Hort der Niedertracht
Der ZDF-Journalist Ulrich Stoll interviewt in "Einmal Freiheit und zurück" acht Übersiedler, die in die DDR zurückkehren wollten. Es sind zumeist beklemmende Geschichten, denn "Aufnahmeersuchende" wurden wie Kriminelle behandelt.
Die Meldung klang wie eine Sensation. Im März 1985 titelte die SED-Zeitung "Neues Deutschland": "Über 20.000 Ehemalige wollen zurück". Gemeint waren Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR, die es "drüben", im kalten Kapitalismus, angeblich nicht mehr aushielten. Die Zahl war Fiktion, Propaganda. Aber Rückkehrer hat es gegeben. 70.000 Menschen sollen nach dem Mauerbau von West nach Ost gezogen sein, zwei Drittel waren Heimkehrer. In den Achtzigern kamen allerdings nur noch wenige hundert pro Jahr - während Zehntausende DDR-Bürger jährlich ihr Land verließen.
Warum fuhren Ostdeutsche zurück? Einige fanden sich im Westen nicht zurecht, andere litten unter den Schikanen, denen ihre Familie im Osten ausgesetzt war, Rentner fühlten sich einsam. Die DDR-Führung wollte ihre verlorenen Bürger um jeden Preis wiederhaben, vor allem die Flüchtlinge. Die Stasi unternahm aufwendige "Rückgewinnungsmaßnahmen", mit Erpressung und Versprechen. "Kein Rückkehrer wird bestraft", lockte die Parteipresse. "Man wird Sie nicht mit Blumen empfangen", sagten Beamte, "Ihnen aber auch nicht den Kopf abreißen." Rasche Wiedereingliederung sei garantiert.
Alles Lug und Trug. "Aufnahmeersuchende" wurden wie Kriminelle, wie Aussätzige behandelt. Als Verräter und potenzielle Spione galten sie, es gab Strafanzeigen wegen Republikflucht. Die Heimkehrer wurden interniert, sie wurden ausgehorcht, gequält, gedemütigt. Viele erlitten einen "Lagerkoller", mehrere Menschen nahmen sich das Leben.
Der ZDF-Journalist Ulrich Stoll hat acht Übersiedler interviewt. Fünf Männer und drei Frauen. Sechs Grenzgänger aus dem Osten, zwei Frauen aus dem Westen, die der Liebe wegen in die DDR wollten. Bekannte Namen finden sich in der Porträtgalerie – Achim Mentzel (der Entertainer) und Alwin Ziel (in den Neunzigern Innenminister von Brandenburg). Sechs der acht Porträtierten wurden nach dem Grenzübertritt viele Wochen lang in einem Lager nördlich von Berlin festgehalten, im "Zentralen Aufnahmeheim Röntgental".
Kernstück der Anlage war ein grauer Plattenbau, siebengeschossig. 200 Leute hätten in dem Haus leben können, meist wohnten aber nur wenige Dutzend Menschen hier, "betreut" von über hundert Stasileuten und Polizisten. "Aufnahmeheim", das war ein Euphemismus, so wie der ganze graue Alltag hinter Blechzaun und Stacheldraht durch Euphemismen verkleistert wurde. Verhöre (täglich stundenlang in einer Extra-Etage) hießen "Gespräche", die Vernehmer von der Stasi waren namenlose "Sachbearbeiter", die herrischen Wärterinnen "Kulturmitarbeiterinnen". Kein Heimkehrer erfuhr, wie lange er hier bleiben musste. Paranoia und Neusprech regierten, Orwell ließ grüßen. "Wir sollten kleingemacht werden", meint Alwin Ziel heute.
Ulrich Stoll erzählt beklemmende Geschichten, Geschichten von Täuschung und Enttäuschung, Bespitzelung und Verrat. Geschichten, die wehtun. Er beschwört das Klima der Angst, den stillen Terror. Er erzählt vom Selbstmord eines "Horst aus Jena" (er sprang in Röntgental in den Tod), und er skizziert die Täter.
Stoll schreibt flüssig, bildhaft, verständlich. Doch man merkt dem Text die TV-Bestimmung an: Simpel und etwas reißerisch wirken Aufbau und Sprache, wie im Doku-Drama. Die Allwissenheit des Erzählers hat etwas Aufgesetztes, die Geschichten klingen irgendwann ermüdend ähnlich. Trotzdem - dies ist ein wichtiges und lesenswertes Buch. Denn Stoll zeigt, was die DDR auch war: ein Hort der Niedertracht und der kleinlichen Lügen.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Ulrich Stoll: Einmal Freiheit und zurück. Die Geschichte der DDR-Rückkehrer.
Ch. Links Verlag, Berlin 2009. 204 Seiten, 16,90 Euro.
