Horst Seehofer zum 70. Geburtstag

Ein Berserker wird altersmilde

02:39 Minuten
Das Foto zeigt den Bundesinnenminister Horst Seehofer.
Horst Seehofer wird nachdenklich: Worüber sinniert er wohl hier? © dpa / Zentralbild / picture alliance / Sebastian Kahnert
Eine Glosse von Michael Watzke · 04.07.2019
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Horst Seehofer feiert heute den 70. Geburtstag. Unser Autor Michael Watzke ist verwundert, wie Seehofer es zuletzt geschafft hat, sich in kurzer Zeit radikal zu verändern. Zum Besseren. Doch allzu sicher sollten wir nicht sein.
Horst Seehofer und Geburtstage – das ist eine Geschichte für sich. Vor genau einem Jahr feierte der Bundesinnenminister so: "Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir so nicht bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden."
Heute, nur ein Jahr später, mahnt Horst Seehofer: "Dass wir mit der Sprache besonders sorgsam umgehen." Der Bundesinnenminister in einer Reaktion auf den Mordfall Lübcke.

"Der Mörder. Der Terrorist. Der Rassist!"

Erstaunlich, wie viel sich in nur einem Jahr verändern kann, wie sehr sich das Bild eines Politikers wandeln kann. Der 70 Jahre alte Elder Statesman Seehofer scheint fast nichts mehr mit dem 69 Jahre alten Polit-Raufbold Seehofer zu tun zu haben. Damals hielt Crazy Horst die GroKo und das ganze Land mit selbstmitleidigen Sätzen wie diesem in Atem: "Jetzt steht also der böse Seehofer vor Ihnen. Der Mörder. Der Terrorist. Der Rassist, der den Nazis nahesteht."
Der Seehofer von heute arbeitet zielorientiert, konzentriert – und vor allem leise. Er hat seinen "Masterplan Asyl" weitgehend umgesetzt, hat die Asylgesetze verschärft, gleichzeitig aber ein neues, liberaleres Einwanderungsgesetz mitgestaltet.
Sein Berliner Super-Ministerium scheint er – nach anfänglichen Schwierigkeiten – weitgehend im Griff zu haben. Vor allem aber hat er sich selbst im Griff. Als er vor einem Jahr drohte, "ich fange Ende August selbst das Twittern an!", musste man mit dem Schlimmsten rechnen.
Heute, ein Jahr später, hat der Twitter-Account von @der Seehofer 10.400 Follower und genau zwei Tweets: einen Glückwunsch an die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und einen Eintrag vom 19. Januar. Darin legt Seehofer sein Amt als CSU-Vorsitzender mit "herzlichem Dank in die Hände meiner Partei zurück".

"Eine Zäsur, die unter die Haut geht"

Dieses Datum markiert den Wendepunkt vom irrlichternden Ingolstädter zum in sich selbst ruhenden Seehofer: "Für mich persönlich eine Zäsur, die auch ein Stück weit unter die Haut geht. Die einen natürlich auch in der Seele gefühlsmäßig erfasst."
Wer Horst Seehofer heute, an seinem 70. Geburtstag, genau beobachtet, sieht einen Politiker, der sich nach 50 Jahren aktiver Politik neu erfunden hat. Vielleicht ist es Einsicht, vielleicht Altersmilde.
Aber wer weiß schon, ob Seehofer mit 71 nicht wieder zum Berserker mutiert. In der "Bild am Sonntag" hat der CSU-Ehrenvorsitzende seinen endgültigen Abschied für 2021 angekündigt. Dann will er Keyboard spielen und sich weiter um die Digitalisierung seiner Modelleisenbahn kümmern.
Also noch zwei Jahre. Wer Horst Seehofer kennt, weiß: Bis dahin kann noch viel passieren.
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