Horror und Heidegger

14.09.2007
Horrorgeschichte, wissenschaftliche Abhandlung und Parodie auf die "Cultural Studies". Das passt nicht zusammen, könnte man meinen - und schon gar nicht in einen einzigen Roman. Dass es doch funktioniert, führt der amerikanische Autor Mark Z. Danielewski in seinem neuen Roman vor.
Auf den ersten Blick wirkt "Das Haus" wie eine wissenschaftliche Abhandlung. Vorwort, Einleitung, dann folgen 700 Seiten hoch verdichteter Text mit Fußnoten, dazu kommen Anhänge und ein Index. Doch der Schein trügt. Im Innern dieses Werkes, für das der amerikanische Schriftsteller Mark Z. Danielewski verantwortlich zeichnet, verbirgt sich eine Nerven zerrende Horrorgeschichte.

Der Fotograf Will Navidson will mehr Zeit mit seiner Familie verbringen und kauft ein altes Haus in Virginia. Die Idylle ist nur von kurzer Dauer. Im Obergeschoss taucht eine "schlichte weiße Tür auf", hinter der sich ein Labyrinth aus dunklen Gängen verbirgt.

Während Navidson die Veränderungen in der Architektur mit einer Videokamera dokumentiert und am liebsten sofort zu einer Expedition in die bedrohliche Parallelwelt aufbrechen würde, drängt seine Frau darauf, nach New York zurückzukehren und das alte Leben in der High Society wieder aufzunehmen. Die Spannungen zwischen den beiden nehmen zu, aber das ist nur der Anfang eines wirklich finsteren Albtraums.

Ein Haus beginnt mit den Sehnsüchten und Ängsten seiner Bewohner zu spielen und wird schließlich zu physischen Bedrohung: Danielewski hat die Geschichte locker an den 60er-Jahre-Horrorstreifen "Bis das Blut gefriert" angelehnt. Doch das "Das Haus" ist kein literarisches Remake, sondern eine aufwändige Prosa-Architektur mit ineinander verkeilten Erzählebenen.

Herzstück sind die "Navidson Records", ein frei erfundener Dokumentarfilm über die Ereignisse in dem Haus des Fotografen. Ein Mann namens Zampanó hat Unmengen von Material über den Film zusammengetragen. Nach seinem mysteriösen Tod stößt der Faulenzer Johnny Truant in L.A. auf Zampanós Nachlass und versucht, die Schriftstücke zu ordnen. Ohne es zu wollen rekonstruiert er dabei auch die traurige Geschichte seiner Kindheit. Quälende Erinnerungen werden wach: Wie alle, die sich mit dem "Haus" und seinen Geheimnissen beschäftigen, muss auch Truant "dem gegenübertreten, vor dem es ihm am meisten graust".

Die Oberfläche des Textes spiegelt die Konstruktion des Romans. Typen und Druckfarben wechseln, und Zampanós "graphomanische" Aufzeichnungen zerfallen vor den Augen des Lesers. Absätze explodieren, zersprengte Wörter irren über die Seiten und reißen Löcher in das Druckbild. Dazu kommt der wissenschaftliche Apparat mit den Fußnoten, in die ganze Handlungsstränge ausgelagert werden – und die darüber hinaus zum Schauplatz einer fiktiven Kontroverse um die "Navidson Records" werden.

Hier dreht Danielewski dann richtig auf. Unter die sorgfältig gefälschten bibliographischen Angaben und frei erfundenen Zitate mischt er jede Menge Querverweise auf real existierende geisteswissenschaftliche Literatur. Unter anderem werden Derrida und Heidegger, die feministische Theoretikerin Camille Paglia und der Literaturwissenschaftler Harald Bloom zu Stützen dieses gewaltigen Gothic-Dokumentarfilm-Nachlass-und-Dokumentations-Lügengebäudes.

Auch der postmoderne Schlaf der Vernunft gebiert seine Ungeheuer: "Das Haus" ist nicht nur eine intelligente "horror novel", sondern vor allem eine brillante Parodie auf die Praxis der "Cultural Studies", deren Vertreter sich hinter Mauern aus beliebig kombinierbaren Theoriefragmenten verschanzen. Dort jagen sie genau wie Will Navidson und die anderen Protagonisten dieses Romans ihren selbst erschaffenen Dämonen hinterher.

Rezensiert von Kolja Mensing

Mark Z. Danielewski: "Das Haus"
Aus dem Amerikanischen von Christa Schuenke und Olaf Schenk
Klett-Cotta, Stuttgart 2007
797 Seiten, 29,90 Euro