Horrorszenario in der U-Bahn
Am 20. März 1995 verübten Mitglieder der japanischen Sekte Aum Shinrikyo einen Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn, bei dem zwölf Menschen starben und Tausende verletzt wurden - ein Horrorszenario. Der spirituelle Führer der Sekte, Chizuo Matsumoto, der sich Shoko Asahara nennt, wurde Anfang 2004 für schuldig befunden und zum Tode verurteilt.
"Nach Berichten des japanischen Fernsehens haben die Polizisten inzwischen sechs Giftgas-Pakete in der Tokioter U-Bahn gefunden. Wer sie dort versteckt hat, bleibt weiter unklar. Ebenso das Motiv der Wahnsinnstat. Der Sohn des österreichischen Botschafters in Tokio, Matthias Vukovic, war unter den Fahrgästen und wurde fünf Stunden lang im Krankenhaus behandelt. Der 16-Jährige sagte anschließend der ARD, an einer Station seien plötzlich alle Insassen aus dem Wagen gestürmt. Viele seien auf dem Bahnsteig zusammengebrochen, hätten sich in Krämpfen am Boden gewälzt und um Luft ringend die Kleider vom Leib gerissen. Vukovic erklärte, er habe am Boden des Waggons eine Lache gesehen. Angestellte der Bahn hätten anschließend versucht, die Lache aufzuwischen und seien daraufhin ohnmächtig zusammengebrochen."
Der ARD-Reporter Jens Peter Marquart berichtet von seinen ersten Eindrücken an jenem 20. März 1995. In den Morgenstunden, mitten im Berufsverkehr, kommt es in der Tokioter U-Bahn zu einem Anschlag: Fünf Männer durchlöchern mit den geschärften Spitzen ihrer Regenschirme Plastikbeutel, die mit einer Flüssigkeit gefüllt sind. Das geschieht fast zeitgleich in fünf Waggons verschiedener U-Bahn-Linien. In den Beuteln ist Sarin, ein geruchloses und unsichtbares Nervengift, das in den 1930er-Jahren von deutschen Wissenschaftlern entwickelt wurde. Die Substanz führt in kurzer Zeit zum Tod. Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami hat Augenzeugen interviewt und deren Aussagen in seinem Buch "Untergrundkrieg" veröffentlicht. Die damals 26-jährige Kiyoka Izumi:
"Ich stand ganz vorne an der Fahrerkabine und hielt mich an der Stange neben der Tür fest. Und als ich einatmete, verspürte ich plötzlich einen Schmerz. Nein, eigentlich keinen richtigen Schmerz. Eher blieb mir abrupt die Luft weg – als hätte ich einen starken Schlag erhalten. Ich hatte das grässliche Gefühl, mir würden die Eingeweide aus dem Mund quellen, wenn ich noch einen Atemzug täte. Um mich herum schien ein Vakuum zu herrschen."
Verantwortlich für das Attentat war die sogenannte Aum-Sekte, deren Guru Shoko Asahara den unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang verkündete. Mit dem Anschlag wollten die Sektenmitglieder die Apokalypse mit eigenen Mitteln herbeiführen. Das Ziel war der Massenmord. Vor allem Studenten und Jungakademiker fühlten sich von Asaharas apokalyptischer Heilslehre angezogen. Einer von ihnen ist Hidetoshi Takahashi, der später ein Buch über die Sekte veröffentlichte:
"Ich musste damals so seltsame graue Rohre herstellen. Ich fragte, wozu diese Rohre denn benutzt werden sollten. Man sagte mir, zur Beseitigung von Giftgas. Gleichzeitig erzählten sie mir, die Sekte werde ständig bedroht. Ich dachte, da stimmt was nicht."
Der Giftgas-Anschlag, der zwölf Menschen tötete und 5500 verletzte, erschütterte eine ganze Nation. Die Japaner hatten bis dahin geglaubt, im sichersten Land der Welt zu leben. Das Attentat auf Zivilisten war ein Tabubruch. Es machte zugleich deutlich, dass der Terrorismus mit dem Einsatz von chemischen Waffen eine neue Dimension erreicht hatte. Bei vielen der zufälligen Opfer oder deren Angehörigen wurde anschließend eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert:
"Ich hatte Angst, mit der Bahn zu fahren. Sobald sich die Türen schlossen, bekam ich furchtbare Kopfschmerzen. Sobald ich ausgestiegen und durch die Sperre nach draußen gegangen war, hoffte ich auf Besserung, aber der Druck auf meinen Kopf wollte nicht weichen. Konzentrieren konnte ich mich überhaupt nicht. Wenn ich mich über eine Stunde mit jemandem unterhielt, kriegte ich schon Kopfschmerzen. Das ist heute noch so."
