Hopfen und Malz

Von Thomas Klug |
Das Zentrum allen Bieres liegt im Süden Deutschlands, in Bayern. Dort ist die Brauerei-Dichte am größten, das Reinheitsgebot am ältesten und der Hopfen eine Art Lebensmittel – für diejenigen, die von seinem Anbau leben.
Es gibt viele Dinge, die sehr gesund sind: Ein Glas Rotwein täglich ist gut fürs Herz. Ein Gläschen Sekt am Morgen bringt den Kreislauf in Schwung. Ein Magenbitter nach dem Essen fördert die Verdauung. Ein paar Gläser Bier sind gut für die Nieren und gegen Krebs. Das alles haben Studien ergeben. Studien vom Winzerverband, der Bierbrauwirtschaft und dem Magenbittersyndikat.

Mein Arzt sagt, ich soll viel trinken. Ich höre auf meinen Arzt. Um all diese Gesundheit aufnehmen zu können, fange ich früh am Morgen damit an. Prost! Ich will es nicht verschweigen: Gesunde Lebensweise ist mitunter anstrengend. Gewisse Nebenwirkungen sind nur durch hartes Training vermeidbar. Aber das ist mir meine Gesundheit wert. Einzelne Kollegen stören sich an den Nebenwirkungen. Gesunde Lebensweise wirkt abstoßend auf die, die weniger gesund leben und nur Wasser trinken. Die Kollegen locken mich mit Hopfen und Malz. Von einer bayerischen Bierstraße reden sie.

„Ja, der Thomas, ist aus Berlin heit zu uns kimme her und der weiß net, was a Gestanzl ist und das gefällt ihm gar net sehr…“

Bayerische Bierstraße Davon habe ich noch nie gehört. Aber Hopfen soll auch gesund sein. Ich überlege nicht lange und fliege los zur bayerischen Bierstraße. Ein Gesundheitstrip, sagen die Kollegen. Ich kenne die Kollegen: Die hoffen auf die bayerischen Jäger. Vielleicht nicht ganz unberechtigt. Teddy Max jedenfalls muss zu Hause bleiben. Aus Sicherheitsgründen.

Ich versuche mich im Überlebenstraining für Bayern. Und lerne Sachen, die man dort gar nicht gerne hört: Die Holländer nämlich. Das ist keine gute Nachricht: Die Holländer sind Exportweltmeister in Sachen Bier. Nicht die Deutschen. Nicht einmal die Bayern. Die Holländer! Was muss ich nun wirklich über Bayern wissen?

Bayerische Bierkunde, Teil 1:
Die Bezeichnung „Maß“ kommt von der Zumessung, die den Klosterinsassen an Brot und Bier täglich zustand. Fünf Maß täglich waren Klosterbrauch, wobei ein Maß zwischen ein und zwei Liter variierte.

In München angekommen, kaufe ich eine S-Bahnfahrkarte zum Hauptbahnhof. Der Preis ist stolz, aber womöglich Ausdruck einer noch nicht vollendeten Umschulung: Aus Wegelagerern werden S-Bahn-Betreiber. Am Bahnhof drückt mir gleich jemand ein Flugblatt in die Hand: „Sie alle sind Bruno“ steht darauf. Jo mei. Endlich jemand, der mich versteht. Von München geht es mit der Regionalbahn zur Bierstraße. Wo genau soll die eigentlich sein? Ich steige in Rohrbach an der Ilm aus.

Es muss das erste Mal im Leben sein, dass ich mich wie John Wayne fühle. Oder war es Gary Cooper? In der Mittagshitze, allein in einer unwirklichen Gegend. Weit und breit kein Pferd. Das Dampfross, dem ich gerade entstiegen bin, pfeift ein letztes Mal, bevor es hinterm Horizont meinen Blicken für immer entschwindet. Ich fluche. Ich bin allein. Es gibt hier nichts. Aber warum einen Bahnhof? Bierstraße? Hier gibt es nicht einmal eine Pferdetränke. Ich fühle mich wie ausgesetzt. Wie ein ausgesetzter John Wayne in Bayern. Aber vielleicht meine ich doch Gary Cooper? Und wie zum Hohn steht da eine Telefonzelle. Steht einfach nur da. Ohne Telefonbuch. In der Ferne fällt ein Schuss. Ach ne, mein Koffer ist umgefallen. Ich bin ein Reporter, holt mich hier raus!

