Hotline mit Hürden

Von Jens Rosbach · 04.07.2009
Wohin sollen Moslems gehen, wenn sie private Probleme haben? Viele Moscheegänger wollen sich nicht an ihren Geistlichen, den Imam, wenden. Doch häufig fühlen sich die Würdenträger auch von intimen Sorgen der Gemeindemitglieder überfordert. Aus diesem Grund startete Anfang Mai ein bundesweit einzigartiges Projekt: das <papaya:link href="http://www.muslimisches-seelsorgetelefon.de" text="Muslimische Seelsorgetelefon" title="Muslimische Seelsorgetelefon" target="_blank" />.
Am Anfang stand ein Problem. In den vergangenen Jahren riefen bei der kirchlichen Telefonseelsorge Berlin-Brandenburg immer häufiger ratsuchende Moslems an. Mit ganz speziellen Anliegen.

"Thema Zwangsheirat – war ein großes Thema. Also ein Mädchen, was eigentlich in Deutschland beheimatet ist, wo auf einmal das Thema anstand, ich soll jetzt im Sommer in die Türkei in den Urlaub fahren und ich werde da gegebenenfalls meinen Bräutigam kennen lernen, das ist so verabredet in den Familien, ich möchte das aber eigentlich nicht. Und da ist es unseren ehrenamtlichen Mitarbeitern mitunter auch schwergefallen, sich dort rein zu versetzen, mit diesen Traditionen sind wir ja auch wirklich nicht so vertraut."

Uwe Müller, der Chef der kirchlichen Telefonseelsorger an der Spree, kam deshalb auf die Idee, eine eigene muslimische Telefonseelsorge zu gründen. Drei Jahre lang warb Müller für die neue Hotline - und immer wieder stieß er auf Skepsis. Weniger bei den christlichen Kirchen, als bei der vielschichtigen muslimischen Community. Niemand wollte dort die Verantwortung für das Projekt übernehmen, zudem gab es Furcht vor Vereinnahmung. Doch dann fanden sich eine islamischen Hilfsorganisation - und über 20 Freiwillige.

"Und so haben wir einen Ausbildungskurs gemacht, wo Christen Muslime ausgebildet haben. Und das war glaube ich der eigentlich Knackpunkt bei den Muslimen - sozusagen die muslimische Community, zumindest deren obere Etage – die gesagt hat: Wie kann denn das sein, dass Muslime von Christen ausgebildet werden? Gab sicher von der Community schon Sorge, dass hier auch ne christliche Missionierung passiert. Aber da haben wir gesagt: Wird nicht passieren, wir wurden auch nicht missioniert, aber wir haben unseren Glauben kennen gelernt und auch respektieren gelernt und auch ein Stück schätzen gelernt."

Die Telefonseelsorger der Hauptstadt ließen an ihrem Sitz in Berlin-Prenzlauer Berg einen Dachstuhl ausbauen und Telefone installieren.

Salam Aleikum, Guten Tag! Ein helles, licht durchflutetes Büro mit Computer, Headset - und einem Koranvers an der Wand: Oh Herr, öffne meine Brust und erleichtere meine Aufgaben!

Tatsächlich sind die Aufgaben der muslimischen Telefonseelsorger beträchtlich. Denn in der türkisch- und arabischsprachigen Welt ist es nicht üblich, fremden Menschen private Sorgen mitzuteilen. Imran Sagir, der Geschäftsführer der neuen Hotline, kennt den Grund für die Zurückhaltung.

"Das liegt daran, dass das grundsätzlich religiös gesehen so ist, dass man seine eigenen Fehler nur mit Gott besprechen soll und offenbaren soll. Nur im Bereich wenn ich einen Rat suche, kann ich zu jemandem gehen. Aber natürlich entstehet dadurch eine gewisse Kultur, dass man sagt, okay, du musst mit deinen Problemen selber mit Gott klar kommen und dann mache ich lieber den Schritt nicht, dass ich zu jemandem gehe. Grundsätzlich ist es so, dass man Probleme nicht nach außen kehren soll."

Die Mitarbeiter rechnen dennoch mit großem Beratungsbedarf. Bereits jetzt wählen jeden Tag drei bis vier Muslime die Berliner Nummer - obwohl die Hotline bislang keinerlei Werbung gemacht hat und auch nur von 16 bis 24 Uhr besetzt ist. Die Anrufer haben zumeist klassische Probleme – wie Ehe-, Alkohol- oder Geldsorgen. Trotzdem müssen sich die Telefonberater gut in der islamischen Religion auskennen. Etwa wenn eine Frau nach einem Trost-Gebet fragt. Oder wenn ein Vater klagt, dass seine Kinder nichts von Allah wissen wollen.

"Da muss man schon religiöses Wissen in der Hinsicht ne Grundlage haben, dass es eben schon ne Verantwortung ist als Familienvater, das anzubieten das Wissen über die Religion. Aber natürlich ohne Zwang und ohne Druck. Dass man weiß, dass die Person selber die Absicht bekunden muss. Es geht nicht, dass die Person irgendwie dazu gezwungen wird. Wenn man das nicht weiß, dann kann man auch nicht argumentieren oder irgendwie zu einem Lösungsansatz kommen, der zufriedenstellend ist für beide Seiten."

Die anonyme Beraterin ist 29 Jahre alt, türkischstämmig und trägt ein Kopftuch. Sie studiert an der Freien Universität Berlin Erziehungswissenschaften, arbeitet ehrenamtlich bei einem muslimischen Jugendverein – und nun auch bei der Hotline. Die monatelange Ausbildung bei der Kirchlichen Telefonseelsorge sei eine gute Vorbereitung gewesen, erklärt sie.

