenn ich richtig informiert bin, nur noch vier tatsächliche Verdachtsfälle übrig. Das ist weit entfernt von einer Fraktionsstärke. Dann ist das Problem doch nicht so groß, wie Sie es jetzt dargestellt haben?

Knabe: Ja, das ist natürlich immer relativ. Ist es viel oder wenig, wenn vier Abgeordnete des Deutschen Bundestages für die Staatssicherheit tätig waren. Ich habe jetzt die Zahl nicht mehr genau im Kopf, ich glaube, später ist dann noch einer dazugekommen, wo die Beweislage nur etwas schwieriger war. Ich finde, das reicht eigentlich schon, vor allem wenn man bedenkt, wie sehr die Staatssicherheit gerade in dieser Legislaturperiode eingegriffen hat in die deutsche Politik. Da ging es ja um die Ostpolitik, um die Anerkennung der DDR und schließlich auch um Willy Brandt als Bundeskanzler, der ja seine Mehrheit verloren hatte und dann dank der Stasi und einer Bestechungsaktion letztlich doch im Amt geblieben ist 1972. Das alles sind natürlich ganz gravierende Einflussnahmen, die untersucht werden müssen, und ich bin der festen Überzeugung, dass es sie auch vorher gab. Das kann man schon alleine sehen, wenn man die Protokolle liest, wenn sich Erich Mielke mit seinen Generälen unterhalten hat auf den sogenannten Kollegiumssitzungen. Da ist ständig davon die Rede, wie man in die bundesdeutsche Politik einwirken will und auch eingewirkt hat.

Meyer: Was würden Sie denn unterm Strich sagen nach Ihren Untersuchungen, die Sie in Ihren Büchern publiziert haben: Wie erfolgreich war die Staatssicherheit dabei, Einfluss auf die westdeutsche Politik zu nehmen?

Knabe: Ja, auch das relativ. Man kann natürlich sagen, die DDR ist zugrunde gegangen, also war die ganze Stasi nicht wirklich effektiv. Man kann andererseits sagen, sie hat 40 Jahre die Menschen geknechtet und sich im Sattel gehalten, also war sie sehr effektiv. Das kriegen andere Diktaturen nicht hin. Und was die Einwirkungen der Bundesrepublik anbetrifft, so hat man doch – und das ist, denke ich, ein ganz wichtiger Punkt – das Meinungsklima hier stark verändert. In den 50er-Jahren wollte mit der DDR eigentlich niemand etwas zu tun haben im Westen, und in den 80er-Jahren gab es viele, die eigentlich die DDR zu Ausland erklären wollten und auch DDR-Deutsche, die dann in Botschaften vielleicht sich dort Zuflucht gesucht haben, dass diese als Ausländer betrachtet werden. Also hier gab es einen großen Meinungsumschwung, der nicht nur an der Stasi lag, aber auch an der Stasi, und in bestimmten Konflikten, wie etwa um die NATO-Nachrüstung, kann man ganz deutlich erkennen, dass die Einflussnahmen aus der DDR doch ganz erheblich in die politische Kultur der Bundesrepublik eingewirkt haben, eingegriffen haben.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir reden über die Aktivitäten der Staatssicherheit im Westen mit dem Historiker Hubertus Knabe, der über dieses Thema gearbeitet hat, und wir reden über die offensichtlichen Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung dieses Themas. Da wird dann immer auch die Stasi-Unterlagenbehörde ins Spiel gebracht. Wir haben gestern hier in unserem Programm mit der Chefin dieser Behörde gesprochen, mit Marianne Birthler, über eben diesen Vorwurf, ihre Behörde würde zu wenig tun, um die Stasiarbeit im Westen aufzuklären. (O-Ton Marianne Birthler Was sagen Sie dazu, Herr Knabe?

Knabe: Tja, also das wirkt doch sehr nach Verteidigung. Und wenn man sich den Forschungsplan der Behörde anguckt, wo dann etwa Projekte über Literaturschmuggel zwischen DDR und Ungarn untersucht werden oder die Zusammenarbeit mit dem rumänischen Geheimdienst, da fragt man sich schon, ob es nicht wichtiger wäre, hier einmal diese deutsch-deutschen Geheimdienstaktivitäten wirklich auf den Tisch zu legen. Weil das auch, glaube ich, die politische Kultur vergiftet. Ich werde gerade von Journalisten immer wieder gefragt, ob es da nicht irgendwie Verschwörungen gibt, dass irgendjemand irgendwas verhindern will, dass irgendetwas aufgedeckt wird. Dadurch, dass man da so defensiv herangeht, füttert man natürlich diese Gerüchte und Verschwörungstheorien. Und ich meine, was ist dagegen einzuwenden, wirklich einmal zu gucken, wer im Deutschen Bundestag von 1949 an bis '89 eigentlich für die Staatssicherheit gearbeitet hat. Dafür haben wir doch diese Behörde, so etwas zu untersuchen. Und sie ist ja nicht gerade billig, 100 Millionen Euro pro Jahr. Insgesamt hat sie uns schon knapp zwei Milliarden Euro gekostet und die großen Fragen, die viele Menschen interessieren, sind immer noch nicht geklärt. Alleine jetzt der Fall des Ohnesorg-Mörders oder des Todesschützen Kurras zeigt doch, dass hier noch sehr viel aufzuklären ist.

Meyer: So eine grundlegende Stasi-Überprüfung im Westen war immer mal wieder im Gespräch. Gerade ostdeutsche Politiker, auch aus der CDU, haben die gefordert, auch im Sinne der Gleichbehandlung in Ost und West. Aber es gab eben immer wieder Widerstand dagegen. Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach hat zum Beispiel gesagt, eine Regelüberprüfung im Westen, die sei überflüssig und zu aufwendig. Was halten Sie von diesem Argument?

Knabe: Auch das war von Anfang an sehr auffällig, dass, was im Osten selbstverständlich war, im Westen auf Ablehnung stieß. Und das betraf zum Beispiel Universitäten, wo es jede Menge IMs, also Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi, gab oder auch Ministerien und Behörden. Das ist immer abgelehnt worden. Übrigens auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat das im Westen immer abgelehnt. Aber jetzt ist das im Grunde sowieso zu spät, weil der Gesetzgeber die sogenannte Regelüberprüfung, die gar keine war, aber wenigstens die Möglichkeit bot, in dem öffentlichen Dienst die Mitarbeiter zu überprüfen, die ist ja bei der letzten Novellierung des Gesetzes abgeschafft worden. Jetzt können nur noch Behördenchefs überprüft werden. Und auch der Deutsche Bundestag hat von Anfang an gesagt, wir überprüfen uns nur freiwillig und wenn ein Verdachtsfall vorliegt. Der Bundestag hat es immer abgelehnt – und das bezieht sich dann eben auch auf den Westen –, dass seine Mitglieder automatisch auf eine Stasi-Mitarbeit geprüft werden. Ich finde das falsch. Ich kann immer nur wieder sagen, Stasi-Überprüfungen tun nicht weh, das ist so wie mit der Schluckimpfung, sondern sie sorgen eben für eine Klarheit und Transparenz, dass nicht alte Seilschaften geheimdienstlicher Natur in unsere Politik hineinwirken, wie das in Russland oder in Rumänien bis heute der Fall ist.

Meyer: Die Stasi-Aktivitäten im Westen. Darüber habe ich mit dem Historiker Hubertus Knabe gesprochen. Er ist der Direktor der Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!