Bevor jemand denkt, ich hätte etwas gegen Bayern: Nein, gar nicht. Die Bayern haben eine schöne Landschaft. Irgendwann komme ich an in einem Örtchen. Es ist nicht still. Es nennt sich Wolnzach. In Berlin können sie solche Namen nicht aussprechen. Dafür gibt es in Berlin eine U-Bahn. Und den 200er Bus, der direkt vor meiner Haustür hält. Doch in Wolnzach gibt es immerhin eine Zeitungsredaktion. Der Pfaffenhofener Kurier. Ich gehe rein, treffe Katrin Rebl und kann nur noch „Bierstraße“ flüstern:

„Also, bei mir mangelt es da einfach an Information, wir hatten da einfach nicht so viel damit zu tun. Das geht auch mehr von dem anderen Landkreis aus…Keine Ahnung.“

Auch schon egal. Dann eben Wolnzach.

„Es liegt halt im Herzen der Hallertau und wir haben jetzt eben auch das Deutsche Hopfenmuseum und in Wolnzach sitzen eben auch alle wichtigen Institutionen rund um den Hopfenbau.“

Wolnzach ist also wichtig. Ja. Und es ist immer etwas los. Jo mei.

„Wir müssen auch sagen, wir haben sehr viele Vereine, wir haben jetzt auch eine Grundschule, eine Hauptschule, inzwischen auch ein Gymnasium, das bringt auch viel Veranstaltungen, viel Kultur, auch kulturell ist viel los, Kunstausstellungen ist viel los – das ist in den letzten Jahren auch sehr gewachsen. Und da ist, Karin, du kannst das bestätigen, kein Problem, dass wir eine Saure-Gurken-Zeit hätten, im Gegenteil, es ist viel los.“

Karin Trouboukis ist die Leiterin der Zweifrauenredaktion des Pfaffenhofener Kuriers in Wolnzach. Sie erzählt mir etwas von einem… von einem Ge… Ich frage lieber noch mal nach.

„Ein Gestanzel ist im Wesentlichen ein hollertauer oder bayerisches Kurzgedicht, das bestimmte Themen aufgreift, die dem Gestanzl-Sänger in der Regel erst kurz zuvor Ohren kommen. Also, wenn mir jetzt jemand erzählt, der Thomas ist a Saupreiß und weiß net, was a Gestanzel ist, dann macht der aus dieser kurzen Information ein kleines Gedicht. Die Musik ist beim Gestanzel immer die gleiche, die geht so: (Summt und singt) Ja, der Thomas, ist aus Berlin heit zu uns kimme her und der weiß net, was a Gestanzl ist und das gefällt ihm gar net sehr…So in der Art.“

Jetzt kennt man mich auch in Wolnzach. Aber als Saupreiß, ich bin mir nicht sicher, ob das aus bayerischem Munde nett klingen soll. Außerdem stimmt das nicht, ich bin kein Saupreiß. Aber was hatten die beiden Damen mir noch auf den Weg gegeben:

„Aber tuns das ja net senden, was ich hier gerade gesungen habe….Ja super, machen wir uns zum Deppen.“

Zu spät. Ich suche weiter und entdecke ein Plakat: „Eine Reise zum unglaublichsten aller Körperteile“ wird mir da versprochen. Gucke einer an, die prüden Bayern. Katholisch und trotzdem Spaß dabei. Ich lese weiter: Es ist ein Hinweis für das Museum der Hände. Oh. Ich will lieber Bier.

Wolnzach in der Hallertau.

„Der Hopfen, wenn man die Pflanze beschreiben möchte, ist ein Schlingengewächs, das bei günstiger Witterung bis zu 30 cm wächst im Tag.“

Andreas Maier ist für die Hopfenpflanzen des Museums zuständig. Er hat Pech, denn wenn ich ihn als Andreas Maier vorstelle, wird ihn kein Mensch in der Hallertau kennen. Da stellt man Leute anders vor, zum Glück komme ich ja selbst vom Dorf und kenne die Gepflogenheiten. Andreas Maier ist also der Maier, Andreas. Erst der Nachname, dann der Vorname. Jetzt wird es aber schwierig, denn in Bayern heißt ein Andreas nicht Andreas. Andy glücklicherweise erst recht nicht, sondern Anderl. So ähnlich jedenfalls. Der Fachmann spricht den Namen so aus:

„Der Anderl, der Maier, Anderl.“
.
Genau, er jedenfalls hat die Hopfenbauern mit dem richtigen Dünger versorgt. Eine Wissenschaft für sich. Und er weiß, was der Hopfen so braucht:

„Da braucht net viel machen, die braucht ihr Wasser, man muss den Boden feucht halten, weil eben die Pflanze zwischen ein und zwei Liter pro Tag selber braucht.“

Das Hopfenmuseum Wolnzach erkennt man daran, dass Hopfen vor der Tür wächst. Und auch im Museum selbst. Doch dem Hopfen dort geht es gerade nicht so gut:

„Wir haben heuer die Pflanzen hierin im Museum hochgezogen, das hat sich nicht bewährt, das ist zu warm, die sind da im Mai schon 30 cm pro Tag gewachsen, da bleibt das Gewächs dünn und es wächst nicht natürlich, das ist eine künstliche Sache…Wir wollen nur die Stangenhopfen dokumentieren, das der Museumsbesucher sieht, so ist der Hopfen hoch gewachsen...“

Bayerische Bierkunde, Teil 2:
Die Hallertau, gelegen zwischen München, Ingolstadt und Regensburg ist mit 18.750 Hektar das größte geschlossene Hopfenanbaugebiet der Welt.

„Es gibt einen alten Spruch: Der Hopfen will jeden Tag seinen Herrn sehen. Ich muss jeden Tag runter, ich muss jeden Tag überwachen. Der Hopfen braucht auch Gießen. Wir haben auch 40 cm Erde zur Verfügung. Während draußen bei günstigen Boden mit sandigem Lehm wurzelt der Hopfen bis zu drei Meter runter, also der kann sich mit Wasserhaushalt selber versorgen. Wenn’s auch mal vier Wochen nicht regnet, hält er es auch noch aus bei guten Boden.“

Wolnzach ist ein merkwürdiger Ort. Es ist schlimm um ihn bestellt, denn er ist in meinem wichtigsten Nachschlagewerk nicht einmal erwähnt: dem Lexikon der Städtebeschimpfungen. Da muss ich mir also selbst etwas ausdenken. Ich gehe die Straßen rauf und wieder runter; soviel Möglichkeiten gibt es hier ja nicht.

Ich entdecke Merkwürdiges: Der Friseur heißt Milchmayer, der Bäcker bietet „frischen Datschi“ an, und das Café am Markt gibt bekannt, dass es „mittags durchgehend geöffnet“ habe. Gleich neben dem Metzger gibt es einen Döner-Imbiss. Und es gibt viele kleine Geschäfte mit falschem Apostroph; „Manuela’s Haarstüberl“ ist nur eines davon. Ich glaube, ich habe mir in Wolnzach eine Apostrophobie geholt. Das aber nur am Rande.

Das Hopfenmuseum ist der modernste Bau der Gegend. Und das größte Hopfenmuseum sowieso, obwohl man sich in der Hallertau gar nicht für alte Sachen interessiert:

„Die Leute haben sich auch nie um ihre Geschichte gekümmert, da hat nie jemand was initiiert, einen Forschungskreis oder irgendwas, die haben gar nichts gehabt…Insofern konnte man sich nichts vorstellen und erst dann, als das Museum aufgesperrt wurde und dann kamen auch wirklich Leute von außen, Fremde, bis hin zum DeutschlandRadio, die sich um das Thema kümmern und sagen, das ist ja spannend, das ist ja interessant, was da alles drin steckt. Da werden die Leute natürlich auch stolz und merken, da haben sie doch einiges geleistet.“

Christoph Pinzl ist der Leiter des Hopfenmuseums, also hier der Pinzl, Christoph. Allerdings weiß ich nicht, wo bei dieser, nennen wir es regionsspezifischen Namensaussprache, der Doktortitel hinkommt. Also Dr. Christoph Pinzl:

„Über 100 Länder der Welt, und zwar lustigerweise die größten Konkurrenten, wenn man so will am Hopfenmarkt, sind auch die größten Kunden. Zum Beispiel, die Amerikaner kaufen sehr viel deutschen Hopfen, sind aber die größten Konkurrenten am Hopfenmarkt. Auch die Japaner, Belgier, Engländer, überall, bis nach Vietnam. Einer der wichtigsten Kunden ist Vietnam, Russland kauft sehr viel…70 Prozent wird exportiert, geht auch gar nicht anders, man braucht ja für einen Liter Bier ungefähr ein Gramm Hopfen. Und wenn Sie jetzt überlegen, wie viel Hopfen hier produziert wird, in Tonnen sind wir jetzt so bei 25.000, da ist es eigentlich klar, dass man diesen Hopfen nur exportieren kann. Und das war auch immer schon so. Eigentlich Hopfen, Anfang des 19. Jahrhunderts, seit man im großen Stil produziert, muss man ihn auch verkaufen, das ist ganz typisch Hopfenbau.“

Hopfen, das ist mehr als nur ein Bestandteil von Bier. Hopfen, das ist Kulturgeschichte und Wirtschaftsgeschichte, Landwirtschaft natürlich. Und Lebensmittel für diejenigen, die Hopfen anbauen.

„Der Hopfen ist eine ganz typische Spekulationspflanze, das hat ihn auch so faszinierend für die Hopfenbauern gemacht. Das ist schon eine ganz klare Sache. Früher war das ja völlig frei in der Preisgestaltung, da wusstest du überhaupt nicht, was du im Herbst für deinen Hopfen kriegst. Wenn es super läuft, hast du enorme Preise erreichen können: 1000 Mark, 1500 Mark für einen Zentner Hopfen in den 50er Jahren, das war also wirklich Goldrauschstimmung. Aber es gibt auch die andere Seite, dass man gar nichts dafür bekam und ihm am Ende noch einackern muss, damit der Markt ein bisschen leer geräumt wird vom überflüssigen Hopfen. Also, das gab es beides. .Dieser Vergleich mit grünem Gold, der ist nicht von ungefähr.“

Grünes Gold. Es ging ihm mal gut dem Hopfen. Da war er nicht nur durch das Bier in aller Munde. Hopfen war überall. Man muss es nur wissen. Berlin zum Beispiel hat den Hoppegarten. Aber wer weiß schon, dass das nur eine der typischen Berliner Wortverstümmelungen ist. Pferderennbahn Hoppegarten, das kommt nicht etwa von „Hoppe, Hoppe, Reiter“, sondern war ursprünglich ein Hopfengarten: Damals als der Hopfen noch boomte; was damals aber noch nicht Boom genannt wurde.

„Diese Boom-Zeit, da sind wir jetzt gerade, 19. Jahrhundert. Es gibt Hopfen-Tageszeitungen, jeden Tag ein Blatt, das über den Hopfenmarkt berichtet und über die Hopfenbautechnik, allein das ist ja schon ein Zeichen, wie wichtig man damals diesen Hopfen nimmt, wie wichtig man ihn erachtet. Es gibt Hopfenbauvereine, die kümmern sich um nichts anderes, als um den Hopfenbau. Die gibt es nicht nur hier in der Hallertau, die gibt’s überall. Es gibt auch Anbaugebiete, von denen kein Mensch mehr weiß: oben an der Nordsee ein Riesengebiet, um Oldenburg, dann zwischen Berlin und Hannover, sag ich mal ganz grob, ist die Altmark, ein riesiges Anbaugebiet, südlich von Stuttgart runter, fast bis zum Bodensee ist nur Hopfenbau. In der Oberpfalz gab es Hopfen, in der Wasserburg am Inn gab es Hopfen in großen Mengen. Jeder wollte da dabei sein, da mit verdienen. Heute längst alles verschwunden.“

Wolnzach im Landkreis Pfaffenhofen.
Bayerische Bierkunde, Teil 3:
Bereits im 8. Jahrhundert mussten die Bauern Biermenge, so genannte Biergelte an weltliche Obrigkeiten und die Klöster abführen. Die Besteuerung des Bieres nahm somit ihren Anfang.

„Früher hatte ja der Hopfen auch eine andere Aufgabe als heute, da war er ja mehr fürs Konservieren zuständig. Er hat eine ganz bestimmte Eigenschaft, er ist sehr antibakteriell, das heißt, er macht die Bakterien kaputt. Die Fäulnis hält er von den Getränken ferne, so hat es mal die Hildegard von Bingen beschrieben, um 1160. Das ist erst mal das entscheidende am Hopfen, das er mal ein Konservierungsmittel war für das Bier und erst im Laufe der Zeit kamen die Leute drauf, dass es auch gut schmeckt, weil er das Bier bitter macht.“

Bier schmeckt. Wein schmeckt auch. Nur: Über Wein gebildet daher zu palavern, gehört zum Standard-Repertoire jeder Stehparty. Erst wird fast die Nase im Weinglas gebadet. Dann ein winziger Schluck genommen.

