"Hotels mit Geschichte" präsentieren wir in unserer Sommerreihe in "Studio 9". Hotels erzählen Geschichte und Geschichten, sind Erinnerungsorte und vermitteln Einblicke in den Alltag fremder Kulturen. Hotels regen nicht nur die Fantasie an, beispielsweise von Schriftstellern. Sie erzählen auch von großen Krisen, von Kriegen oder Konferenzen, in denen sich die Weltgeschichte spiegelte.
Glamour, Spione und Couscous
Das Fünf-Sterne-Hotel El Minzah in Tanger beherbergte schon viele berühmte Künstler, aber in Kriegszeiten auch Glücksritter und Spione aus aller Herren Länder. Das Minzah steht für den kosmopolitischen Geist der marokkanischen Küstenstadt.
"El Minzah, bonjour."
Gleich müssen sie durch die Tür kommen: Winston Churchill, Rita Hayworth, Douglas Fairbanks, Aristoteles Onassis, Gina Lollobrigida. Sie alle waren schon hier – aber waren sie je wirklich weg? Sie lächeln von den vielen Schwarz-Weiß-Fotos im Innenhof.
"Maintenant, on va regarder la suite El Minzah."
Badra Mourad arbeitet erst seit einem halben Jahr als Hoteldame im Minzah. Noch immer leuchten ihre Augen, wenn sie Räume wie diesen betritt: Einen Salon mit Stuckdecke und samtbezogenen Sofas in Altrosa, goldverzierte Vasen, eine blaue Chaiselongue, Schränke mit andalusischen Intarsien, ein Esszimmer aus schwerem Kirschholz, ein Schlafzimmer, eine Terrasse.
"Ganz ehrlich: Einen Fünf-Sterne-Ort wie diesen gibt es in Tanger nicht noch mal. Es mag andere Hotels geben mit allem Luxus dieser Welt, aber sie sind anders, sie haben keine Geschichte. Die Seele des Minzah dagegen ist einzigartig."
Das El Minzah strahlt Erhabenheit aus. Aristokratie, Würde, Glanz. Und das mitten im schmuddeligen Tanger, wo vielerorts der Lack einfach ab ist. Wer durch das schwere, eisenbeschlagene Holztor und das geschwungene Sandsteinportal in die Empfangshalle des Minzah hineingeht, lässt all den Dreck der Stadt hinter sich. Blütenweiße meterhohe Säulen, besetzt mit dunklen Mosaiken. Eine Freitreppe aus schwarzem Marmor, gesäumt von Palmenkübeln und Vasen mit frischen Calla-Blüten. Wenige Stufen führen hinauf zur Galerie. Purpurroter Velours, eine andalusische Balustrade aus dunklem Holz, an den Wänden edle Teppiche, gusseiserne Leuchten mit buntem Glas – und ein großes, in goldgerahmtes Porträt der marokkanischen Königsfamilie.
Gebaut wurde das Hotel von einem Schotten. 1928 erwarb der spleenige Aristokrat und Tanger-Fan Lord Bute ein Grundstück am Rande der Altstadt. Der Bauplatz hieß Belvedere – "Schöne Aussicht". Nichts anderes bedeutet der Name des El Minzah im Arabischen, und das ist keine Untertreibung. Atemberaubend ist der Blick auf die Bucht von Tanger, die Straße von Gibraltar und die Rif-Berge. Und hinüber in die geschäftigen Souks an der Medina und am Petit Socco.
Eine vielschichtige Identität
Rachid Tafersiti: "Diesen Geist des Kosmopolitischen und den Pluralismus von Tanger, den gibt es nirgendwo sonst. Ich kenne kaum eine Stadt, wo Kirchtürme, Minarette und Synagogen derart versöhnlich nebeneinander stehen, eine Stadt, die eine so vielschichtige Identität hat. Und dann die Literatur! Unglaublich viel wurde über Tanger geschrieben, seit der Antike, es braucht mehrere Menschenleben, um das alles zu lesen und zu verstehen!"
Kaum einer kennt Tanger so gut wie Rachid Tafersiti – der Historiker und Buchautor ist hier aufgewachsen und mit Leib und Seele Tangérois. Kein Tag vergeht, an dem er nicht im Minzah alte Freunde trifft und Thé à la Menthe bestellt.
