"Howl"

Von Bernd Sobolla · 02.01.2011
Der amerikanische Dichter Allen Ginsberg kam vor allem durch sein Gedicht "Howl" zu berüchtigter Berühmtheit. 1957 beschlagnahmte die Polizei gar rund 500 Exemplare des gleichnamigen Buches. Es folgte ein viel beachteter Prozess, den die amerikanischen Filmemacher Rob Epstein und Jeffrey Friedman verfilmt haben.
"Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, hungrig, hysterisch, nackt, wie sie im Morgengrauen sich durch die Negerstraßen schleppten, auf der Suche nach einer wütenden Spritze."

Mit diesen Worten beginnt Allen Ginsbergs Gedicht "Howl". Es ist eine Beschreibung vom Herumvagabundieren, vom Leben zwischen Sex, Drogen und Alkoholexzessen. Kurz, es handelt vom ganz alltäglichen Wahnsinn. Ein Abgesang auf all das, was dem puritanischen Amerika in den 50er-Jahren heilig ist. Schließlich werden im freiesten Land der Welt Kommunisten gejagt und Kritiker wegen "unamerikanischer Aktivitäten" verhaftet. Dass das Gedicht bzw. sein Verleger Lawrence Ferlinghetti vor Gericht landen, passt da ins Bild. Dort werden nun Experten befragt, ob "Howl" obszön und gesellschaftlich gefährdend sei:

"Ich denke, es hat keinen literarischen Wert. Bezüglich des Inhalts ist jedes große Werk der Literatur, alles, was unter Literatur eingeordnet werden kann, von moralischer Größe. Und diese Größe vermisse ich außerordentlich"

Die Regisseure Rob Epstein und Jeffrey Friedman schildern die Geschichte auf drei Ebenen: Im Zentrum steht die Gerichtsverhandlung, an der Allen Ginsberg übrigens nie teilnahm. Dann gibt es Animationssequenzen, mit denen sie versuchen, die Poesie des Gedichtes visuell umzusetzen

Und schließlich schildert Allen Ginsberg, hervorragend von James Franco gespielt, seine Gedanken sowie Momente aus seinem Leben, zum Beispiel als er sich das erste Mal in einen Mann verliebt:

"Ich trampte von Denver aus mit meinem Freund Neal Cassady durch das Land. Und Neil war sehr ausgelassen, sehr charmant und er hatte 6.000 Frauen über den Kontinent verteilt, die ihn immer sehr auf trapp hielten."

Dazwischen hämmert die Schreibmaschine, es wird auf Partys getanzt und Ginsberg begeistert das Publikum bei Lesungen: das Ganze abwechslungsreich montiert, sowohl in Farb- als auch in Schwarz-Weiß-Aufnahmen.

"Die Polizisten bissen in den Nacken und vor Freude kreischten in dem Streifenwagen, weil ihr einziges Verbrechen war, begeisterte und absolut hemmungslose Päderasten und Süchtige zu sein, die es hinaus heulten auf den Knien in der U-Bahn und dann vom Dach gezerrt wurden und Genitalien schwenkten und Manuskripte..."

Interessant ist aber vor allem, wie im Gerichtssaal formal über "Howl" gestritten wird, während es eigentlich um viel mehr geht: Denn der Film handelt von der Zensur und der Frage, was Kunst eigentlich ist und ob es Grenzen gibt, die sie nicht überschreiten darf.

"Es gibt Bücher, die haben die Macht, Menschen zu ändern und auf Situationen hinzuweisen, die sichtbar sind, aber die niemand sieht. Ob das 'Geheul' jetzt obszön ist oder nicht, ist für unsere Welt, die um ihr physisches Überleben kämpfen muss, nicht von großer Bedeutung. Aber das Problem, was jetzt und in Zukunft rechtlich zulässig ist bei der Beschreibung sexueller Handlungen in Kunst und Literatur, das ist von größter Bedeutung – für eine freie Gesellschaft."

"Howl" ist ein Film, der von den Dialogen und Gedanken lebt und – obgleich in den 1950er-Jahren verankert – irgendwie zeitlos erscheint. Allerdings wirken die Animationssequenzen deplatziert und der Einfluss von Allen Ginsberg hätte stärker betont sein können. Denn er beflügelte nicht nur die Vertreter der Beatgeneration, sondern ebenso Musiker und Bildende Künstler. Zugleich räumt der Film mit der Legende auf, Ginsberg sei schon immer der geborene Revolutionär gewesen.

"Meine Angst hat angefangen bei dem Gedanken, was mein Vater, von dem, was ich schreibe, wohl hält. Damals als ich "Das Geheul" schrieb, da ging ich davon aus, dass das nichts wäre, was veröffentlicht werden würde, weil ich hätte nicht gewollt, dass mein Vater sieht, was drin steht. Na ja, da ich nicht von einer Veröffentlichung ausging, konnte ich alles schreiben, was ich wollte."

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