Einige der Opfer können nie mehr arbeiten, weil ihr Nervensystem zu sehr geschädigt wurde durch das Sarin. Andere leben noch heute in Krankenhäusern. Die japanische Regierung kümmert sich kaum um die Überlebenden und leistet - beispielsweise bei der medizinischen Betreuung Schwerstbehinderter - keine ausreichende finanzielle Unterstützung. Shoko Asahara wurde zwar Anfang 2004 zum Tode verurteilt und sitzt bis heute im Gefängnis, die Sekte selbst wurde aber nie verboten. Sie hat nur ihren Namen geändert und heißt heute Aleph. Für die Opfer ist das bitter:
"Ich habe versucht, den Anschlag zu vergessen. Aber diese Art von Angst wird man nicht so leicht los. Ich glaube, sie wird mir für den Rest meines Lebens im Gedächtnis bleiben."
Der ARD-Reporter Jens Peter Marquart berichtet von seinen ersten Eindrücken an jenem 20. März 1995. In den Morgenstunden, mitten im Berufsverkehr, kommt es in der Tokioter U-Bahn zu einem Anschlag: Fünf Männer durchlöchern mit den geschärften Spitzen ihrer Regenschirme Plastikbeutel, die mit einer Flüssigkeit gefüllt sind. Das geschieht fast zeitgleich in fünf Waggons verschiedener U-Bahn-Linien. In den Beuteln ist Sarin, ein geruchloses und unsichtbares Nervengift, das in den 1930er-Jahren von deutschen Wissenschaftlern entwickelt wurde. Die Substanz führt in kurzer Zeit zum Tod. Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami hat Augenzeugen interviewt und deren Aussagen in seinem Buch "Untergrundkrieg" veröffentlicht. Die damals 26-jährige Kiyoka Izumi:
"Ich stand ganz vorne an der Fahrerkabine und hielt mich an der Stange neben der Tür fest. Und als ich einatmete, verspürte ich plötzlich einen Schmerz. Nein, eigentlich keinen richtigen Schmerz. Eher blieb mir abrupt die Luft weg – als hätte ich einen starken Schlag erhalten. Ich hatte das grässliche Gefühl, mir würden die Eingeweide aus dem Mund quellen, wenn ich noch einen Atemzug täte. Um mich herum schien ein Vakuum zu herrschen."
Verantwortlich für das Attentat war die sogenannte Aum-Sekte, deren Guru Shoko Asahara den unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang verkündete. Mit dem Anschlag wollten die Sektenmitglieder die Apokalypse mit eigenen Mitteln herbeiführen. Das Ziel war der Massenmord. Vor allem Studenten und Jungakademiker fühlten sich von Asaharas apokalyptischer Heilslehre angezogen. Einer von ihnen ist Hidetoshi Takahashi, der später ein Buch über die Sekte veröffentlichte:
"Ich musste damals so seltsame graue Rohre herstellen. Ich fragte, wozu diese Rohre denn benutzt werden sollten. Man sagte mir, zur Beseitigung von Giftgas. Gleichzeitig erzählten sie mir, die Sekte werde ständig bedroht. Ich dachte, da stimmt was nicht."
Der Giftgas-Anschlag, der zwölf Menschen tötete und 5500 verletzte, erschütterte eine ganze Nation. Die Japaner hatten bis dahin geglaubt, im sichersten Land der Welt zu leben. Das Attentat auf Zivilisten war ein Tabubruch. Es machte zugleich deutlich, dass der Terrorismus mit dem Einsatz von chemischen Waffen eine neue Dimension erreicht hatte. Bei vielen der zufälligen Opfer oder deren Angehörigen wurde anschließend eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert:
"Ich hatte Angst, mit der Bahn zu fahren. Sobald sich die Türen schlossen, bekam ich furchtbare Kopfschmerzen. Sobald ich ausgestiegen und durch die Sperre nach draußen gegangen war, hoffte ich auf Besserung, aber der Druck auf meinen Kopf wollte nicht weichen. Konzentrieren konnte ich mich überhaupt nicht. Wenn ich mich über eine Stunde mit jemandem unterhielt, kriegte ich schon Kopfschmerzen. Das ist heute noch so."
Einige der Opfer können nie mehr arbeiten, weil ihr Nervensystem zu sehr geschädigt wurde durch das Sarin. Andere leben noch heute in Krankenhäusern. Die japanische Regierung kümmert sich kaum um die Überlebenden und leistet - beispielsweise bei der medizinischen Betreuung Schwerstbehinderter - keine ausreichende finanzielle Unterstützung. Shoko Asahara wurde zwar Anfang 2004 zum Tode verurteilt und sitzt bis heute im Gefängnis, die Sekte selbst wurde aber nie verboten. Sie hat nur ihren Namen geändert und heißt heute Aleph. Für die Opfer ist das bitter:
"Ich habe versucht, den Anschlag zu vergessen. Aber diese Art von Angst wird man nicht so leicht los. Ich glaube, sie wird mir für den Rest meines Lebens im Gedächtnis bleiben."