"Tanger ohne das Minzah wäre nicht Tanger. Und das Minzah könnte ohne Tanger nicht existieren, denn diese Stadt gibt dem Hotel ja erst seine Aura, seine internationale Dimension. Es ist so etwas wie eine Ehe zwischen einem Hotel und einer Stadt. Eine Ehe, die hält – trotz aller Schwierigkeiten, die lange Beziehungen so mit sich bringen."
Der schattige Patio Andalou, der Innenhof, ist das Herzstück des Hotels, ein Ort der Ruhe mitten in der Altstadt von Tanger – er verschluckt das Stimmengewirr der Medina ebenso wie den Straßenlärm. Und das, obwohl direkt nebenan am Café de Paris mehrmals am Tag die ganze Welt vorbeizufahren scheint. Doch hier, am Brunnen vor den blau-weißen Arkaden, fühlt man sich an eine Alhambra erinnert, an Sevilla, Granada.
Einfach magisch: Wohnen hier die Elfen?
Rachel Muyal: "Alle wollen ins Minzah, weil dieser Ort einfach magisch ist. Es schwebt etwas Besonderes in der Luft. Und man kann das spüren! Wenn Sie sich hier umschauen, im Patio – ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Platz von Elfen bewohnt wird, die nachts herumtanzen, wenn alle Gäste schlafen. Oder denken Sie an die langen Gänge zu den Zimmern – ich höre immer noch unser Kindergeschrei von damals, als wir uns dort vor unseren Eltern versteckt haben. In Gedanken verliere ich mich hier noch immer."
Wie Rachid Tafersiti kommt auch Rachel Muyal nicht am Minzah vorbei. Lange Jahre leitete die Buchhändlerin die berühmte Librairie des Colonnes auf der Rue de Pasteur:
"Ich hatte schon Besucher hier in Tanger, die zu mir in den Laden gekommen sind und geklagt haben, sie seien müde, leer und hätten eine Schaffenskrise – Drehbuchschreiber, Schriftsteller, Regisseure. Sie konnten keine Zeile mehr schreiben. Ich habe sie alle ins Minzah gesteckt – und sie wochenlang nicht gesehen. Irgendwann kamen sie dann zu mir und sagten: Ahhh, dieses Minzah ... dieses Minzah hat mich so inspiriert, wissen Sie – ich habe mein Drehbuch fertig oder meinen Roman. Und das galt ja auch für Musiker, Maler, nicht zuletzt hat ja Henri Matisse sein berühmtes Blau erst in Tanger entdeckt!"
Im Minzah ging es aber nicht nur kreativ und geschäftig zu, es war auch gefährlich. Als Tanger in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer europäisch kontrollierten Internationalen Zone erklärt wurde, blühten bald Drogenhandel und Schmuggel aller Art, und die militärisch neutrale Stadt galt als Tummelplatz für Spione. In Tanger wurde ein James-Bond-Film mit Timothy Dalton gedreht – und auch der Agententhriller "Das Bourne Ultimatum" mit Matt Damon. Die echten Spione saßen natürlich am Pool oder in der Caid's Bar des El Minzah.
Rachel Muyal: "Alles spielte sich im Minzah ab. Es war das Zentrum schlechthin. Und in der Kriegszeit erst recht – in den 30er- und 40er-Jahren saßen sie alle hier, die Spione – die Deutschen, die Japaner, die Franzosen, die Briten, und alle wussten sie Bescheid, und sie haben sich belauert wie die Wachhunde. Ein Monsieur hat mir einmal erzählt, wie das abgelaufen ist: Er sagte: Wissen Sie, Madame, wir waren alle bewaffnet, alle. Und ein falsches Wort, eine falsche Bewegung hätte genügt, um ein wahres Blutbad anzurichten, gleich hier in der Bar. Auch das gehört zum Minzah."
Wie Rick's Café in "Casablanca"
Caid's Bar: Hier atmet man nicht nur eine Menge Zigarrenrauch, sondern auch die Atmosphäre der Anfangsjahre des El Minzah – der Kriegszeit, der Glückssucher und eben der Spione. Caid's Bar ist plüschig, schummrig, britisch, und doch exotisch – mit tiefen, niedrigen Sofas und hohen Preisen – und der Atmosphäre von Rick's Café im Film Casablanca. Die Bar des El Minzah diente als Vorlage für die Filmkulisse.
