Hosen, Hosen, Hosen
Kein anderer als Fryderyk Gabowicz hat so viele Fotos der „Toten Hosen“ gemacht. Entstanden ist mit dieser Quantität aber auch eine besondere Qualität der Beziehung vor und hinter der Kamera. „Fryderyk war ein Glücksfall für uns“, meint Frontmann Campino in einem der zahlreichen Kommentare der Musiker zu den Bildern. Und die sind es, die dieses Buch wirklich unterhaltsam machen.
Auch wenn die Band seit fast anderthalb Jahren eine künstlerische Pause macht – publikationsmäßig ist alles andere als tote Hose: Einen Bildband gab es vor vier Jahren schon mal; weniger umfangreich und – weil mit Fotos aus musikereigenen Privatarchiven – von geringerer technischer Qualität. In den vergangenen Monaten sind ein komplettes Songbook und eine eigene Bandbiographie erschienen, im Mai kommt noch eine journalistische Geschichtsschreibung zum 25-jährigen Jubiläum hinzu.
Dieser Bildband von Fryderyk Gabowicz will zumindest 20 dieser Jahre abdecken. 1986 – vier Jahre nach der Gründung der nicht ersten, aber neben den „Ärzten“ erfolgreichsten deutschen Punkrockband – gab es die erste Begegnung zwischen Fotograf und Objekten. Die mussten zunächst und gemäß Punk-Attitüde stilecht klären, ob man sich vom Hof-Fotografen der Teenie-Postille Bravo ablichten lassen wollte. Realo und Frontmann Campino gewann die Prügelei gegen Fundi und Bassist Andi – und Gabowicz durfte.
Der 59-jährige Sohn eines Russen und einer Deutschen ist in Israel aufgewachsen. Seit 1980 hat er für Bravo über zwei Jahrzehnte lang viele Pop-Stars abgelichtet und bereits einen Bildband über Robbie Williams veröffentlicht.
Aus den anfänglichen Ressentiments erwuchs eine Freundschaft. „Wir nannten ihn liebevoll ‚unseren Lieblings-Foto-Fuzzi‘“, werden die Toten Hosen zitiert. Und so sind in über 80 Foto-Sessions nach Angaben des Fotografen um die 200.000 Aufnahmen entstanden, auch für CD- und Buchveröffentlichungen der Band. Kein anderer hat so viele Fotos der Musiker aus Düsseldorf gemacht. Entstanden ist mit dieser Quantität aber auch eine besondere Qualität der Beziehung vor und hinter der Kamera, ein besonderes Vertrauensverhältnis.
„Fryderyk war ein Glücksfall für uns“, meint Campino in einem der zahlreichen Kommentare der Musiker zu den Bildern. Und die sind es erst, die dieses Buch wirklich unterhaltsam machen – und lehrreich sogar für den vorgebildeten Hosen-Fan. Denn da erfährt man – zwischen eher peinlichen Pennälersprüchen über die früher ach so kauzigen Klamotten – einige schöne Geschichten:
1986, Anti-Atom-Festival in Wackersdorf. Herbert Grönemeyer und Campino wurden dort Freunde, als der Bochumer dem Düsseldorfer ein Stück Hasch in die Hand drückte mit den Worten: Ich kann damit nichts anfangen. Campino konnte. Und auch die bis heute erhaltene Freundschaft zu den Biermösl Blosn hat damals im Zeichen des gemeinsamen politischen Engagements begonnen. Man erfährt von netten Begegnungen mit Bono und Ben Becker.
Und insgesamt: Von der Entwicklung der Band von der kleinen Punk-Kapelle bis zum großen deutschen, sogar internationalen Rock-Act. Wie man die Kröten des Mainstreams schlucken lernt: Guter Sound, gute Show und gute Präsentation fordern ihre Opfer in der Punker-Seele. Üben und lächeln für die Popularität und die Fernsehshows. Der Bass hat jetzt drei statt anfangs zwei Saiten (bei richtigen Musikern: vier).