Service:
Ulrich Stoll, 1959 in Berlin geboren, studierte in München Germanistik, Theaterwissenschaft und Neuere Geschichte. Seit 1984 Fernsehjournalist für den WDR, VOX und ZDF. Stoll ist heute Redakteur des ZDF-Magazins Frontal21. Autor von TV-Dokumentationen für ARD, ZDF und ARTE, Das Buch "Einmal Freiheit und zurück – die Geschichte der DDR-Rückkehrer" entstand parallel zum gleichnamigen Film für ARTE und ZDF.
Warum fuhren Ostdeutsche zurück? Einige fanden sich im Westen nicht zurecht, andere litten unter den Schikanen, denen ihre Familie im Osten ausgesetzt war, Rentner fühlten sich einsam. Die DDR-Führung wollte ihre verlorenen Bürger um jeden Preis wiederhaben, vor allem die Flüchtlinge. Die Stasi unternahm aufwendige "Rückgewinnungsmaßnahmen", mit Erpressung und Versprechen. "Kein Rückkehrer wird bestraft", lockte die Parteipresse. "Man wird Sie nicht mit Blumen empfangen", sagten Beamte, "Ihnen aber auch nicht den Kopf abreißen." Rasche Wiedereingliederung sei garantiert.
Alles Lug und Trug. "Aufnahmeersuchende" wurden wie Kriminelle, wie Aussätzige behandelt. Als Verräter und potenzielle Spione galten sie, es gab Strafanzeigen wegen Republikflucht. Die Heimkehrer wurden interniert, sie wurden ausgehorcht, gequält, gedemütigt. Viele erlitten einen "Lagerkoller", mehrere Menschen nahmen sich das Leben.
Der ZDF-Journalist Ulrich Stoll hat acht Übersiedler interviewt. Fünf Männer und drei Frauen. Sechs Grenzgänger aus dem Osten, zwei Frauen aus dem Westen, die der Liebe wegen in die DDR wollten. Bekannte Namen finden sich in der Porträtgalerie – Achim Mentzel (der Entertainer) und Alwin Ziel (in den Neunzigern Innenminister von Brandenburg). Sechs der acht Porträtierten wurden nach dem Grenzübertritt viele Wochen lang in einem Lager nördlich von Berlin festgehalten, im "Zentralen Aufnahmeheim Röntgental".
Kernstück der Anlage war ein grauer Plattenbau, siebengeschossig. 200 Leute hätten in dem Haus leben können, meist wohnten aber nur wenige Dutzend Menschen hier, "betreut" von über hundert Stasileuten und Polizisten. "Aufnahmeheim", das war ein Euphemismus, so wie der ganze graue Alltag hinter Blechzaun und Stacheldraht durch Euphemismen verkleistert wurde. Verhöre (täglich stundenlang in einer Extra-Etage) hießen "Gespräche", die Vernehmer von der Stasi waren namenlose "Sachbearbeiter", die herrischen Wärterinnen "Kulturmitarbeiterinnen". Kein Heimkehrer erfuhr, wie lange er hier bleiben musste. Paranoia und Neusprech regierten, Orwell ließ grüßen. "Wir sollten kleingemacht werden", meint Alwin Ziel heute.
Ulrich Stoll erzählt beklemmende Geschichten, Geschichten von Täuschung und Enttäuschung, Bespitzelung und Verrat. Geschichten, die wehtun. Er beschwört das Klima der Angst, den stillen Terror. Er erzählt vom Selbstmord eines "Horst aus Jena" (er sprang in Röntgental in den Tod), und er skizziert die Täter.
Stoll schreibt flüssig, bildhaft, verständlich. Doch man merkt dem Text die TV-Bestimmung an: Simpel und etwas reißerisch wirken Aufbau und Sprache, wie im Doku-Drama. Die Allwissenheit des Erzählers hat etwas Aufgesetztes, die Geschichten klingen irgendwann ermüdend ähnlich. Trotzdem - dies ist ein wichtiges und lesenswertes Buch. Denn Stoll zeigt, was die DDR auch war: ein Hort der Niedertracht und der kleinlichen Lügen.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Ulrich Stoll: Einmal Freiheit und zurück. Die Geschichte der DDR-Rückkehrer.
Ch. Links Verlag, Berlin 2009. 204 Seiten, 16,90 Euro.
Service:
Ulrich Stoll, 1959 in Berlin geboren, studierte in München Germanistik, Theaterwissenschaft und Neuere Geschichte. Seit 1984 Fernsehjournalist für den WDR, VOX und ZDF. Stoll ist heute Redakteur des ZDF-Magazins Frontal21. Autor von TV-Dokumentationen für ARD, ZDF und ARTE, Das Buch "Einmal Freiheit und zurück – die Geschichte der DDR-Rückkehrer" entstand parallel zum gleichnamigen Film für ARTE und ZDF.