Das El Minzah pflegt jedoch nicht nur den morbiden Charme der Kriegszeit, sondern auch echte marokkanische Traditionen. Und die haben ihren Preis. Besonders im Restaurant El Korsan. Hier, sagt man, gebe es die beste Küche von Tanger – gebratene Sardinen, Couscous mit Gemüse, Seewolf, oder Tajine mit Taubenbrust, Birnen und Honig. Achmed Ben-Nasar muss es wissen. Er ist der "Maître d'Hôtel", vor fast 40 Jahren hat er hier ganz klein angefangen. Und er hat Beweise mitgebracht – Schwarz-Weiß-Fotos aus den 70ern:
"Ryan O'Neal und Farah Fawcett, ja, das war ein wunderbarer Abend. Sie waren zum Dinner hier bei mir, der kleine Sohn musste irgendwann ins Bett. Was es zu Essen gab... das weiß ich nicht mehr. Hier die Schalen und Löffel deuten darauf hin, dass es Pastilla gab, Couscous, und unsere berühmte Suppe, die Harira mit Datteln, auch eine Spezialität während des Ramadan."
Eine andere Spezialität des El Korsan: Das Unterhaltungsprogramm zum Couscous. Fürs Ohr und auch fürs Auge.
Spagat zwischen Tradition und Wellness
Für das Management des Hotels ist die alte Tradition des El Minzah eine besondere Herausforderung. Der ist sie nicht immer gerecht geworden – als Hoteldirektor Hisham Al Jumaa und seine luxemburgische Investmentgruppe das Hotel Anfang der 90er-Jahre übernahmen, war es ziemlich heruntergekommen. Milliarden von Dirham haben sie ins Minzah gepumpt, sogar einen neuen Wellness-Club gebaut. Einen spiegelverglasten mehrstöckigen Bau, der zusammen mit dem Ostflügel des Hotels den Pool und den Garten einrahmt. Hoteldirektor Al Jumaa ist zum Spagat gezwungen: Ein modernes Unternehmen führen, das auch die Finanzkrise übersteht, und gleichzeitig das Hotel und seinen Charme erhalten:
"Ich könnte niemals ein Hilton-Hotel leiten oder ein Meridien – diese Hotels haben einfach eine andere Philosophie. Ich fühle mich eher als Minzah-Mensch, wenn Sie verstehen."
Hisham Al Jumaa weiß, was für ihn und seine 190 Mitarbeiter auf dem Spiel steht: Tradition verpflichtet.
"Vor zwei Jahren kam ein Deutscher, er hatte per Fax reserviert, darin machte er auch klar, dass er sein erstes Dinner im El Erz Restaurant am Tisch Nr. 9 haben wolle. Er brachte Fotos mit von vor 30 Jahren. Er war so glücklich, als er den Ober im Restaurant begrüßen konnte. Es war derselbe, der ihn schon damals an genau diesem Tisch bedient hatte. So etwas bedeutet für unser Personal natürlich, dass es ganz anders mit den Gästen umgehen muss. Hier lebt sozusagen eine Familie, und das ist auch Teil der Philosophie unseres Managements."
Damit das Wissen um die Gäste nicht verlorengeht, hat Al Jumaa ein Trainingszentrum eingerichtet, in dem die vielen älteren Mitarbeiter ihre Ideen und ihr Wissen an das Nachwuchspersonal weitergeben können. Damit die nächste Generation von Minzah-Menschen heranwachsen kann. Damit das Hotel weiterlebt. Und seine Seele nicht verloren geht.
Hisham Al Jumaa: "Man hat mich vor kurzem gefragt, warum tauschen Sie nicht diese Lehnsessel im Innenhof gegen modernere und praktischere Stühle? Ich habe nur still auf ein Foto mit Rock Hudson gezeigt. Er sitzt hier im Patio in genau diesem Sessel mit Armlehne. Genau das meine ich: Das ist Teil der Persönlichkeit des Hotels seit mehr als 80 Jahren. Klar, es gibt viel schönes modernes Design, aber es hat nichts mit dem Minzah zu tun. Das Hotel ist eine Marke, und die muss es auch bleiben. Nicht nur wegen der schönen Aussicht, die haben andere Hotels auch. Es geht um einen großen Namen, nicht mehr und nicht weniger."