In Berlin und Bitterfeld, Bremerhaven und Buenos Aires, Neapel und New York sind die Fotos entstanden, im Frauengefängnis und im Aktuellen Sport-Studio. Die meisten jedoch auf der Bühne oder im Fotostudio. Dementsprechend voller Energie, die einem aus dem Buch geradezu entgegenspringt – oder eben etwas zu schön geschminkt und hingestellt für eine Punkband, die eben schon lange keine mehr ist.
In den gelegentlichen kurzen Kommentaren des Fotografen wird deutlich, dass der eher ein Meister des Bildes ist als des Wortes. Und man sieht vielen Aufnahmen ihren Zweck an: Posing für Poster und Pop-Produktion. Zu viel glatter, perfekt inszenierter Hochglanz, zu wenig Kunst und Experiment. Nun haben sich die Toten Hosen ja auch nie die Avantgarde auf die (Totenkopf-) Fahnen geschrieben. Und angesichts der Fülle an eindrucksvollen Fotos und unterhaltsamen Anekdötchen entsteht doch ein halbwegs stimmiges Bild. „Insofern ist das Buch wirklich eine umfangreiche Dokumentation, die die Entwicklung der Band über die Zeit gut zeigt“, ist von Bassist Andi zu lesen.
Eine Dokumentation mit Lücken: Wenige Fotos und noch dürftigere Kommentare gibt es zum folgenreichsten Auftritt der Bandgeschichte, als beim 1000. Konzert 1997 ein Fan im Gedränge zu Tode kam. Und nach den letzten Live-Fotos von 2002 gibt es zum Schluss nur noch Studioaufnahmen vom Juni 2006. Da fehlen die jüngsten vier Jahre. Und leider damit auch der für Band und Musikwelt so bemerkenswerte Auftritt im Wiener Burgtheater 2005, bei dem die aktuelle CD und DVD entstanden sind.
„Die Musikbranche ist wie ein Bordell – aber bis heute weiß ich nicht, wer die Nutten und wer die Freier sind.“ Diesen Ausspruch hat Fryderyk Gabowicz seinen biographischen Angaben vorangestellt. Zwischen Fotograf und seinen Objekten hat er diese Grenzen in seinem Bildband fast aufgehoben.
Und den Fans als Objekten der Begierde sei gesagt: Für 50 Euro bekommt man gut drei Kilo Tote Hosen mit flotten Sprüchen und Storys, schönen Schnappschüssen und zu schönen Settings. Aber komplette Bandgeschichte – tote Hose.
Rezensiert von Martin Risel
Fryderyk Gabowicz: Die Toten Hosen. Live – Backstage – Studio: Fotografien 1986-2006
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2006, 352 Seiten, ca. 1000 Fotos, 49,90 Euro.
Dieser Bildband von Fryderyk Gabowicz will zumindest 20 dieser Jahre abdecken. 1986 – vier Jahre nach der Gründung der nicht ersten, aber neben den „Ärzten“ erfolgreichsten deutschen Punkrockband – gab es die erste Begegnung zwischen Fotograf und Objekten. Die mussten zunächst und gemäß Punk-Attitüde stilecht klären, ob man sich vom Hof-Fotografen der Teenie-Postille Bravo ablichten lassen wollte. Realo und Frontmann Campino gewann die Prügelei gegen Fundi und Bassist Andi – und Gabowicz durfte.
Der 59-jährige Sohn eines Russen und einer Deutschen ist in Israel aufgewachsen. Seit 1980 hat er für Bravo über zwei Jahrzehnte lang viele Pop-Stars abgelichtet und bereits einen Bildband über Robbie Williams veröffentlicht.
Aus den anfänglichen Ressentiments erwuchs eine Freundschaft. „Wir nannten ihn liebevoll ‚unseren Lieblings-Foto-Fuzzi‘“, werden die Toten Hosen zitiert. Und so sind in über 80 Foto-Sessions nach Angaben des Fotografen um die 200.000 Aufnahmen entstanden, auch für CD- und Buchveröffentlichungen der Band. Kein anderer hat so viele Fotos der Musiker aus Düsseldorf gemacht. Entstanden ist mit dieser Quantität aber auch eine besondere Qualität der Beziehung vor und hinter der Kamera, ein besonderes Vertrauensverhältnis.
