"Hopscotch" in L.A.

Die fahrende Oper

Ein Kind spielt im Innenhof des Wohnhochhauses "Elsa" in Mainz das Spiel Himmel und Hölle.
Ein Kind spielt im Innenhof das Hüpfspiel "Himmel und Hölle" (Hopscotch). © picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen
Von Kerstin Zilm |
Inspiriert wurde Yuval Sharon vom Orpheus-Mythos. Hinter verdunkelten Scheiben von 24 Luxuskarossen lässt er eine Oper abspielen - eine mobile Oper: "Hopscotch" ist das amerikanische Wort für das Hüpfspiel "Himmel und Hölle".
Vier Tage vor der Aufführung bekommen wir Zuschauer via E-Mail eine Adresse zugeschickt. Und eine Zeit, zu der wir uns dort pünktlich einfinden müssen. Ich soll um 14:45 Uhr in der 3rd Street in Downtown Los Angeles sein, Hausnummer 310.
Dort erklärt Vrenda - ganz in schwarz mit weißen Handschuhen - die Regeln der mobilen Oper Hopscotch. Zwei andere Zuschauer und ich hören aufmerksam zu: Beim Umsteigen bitte keine Gegenstände zurücklassen. In den Limousinen nicht filmen und ansonsten den Zeichen der weiß behandschuhten Anweiser folgen. Das war's.
Ein Schauspieler in weißem Doktorkittel leitet uns aus dem hellem Licht und dem Gewimmel des Bürgersteigs zur dunklen Limousine am Straßenrand. Drinnen: Ledersitze, lila Licht, ein Smartphone an der verdunkelten Scheibe, der Aufnahmebutton leuchtet rot. Wir werden gefilmt.
Zum Anfassen nah sitzt ein Sänger, ebenfalls in weißem Kittel. Er schaut uns direkt in die Augen. Die Fahrt geht los. Und er beginnt zu singen.
Glasfassaden, Baustellen, Straßencafes und der blaue Himmel zwischen Wolkenkratzern werden zur Kulisse. Die Karosse dämpft Geräusche von Passanten an Handys, Autos und rufenden Straßenhändlern. Bevor wir uns bequem einrichten hält die Limousine, die Tür geht auf, der Sänger rennt weg und ein schwarz gekleideter Mann mit weißen Handschuhen weist auf den Seiteneingang eines alten Theaters. Er drückt einem Zuschauer eine Kamera in die Hand. Alles, was er filmt wird sofort in die Opern-Zentrale übertragen. Das Publikum dort verfolgt live, was wir und die anderen Zuschauer, die mit Limousinen unterwegs sind, erleben.
Eine Sängerin in gelbem Sommerkleid geht die Stufen hinauf zur Empore. Weiße Handschuhe fordern uns auf, ihr zu folgen. Wir blicken hinab auf den leeren Zuschauerraum und die Bühne: dort steht ein griechischer Gott in goldenem Gewand und singt. Eine erste Orpheus- und Eurydike-Metapher.
Fünf Minuten später. Die Handschuhe leiten zu einer Seitentür – zur Feuertreppe.
Limousine öffnet sich wie von Geisterhand
Unsere Opern-Tour geht weiter. In der nächsten Limousine öffnet sich plötzlich wie von Geisterhand ein Fenster und wir sehen Projektionen auf einer Tunnelwand: ein galoppierendes Reh, ein Motorradfahrer.
Wir halten, gehen über leere Bürgersteige zu Trapezkünstlern in einer Lagerhalle voller Nebelschwaden, landen später in einem knatternden Fahrstuhl und einem mehrstöckigen Art-Deco-Labyrinth.
Unterwegs winden sich mal Sopranistinnen zwischen uns im engen Limousineninnern, mal trällert ein Akkordeonspieler Liebesmelodien. Wir Zuschauer sind begeistert von der Flut der Metaphern von Träumen, Liebe und Verlust. Aber auch verwirrt.
Dann schließlich die Ankunft im großen Finale in der Opern-Zentrale.
In einer Konstruktion aus Holz und Zeltstoff kommen Zuschauer, Limousinen, Tänzer und Sänger zusammen. Wir sind etwa 300 Menschen, verbunden dadurch, dass wir uns 90 Minuten lang ziellos auf eine unsichere Reise begeben haben und so auch unsere Umgebung ganz neu wahrgenommen haben. Unterwegs sind wir alle auf den Arzt, den Gott, das Reh, Trapezkünstler und Akkordeonspieler getroffen. Haben Arien, Rezitationen und Tanz erfahren. Von all dem laufen jetzt Filmaufnahmen über unseren Köpfen – gespickt mit Metaphern der Sage um Orpheus und Eurydike. Dazwischen steht Regisseur Yuval Sharon, glücklich lächelnd. Er spürt wie verwirrt wir sind, wollte dieses ziellose Chaos.
"Soviel könnte Amok gehen. Das lädt das Chaos ein, aber das Chaos ist auch das Leben. Und dass wir eine sehr gut geprobte Linie durch dieses Chaos aufführen können finde ich sehr schön. Es gibt keine Zeit für Angst, man muss es einfach tun!"
Leicht benommen versuchen wir Zuschauer aus all den Bildern im Kopf die alte Geschichte zusammen zusetzen. Im Moment aber wirkt alles noch wie ein Traum.
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