"In der Hinsicht, dass ich davor immer den Personen versucht habe, einen Rat zu geben. Jetzt versuche ich eher zuzuhören. Und dann der Person einen Spiegel vorzuhalten, wie sie sich fühlt. Dass ich eher in den Hintergrund trete. Davor war das eher so, dass ich versucht habe, Lösungen anzubieten etc."

Die islamische Hotline nennt sich offiziell nicht Telefonseelsorge, da der Name geschützt ist - sondern Seelsorgetelefon. Die Initiatoren gehen davon aus, dass viele Moslems niemals bei einer normalen Telefonseelsorge anrufen würden, dafür aber bei einer Einrichtung aus ihrem Kulturkreis. Rein handwerklich, betont die Beraterin, sei die psychologische Gesprächsführung aber überall gleich.

"Man hat solche Floskeln: Inshallah oder Mashallah oder Hamdullillah –also 'Lob sei Gott' oder 'So Gott will' und 'Was Gott will', die man benutzt. Ansonsten wird das jetzt nicht … hört man das jetzt nicht unbedingt heraus, ob das eine Muslima ist. Wenn man das alles weglassen würde, würde man das überhaupt nicht hören."

Die ehrenamtlichen Mitarbeiter müssen bestimmte Kriterien erfüllen: Sie sollen gut integriert sein und perfekt Deutsch sprechen – denn die Gespräche werden nur auf ausdrücklichen Wunsch auf Türkisch oder Arabisch geführt. Das insgesamt 23köpfige Team ist bunt gemixt: Der eine Berater ist indischstämmig, der andere hat seine Wurzeln Pakistan oder Ekuador. Nach Auskunft von Geschäftsführers Sagir müssen alle Mitarbeiter religiös sein – schließlich handele es sich um ein muslimisches - und kein atheistisches – Sorgentelefon.

"Das sind eigentlich alles praktizierende Muslime – das wird auch in irgendeiner Form erwartet. Also der Frömmigkeitsgrad, der wird hier nicht getestet. Das mit Sicherheit nicht. Aber es sind so erstmal praktizierende Muslime."

Eine Hotline für muslimische Migranten und Migrantenkinder - ist das neue Seelsorgetelefon ein Vorzeigeprojekt? Experten sind skeptisch, denn ein fundamentalistischer Einfluss ist nicht ausgeschlossen. So ist der 35-jährige Hotline-Geschäftsführer Imran Sagir gleichzeitig Chef des Berliner Religionsvereins Inssan. Und Inssan hat laut Bundesinnenministerium "personelle und organisatorische Verbindungen" zu einer islamistischen Organisation. Doch Initiator Uwe Müller von der Kirchlichen Telefonseelsorge weiß nichts über Sagirs Arbeit bei Inssan.

"Zu dem Verein kann ich wenig sagen. Ausbildungskompetenz kriegt Herr Sagir von uns. Und was ich bisher erlebt habe, ist der hier gut angekommen und macht seine Sache ganz gut."

Sagir selbst erklärt, sein religiöser Verein stehe zur deutschen Gesellschaft – aber er stehe auch zur umstrittenen muslimischen Partnerorganisation. Konkret geht es um Verbindungen des Inssan-Vereins zur Islamischen Gemeinschaft in Deutschland, IGD. Der Bundesverfassungsschutz sieht die IGD als Ableger der extremistischen Muslimbrüderschaft in Ägypten. Zitat aus dem Verfassungsschutzbericht 2008:

"Die IGD versucht mittels politischer und gesellschaftlicher Einflussnahme, ihren Anhängern eine an der Scharia orientierte Lebensweise zu ermöglichen."

Mit anderen Worten: Die IGD begrüßt ein undemokratisches Rechtssystem, das unter anderem drakonische Körperstrafen vorsieht. Haben die Islamisten nun über den Berliner Verein Inssan Einfluss auf die muslimische Telefonseelsorge? Wird dort eine extremistische Ideologie importiert? Der Islambeauftragte des Erzbistums Berlin, Pater Alois Schmid, schüttelt den Kopf:

"Das würde ich nicht sagen, weil Inssan gibt vor, dass sie unabhängig sind. Und zwar geben sie sich als Muslime aus, die keinen Hintergrund haben in einem Herkunftsland. Sie sprechen auch von europäischem Islam. Aber wie gesagt, man wirft ihnen vor, dass sie Verbindungen haben zu den Muslimbrüdern."

Fragen wirft auch der offizielle Träger und Finanzier des neuen Seelsorgetelefons auf: das Hilfswerk Islamic Relief. Die weltweite Organisation steht ebenfalls im Verdacht, teilweise von Fundamentalisten beeinflusst zu sein. Nach Ansicht deutscher Sicherheitsbehörden ist die Lage aber nicht eindeutig: Zwar gebe es auch hier eine Muslimbrüderverbindung, zum anderen sei Islamic Relief aber eine Wohltätigkeitsorganisation mit vielen engagierten Mitarbeitern. Islambeauftragter Schmid zieht deshalb folgende Schulfolgerung: Die christlichen Kirchen sollten das Hotline-Projekt, das sie ins Leben gerufen haben, weiter unterstützen. Allerdings müssten sie bei der Kooperation mit dem Muslimischen Seelsorgetelefon vorsichtig sein.

"Sie sollen gucken inhaltlich, was da gesagt wird, welche Stellungnahmen da gegeben werden in der Seelsorge oder Ratschläge. Man sollte ein Auge drauf haben, wenn man zusammenarbeitet."