„Fryderyk war ein Glücksfall für uns“, meint Campino in einem der zahlreichen Kommentare der Musiker zu den Bildern. Und die sind es erst, die dieses Buch wirklich unterhaltsam machen – und lehrreich sogar für den vorgebildeten Hosen-Fan. Denn da erfährt man – zwischen eher peinlichen Pennälersprüchen über die früher ach so kauzigen Klamotten – einige schöne Geschichten:
1986, Anti-Atom-Festival in Wackersdorf. Herbert Grönemeyer und Campino wurden dort Freunde, als der Bochumer dem Düsseldorfer ein Stück Hasch in die Hand drückte mit den Worten: Ich kann damit nichts anfangen. Campino konnte. Und auch die bis heute erhaltene Freundschaft zu den Biermösl Blosn hat damals im Zeichen des gemeinsamen politischen Engagements begonnen. Man erfährt von netten Begegnungen mit Bono und Ben Becker.
Und insgesamt: Von der Entwicklung der Band von der kleinen Punk-Kapelle bis zum großen deutschen, sogar internationalen Rock-Act. Wie man die Kröten des Mainstreams schlucken lernt: Guter Sound, gute Show und gute Präsentation fordern ihre Opfer in der Punker-Seele. Üben und lächeln für die Popularität und die Fernsehshows. Der Bass hat jetzt drei statt anfangs zwei Saiten (bei richtigen Musikern: vier).
In Berlin und Bitterfeld, Bremerhaven und Buenos Aires, Neapel und New York sind die Fotos entstanden, im Frauengefängnis und im Aktuellen Sport-Studio. Die meisten jedoch auf der Bühne oder im Fotostudio. Dementsprechend voller Energie, die einem aus dem Buch geradezu entgegenspringt – oder eben etwas zu schön geschminkt und hingestellt für eine Punkband, die eben schon lange keine mehr ist.
In den gelegentlichen kurzen Kommentaren des Fotografen wird deutlich, dass der eher ein Meister des Bildes ist als des Wortes. Und man sieht vielen Aufnahmen ihren Zweck an: Posing für Poster und Pop-Produktion. Zu viel glatter, perfekt inszenierter Hochglanz, zu wenig Kunst und Experiment. Nun haben sich die Toten Hosen ja auch nie die Avantgarde auf die (Totenkopf-) Fahnen geschrieben. Und angesichts der Fülle an eindrucksvollen Fotos und unterhaltsamen Anekdötchen entsteht doch ein halbwegs stimmiges Bild. „Insofern ist das Buch wirklich eine umfangreiche Dokumentation, die die Entwicklung der Band über die Zeit gut zeigt“, ist von Bassist Andi zu lesen.
Eine Dokumentation mit Lücken: Wenige Fotos und noch dürftigere Kommentare gibt es zum folgenreichsten Auftritt der Bandgeschichte, als beim 1000. Konzert 1997 ein Fan im Gedränge zu Tode kam. Und nach den letzten Live-Fotos von 2002 gibt es zum Schluss nur noch Studioaufnahmen vom Juni 2006. Da fehlen die jüngsten vier Jahre. Und leider damit auch der für Band und Musikwelt so bemerkenswerte Auftritt im Wiener Burgtheater 2005, bei dem die aktuelle CD und DVD entstanden sind.
„Die Musikbranche ist wie ein Bordell – aber bis heute weiß ich nicht, wer die Nutten und wer die Freier sind.“ Diesen Ausspruch hat Fryderyk Gabowicz seinen biographischen Angaben vorangestellt. Zwischen Fotograf und seinen Objekten hat er diese Grenzen in seinem Bildband fast aufgehoben.
Und den Fans als Objekten der Begierde sei gesagt: Für 50 Euro bekommt man gut drei Kilo Tote Hosen mit flotten Sprüchen und Storys, schönen Schnappschüssen und zu schönen Settings. Aber komplette Bandgeschichte – tote Hose.
Rezensiert von Martin Risel
Fryderyk Gabowicz: Die Toten Hosen. Live – Backstage – Studio: Fotografien 1986-2006
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2006, 352 Seiten, ca. 1000 Fotos, 49,90 Euro.