Dann gewollt kenntnisreich geschmatzt.

Und dann drauf los schwadroniert: Also dieser Jahrgang sei ja wieder ganz besonders apart: Südlage, Osthang, aber nicht aus dem Westharz. Und vor allem: die Geschmacksnote im Abgang. Man stelle sich dieses Geschwätz beim Biertrinken vor.

Man bräuchte doch glatt die doppelte Zeit, um so einen Kasten leer zu kriegen. Nein, Herr Wirt, das schmeckt irgendwie nach Kronenverschluss, das Bier nehm’ ich nicht. Bringen Sie eine andere Flasche. Ein Alptraum. Eines aber wäre möglich: die Herkunft des Hopfens zu erwähnen.

„Man weiß nichts drüber, wie wichtig der Hopfen eigentlich im Bier ist, was er im Geschmack alles verursachen kann, aber die Brauer legen auch zu wenig Wert darauf. Das heißt, wenn ich heute Bier vermarkte, da wird mir alles mögliche erzählt, dieses Bier macht mich jung, sexy, dynamisch, erfolgreich, was auch immer, aber auf alle Fälle ist nichts bei, weil da der Hopfen drin ist, schmeckt es gut.“

Der Pinzl, Christoph, ist in Wolnzach, obwohl aus München zugereist, dort wohlbekannt. Nicht, dass er in Wolnzach als Einheimischer gilt, aber immerhin: Zu einem Münchner sagt man nicht Saupreiß. Wirklich nicht.

Bayerische Bierkunde, Teil 4:
Die Scharnierdeckel des Bierkruges gehen auf eine gesetzliche Verordnung des 16. Jahrhunderts zurück. Das Bier sollte vor Schmutz und insbesondere vor Fliegen geschützt werden, die als Verbreiter der Pest galten. Bier wurde außerdem eher warm getrunken, der Deckel verhinderte so die allzu rasche Abkühlung.

„Die Brauereien sagen ja gar nichts, im Gegenteil, die halten eher so den Deckel drauf, die verheimlichen das…Es ist so, wenn Sie Hopfenextrakt oder Pellets oder Naturhopfen nehmen, da ist ein geschmacklicher Unterschied. Was da besser oder schlechter ist, das ist eine andere Frage, da sag ich nichts dazu, da hat jeder seinen Geschmack, aber es ist ein Unterschied.“

Es gibt Bierfehler. Es gibt Bier in grünen Flaschen, das nicht schmeckt, weil da ein Lichtgeschmack reinkommt. Grünes Glas lässt mehr Licht durch als braunes. Biertrinker können also auch gescheit daherreden, wenn es um Geschmack geht. Im Museum gibt es sogar Bierproben. Nur nicht heute. Ich kriege Wasser. Und kann mir Appetit im Museums-Shop holen: Es gibt Bücher: „1000 Cocktails mit Bier“. Und „Heimbrauen für Fortgeschrittene“. Mir wäre eher nach „Bier für Verdurstende“ aus dem Rote-Kreuz-Notfallkoffer.

Der Museumsshop hat aber ganz anderes im Angebot: Hallertauer Hopfengold, 56 Prozent, Wolnzacher Hopfalaus, ein Hopfenlikör 27,1 Prozent. Und noch andere Leckereien mit noch mehr%en. Ich zucke zurück. Eine Vorsichtsmaßnahme. Ich muss noch mit Norbert Nemetz sprechen.

Das Hopfenmuseum in Wolnzach. Norbert Nemetz hatte die Idee dazu. Er hat einen Verein gegründet und für das Museum gekämpft. Gekämpft könnte das richtige Wort sein. Den Kampf hat er lange geführt, sehr lange. Sehr lange ist in Bayern wirklich sehr lange. Also nicht zwei, drei Jahre. Auch nicht sieben oder acht Jahre. Norbert Nemetz hat über 20 Jahre für das Hopfenmuseum gekämpft. Norbert Nemetz kommt mit dem Auto vorgefahren und es sprudelt gleich aus ihm heraus:

