Hort der goldenen Ananas

Von Tobias Barth |
Das Leipziger Grassi-Museum öffnet am Samstag nach mehrjähriger Sanierung wieder. Zu sehen sind Schätze aus 2500 Jahren Kunstgeschichte.
Es liegt keine drei Fußminuten vom Leipziger Augustusplatz entfernt, es hat seit den 1920er Jahren einen guten internationalen Ruf - und doch ist es in Leipzig nicht ganz so bekannt, wie es sein sollte: das Grassi-Museum für Angewandte Kunst. Das liegt zum einen an seiner Lage - begrenzt von zwei Fernverkehrsstraßen und einem Friedhof fristet das Grassi ein Inseldasein. Und der goldene Schriftzug "Grassi-Museum" am Portal war auch lange Zeit nur etwas für Eingeweihte, wie Mitarbeiterin Ute Uhlemann weiß:

Ute Uhlemann: "Wenn man hier vorbeifährt, das ist tagsüber auch schon sehr dezent. Und selbst diese goldenen Buchstaben kann man eigentlich von weitem nicht lesen. Und abends wird es dann noch krimineller und dann haben wir beschlossen, man müsste neue Buchstaben dranmachen, die natürlich von der Schriftart den alten sehr ähnlich sein sollten, sind sie nun auch, und die sind jetzt von hinten beleuchtet, das konnte man mit den alten aus technischen Gründen nicht machen. Und da hat sich sehr das Museum für Kunsthandwerk engagiert und die haben das über einen Sponsor finanzieren können, weil man das Geld innerhalb des Baugeschehens für so was nicht hatte. Und das Gleiche ist mit der "Ananas", da über dem Hauptportal, die ist auch mit Hilfe von Spendengeldern finanziert worden."

Die "Goldene Ananas" - das ist der expressionistische Dachabschluss, der das Art-Déco-Ensemble nach der Sanierung nun wieder krönt. Ein weithin sichtbares Zeichen für den Neuanfang des gesamten Museumskomplexes mit seinen drei Museen: Völkerkunde, Musikinstrumente und schließlich: Angewandte Kunst. Letzteres kann nun 2000 Kunstobjekte in 30 Räumen zeigen - und das in dieser Opulenz erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg. Museumsdirektorin Eva Hoyer:

"Ich würde sagen, wir sind ein Haus, das jetzt endlich die Voraussetzungen hat, dem Rang seiner Sammlungen gemäß in die internationale Museumslandschaft zurückzukehren. Das Haus hatte 70 Jahre lang ein äußerst schweres Schicksal, die Sammlung war wirklich nur bruchstückhaft wahrzunehmen hier jahrzehntelang, und wissenschaftliche Arbeit hat sich in der Stille vollzogen. Wir haben Bestandskataloge herausgebracht und dennoch, wenn die Sammlung nicht zu sehen ist, und wenn man seine Museumsarbeit Jahrzehnte lang nur mit Provisorien machen muss bis hin zum Interim ist es ein schwerer Weg in die Öffentlichkeit zurück."

Antike Gewänder, mittelalterliche Holztruhen, Meißner Porzellan und Möbel aus dem Biedermeier – die glanzvolle, klug arrangierte und ausgesprochen abwechslungsreich inszenierte Ausstellung versteht es, ihre Schätze aus 2500 Jahren Kunstgeschichte untereinander in Beziehung zu setzen. Viele Gegenstände strahlen einen verblüffenden Charme aus. Design aus einer Zeit, da dieses Wort noch nicht Mode war, und noch nicht herhalten musste für Gebrauchsgegenstände, die vor allem chic sind aber oft schlecht funktionieren.

Eva Hoyer: "Das ist hier zum Beispiel auch was ganz schönes und interessantes, das im Grunde genommen ein frühes Camping-Besteck. Also wirklich ein Klapplöffel, wo die Gabel hinten eingesteckt ist. Die Laffe des Löffels lässt sich hinten hochklappen, das Ganze lässt sich klein zusammenfalten."

In den Vitrinen prunken Jagdbestecke vom Hofe Augusts des Starken, prachtvolle mittelalterliche Altarbilder oder eine filigrane Gliederpuppe aus der Renaissance. Sie ist gerade mal 15 cm groß und ein wahres Wunderwerk:

Eva Hoyer: "”Und im Inneren hat sie also ein System feiner Fäden, die alle Körperteile miteinander verbinden, und sie kann jedes Fingerglied einzeln bewegen, jedes Zehenglied einzeln bewegen und die Knie auch, da sieht man hier die Kugeln.""

Das schiefe Kränzchen auf dem Kopf der Gliederpuppe sagte den Zeitgenossen, die Puppe hat ihre Unschuld verloren. Solche Details erfährt, wer sich den Audioguide zur Ausstellung leiht. Den gibt es auch in einer Fassung für Kinder – und das hilft, die großen Säle und intimen Kabinette von Textmassen und Bleiwüsten frei zu halten.
Wer sich auf die Dinge einlässt, kann eine Menge erfahren, etwa auch über die sächsischen Trinksitten im Wandel der Jahrhunderte.

Eva Hoyer: "Man sagt der Äbtissin von Quedlinburg nach, dass sie täglich sieben Liter Wein vertilgt hat, was also nicht sonderlich viel gewesen sein muss, man hat schon zum Morgen Biersuppen zu sich genommen."

Dass die Trinkgefäße zur Zeit des Barock immer größer wurden, verrät ein Blick in das Regal mit den prächtig verzierten Tonkrügen. Und immer wieder tauchen antike Motive auf – wie ein roter Faden illustrieren sie, wie griechische und römische Antike europäisches Kunsthandwerk Jahrhunderte lang beeinflusst haben.

In einer ganz in pompejanisch rot gestrichenen Galerie etwa sind Stiche von Giovanni Battista Piranesi zu bewundern. Und gleich daneben Skulpturen, die in klassizistischer Manier nach Vorlage seiner italienischen Skizzen für Leipziger Gärten geschaffen wurden.

Die neue Ausstellung im Grassi-Museum für Kunsthandwerk endet chronologisch gesehen im Historismus. Und so genussbringend wie sie gestaltet ist, macht sie schon jetzt neugierig auf die für spätere Jahre angekündigten Ausstellungsteile zur Asiatischen Kunst und zum Kunsthandwerk vom "Jugendstil bis heute".