„Diese Region Hallertau hat eigentlich nur gearbeitet und die eigene Leistung, die Arbeitskultur eigentlich nie dokumentiert. Die Hälfte der Hallertau ist Oberbayern und die Hälfte ist Niederbayern. Sie waren sich nie so einig, es gibt kein Regionalbewusstsein. Und sehr schnell stellte man fest, mit Erfolg kann man da eben für den Ort etwas machen. So kann man in über 22 Jahren über 7000 Gerätschaften gesammelt und 20 000 Dokumente zum Hopfenbau.“

Norbert Nemetz weiß alles über den Hopfen. Er ist Elektromeister. Das hat ihn nicht daran gehindert, dieses Hopfenmuseum haben zu wollen. Was treibt einen über zwanzig Jahre an, für ein Hopfenmuseum zu kämpfen? Das Interesse für den Hopfen, sagt Norbert Nemetz. Hopfen sei spannend. Mir reicht die Antwort nicht, es muss noch etwas anderes sein.

„Ja. Da muss noch was sein. Wissen’s, wenn man so was anzettelt, wenn man sich für so was einsetzt, profitiert man selber am meisten...Wenn man quer denkt, wenn man sagt, dass heute die Handpflücker heute doppelt so viel kosten würden, was der Bauer insgesamt für den Zentner kriegt. Ja, so haben sie noch nicht gerechnet. Klar, dafür ist ein Museumsmann da. Man profitiert schon am meisten selbst. Man kann eigentlich jeden nur ermutigen, machen. Wenn man was macht, dann rührt sich auch was in einem selber und man profitiert am meisten selbst.“

Man profitiert am meisten selbst? Wenn man über 20 Jahre lang Briefe schreibt an wichtige Menschen und Menschen, die sich für wichtige Menschen halten? Wenn man gegen Windmühlenflügel anreitet? Wenn man immer wieder ein „Nein“ hört. Und oft nicht einmal das; wenn sich die Entscheidungsträger nicht einmal bemüßigt fühlen, auf Anfragen zu antworten. Norbert Nemetz hat sich nicht beirren lassen. Er hat das alles in Kauf genommen.

„Man sollte eigentlich stolz sein, wenn man noch zusätzlich was machen kann, es ist eine Bereicherung. Und ich habe sicher auch Kunden verloren, aber ich habe auch Kunden gewonnen, also das hebt sich auf. Hätte ich nur stur und geldgeil für den Beruf, da wäre ich ein ganz engherziger…“

Norbert Nemetz ist nicht in Wolnzach geboren. Es gibt Gegenden im Lande, da ist der Geburtsort wichtig. Und es gibt Gegenden, da reicht es nicht einmal im Ort geboren zu sein, da muss man schon mehrere ansässige Generationen vorweisen können.

„Ich bin 1943 in Olmütz geboren und mit meiner Mutter 1946 ausgesiedelt, also genau vor 60 Jahren. Ein bisschen ist da auch die Dankbarkeit, hier bei dieser bäuerlichen Gesellschaft so aufgenommen worden zu sein. Es ging aber nur über Leistung. Der Landwirt akzeptiert sie nur, wenn sie leisten. Ich habe als Zehnjähriger und als 12-Jähriger schon fest mitgearbeitet und fest die Geisteshaltung der landwirtschaftlichen und bäuerlichen Gesellschaft so richtig eingesogen. Ich bin richtig aufgewachsen bei den Bauern und bin auch vom Typus her ein bäuerlicher Typ. Manchmal denk ich mir auch, es muss so sein, es ist vielleicht ein Dank an die Gesellschaft, die mich so aufgenommen hat als Flüchtling.“

Die Geschichte von Norbert Nemetz ist die Geschichte von einem, der in Wolnzach erst heimisch werden musste. Und dafür nur einen Weg kannte: Leistung.

„Ich habe erlebt, dass der Sohn vom Bauern eben vor mir abgestraft wurde, weil er eben nicht fleißig war. Und ich habe als Belohnung dafür den Traktor mit dem Hanomac fahren dürfen. Und der Sohn hat zur Abstrafung mit den Frauen dann Pflanzen grasen müssen und so weiter. Das war normal. Diese bäuerliche Gesellschaft respektiert und akzeptiert sie nur, wenn sie Leistung bringen.“

Leistung. Norbert Nemetz sagt es immer wieder. Leistung. Das Wort hallt nach im inzwischen für heute geschlossenen Hopfenmuseum. Wir sitzen in einer riesigen, nachgebildeten Hopfendolde. Norbert Nemetz muss immer wieder aufspringen, um den Computer abzuschalten, der in gleichmäßigen Abständen Geräusche von der Hopfenernte abspielt, die Besucher raten lässt, welcher der Arbeitsgänge so klingt.

Der Begriff Leistung passt hier, zum Hopfenanbau und zur Hopfenernte. Aber Leistung ist für Norbert Nemetz mehr. Es ist eine Leistung, an sich selbst zu arbeiten.

„Mein größter Stolz, das ich freier bin wie früher. Und weil das so ist, kann ich es feststellen, ich kann es beurteilen. Aber ich weiß, wie schwer das ist, man muss wirklich kämpfen, lernen, üben. Und immer den Kopf einschalten, sonst taucht schon manches ganz schnell auf, ja…Jetzt kommen wir aber so ins Persönliche rein…Das gehört eben auch zum Bäuerlichen, dass man über sich selber nicht gern spricht. Sie haben das jetzt sehr geschickt gemacht, aber das habe ich jetzt gar nicht gerechnet. Ich habe gedacht, ich kann über Hopfen predigen, weil inzwischen bin ich ja zum Prediger geworden.“

Den Hopfen kannte Norbert Nemetz lange, bevor er ein Museum für ihn gründen wollte. Seine Mutter hat als Hopfenzupferin gearbeitet:

„Von der Mutter habe ich sicher das geradlinige Denken. Wir waren ja sehr arm, aber sie hat ja einen gewissen Stolz gehabt. Vom ersten Hopfenzupfergeld hat sie sich eine Strickmaschine gekauft und 30 Jahre mit der Strickmaschine für die Nachbarn Pullover gestrickt. Sie war stolz, wie sie den Rentenbescheid
gekriegt hat und nicht auf Sozialhilfe mehr angewiesen war und so weiter.

Da habe ich schon was mitgekriegt, das ist schon wahr. Ritsch, ratsch, ritsch, ratsch. Das Geknatter habe ich heute noch in die Ohren. Man der das eben nicht so in soziales Gejammer abgleiten lassen, das war Normalität. Und hinter uns hat es auch welche gegeben, da war ein Eisenbahner mit 12 Kindern, der war in der Rangordnung hinter uns.“

Später dann, im Biergarten, sagt Norbert Nemetz noch, dass er wohl über 20 Jahre lang dieses Hopfenmuseum haben wollte, weil er nicht verlieren konnte.

Bayerische Bierkunde, Teil 5:
Das erste Bier ist ein Bier vom Kern,
das trinken d’Herrn und die d’Frauen gern.
Das zweite ist ein Mittelbier.
Trinkst drei Maß, so pißelst vier.
Das dritte ist ein Plempel,
der den Bauern d’Hosen z’sprengt:
Andern zum Exempel.

Ich suche noch immer die Bierstraße. So richtig hat mir bislang keiner etwas über sie sagen wollen und wenn, nur bei ausgeschaltetem Mikrofon. Das klang wenig verheißungsvoll. Aber ich gebe nicht auf. Bier her, Bier her oder ich fall um. Das Trinklied passt. Dr. Pinzl hatte es nicht erwähnt. Aber ein anderes „Mia san Holledauer“. Ich wandere in der Gegend rum und versuche das Lied ins Ohr zu kriegen:

„Dieses Lied ‚Wir sind Holletauer’, das ist sehr lustig, wenn man es übersetzt. Es wurde also ein Buch veröffentlich hier vor kurzem, ich sage nicht, wer und hat dann eine englische Übersetzung machen lassen drüber: Da kam dann folgendes raus. Das Lied heißt eigentlich ‚Wir sind Holledauer, von der Sunnenseiten, haben ä Getreid-Acker und a Hopfenleitn.’ Wenn man das jetzt übersetzt ins Hochdeutsche heißt das: Wir sind die Hallertauer von der Sonnenseite, wir haben eine Getreideacker und ein Hopfenfeld. Da haben die übersetzt ins Englische, jetzt wiederum übersetzt ins Deutsche: Wir sind die Holletauer von der Sonnenseite, wir haben einen Drahtacker, weil sie meinten, das kommt von Draht und sind viele Hopfenleute.“

Ich laufe und bin plötzlich in Starzhausen. Dort wohnt Fritz Winter, Entschuldigung, der Winter, Fritz. In der Zeitungsredaktion hatten sie mir von ihm erzählt und im Hopfenmuseum auch. Wo der Winter, Fritz ist, ist immer Bayern. Wir sitzen hinter der Scheune, unter einem Sauerkirschbaum. Irgendwo dahinter bläst der Sohn vom Winter Fritz, der Winter, Fritz junior ein Instrument. Er hat Musik studiert und spielt bei den Dellnhauser Musikanten.

„Ich habe also nur ein gutes Gehör gehabt, spiel aber kein
Musikinstrument. Und das Gehör das hat also der Sohn auch irgendwie von mir geerbt, also er ist schon ein Talent. Und die Kinder sind, eigentlich fast wider Erwarten, meine Frau ist nämlich nicht musikalisch, die hört zwar gerne, aber hat überhaupt kein Gehör selber. Und meine Kinder sind eigentlich alle musikalisch, die Kinder spielen auch, aber halt net berufsmäßig.“

Aber sein Vater ist das Original, der Winter, Fritz, der Gestanzl-Sänger. Hopfen hat er auch angebaut:

„Den Hopfenanbau habe ich vor einigen Jahren aufgegeben, nachdem meine Kinder einen anderen Beruf haben, vor allem der Sohn. Und da war die Landwirtschaft auch nicht so, dass man davon leben könnte. Es war für mich immer mehr oder weniger ein Nebenerwerb. Ich habe früher viel in Bierzelten gesungen, auf allen möglichen Veranstaltungen, Jubiläen, Fahnenweihen und, und, und.“

Beim Richtfest des Hopfenmuseums hat der Winter, Fritz ein Gestanzl gesungen und bei richtig großen Veranstaltungen auch; nicht nur in Bayern. Ganz Medienprofi kriegt nun auch das Deutschlandradio Kultur ein Gestanzl.

Abensberg im Landkreis Kehlheim. Hier befindet sich die Weißbierbrauerei Kuchelbauer. Leonard Salleck ist wach, er steht jeden Morgen schon um vier Uhr auf, erzählt er. Leonard Salleck hat Bier. Leonard Salleck hat eine Brauerei. Leonard Salleck hat auch eine originalgetreue Nachbildung des „Heiligen Abendmahls“ von Leonardo da Vinci im Keller. Und Leonard Salleck hat Ärger. Den hat man aber immer, wenn man etwas anderes machen will als andere.

In Bayern reicht es, wenn man etwas bauen will, was über die Kirchturmspitze hinausreicht. Sein Bau soll Hundertwasserturm heißen. Ein Hundertwasserturm in Abensberg. Auf dem Gelände von Sallecks Brauerei Kuchelbauer. Salleck hatte bei Hundertwasser vorgesprochen. Der wollte anfangs auch nicht. Aber Leonard Salleck lässt sich nicht so leicht von seinen Ideen abbringen. Friedensreich Hundertwasser jedenfalls erhörte schließlich den Ruf aus Abensberg.

„Ich wollte mit dem Turm dann viele Leute herbringen, die meine Brauerei dann auch kennen lernen. Dann hat er nach einigen Widerständen dann doch den Turm gemacht, das war vor sieben Jahren, hat er dann das Modell gemacht und dann ging es los mit den Bauanträgen und da bin ich dann sieben Jahre lang auf der bürokratischen Ochsentour beschäftigt worden. Die haben immer wieder neue Forderungen gestellt, neue Gutachten, alle zwei Jahre verfallen alle alten Gutachten, müssen wieder neu gemacht werden. Da ist das denen gelungen, meinen Gegner, dass sie mich sechs Jahre lang einfach beschäftigt haben.“

Vielleicht braucht man in Bayern einfach mehr Geduld. Vielleicht ticken hier die Uhren einfach anders. Was sind schon sieben Jahre, denkt man sich hier. In Wolnzach mit ihren über zwanzig Jahren Disput um ein Hopfenmuseum können sie über läppische sieben Jahre ohnehin nur lachen.

„Wenn ich den Hundertwasserturm bauen darf, so was Schönes hat für meine Empfindungen überhaupt noch niemand machen dürfen. Der König Ludwig hat die Schlösser gebaut für nix und wieder nix, für die eigene Selbstdarstellung, für den eigenen Genuss. Aber bei mir hat das erst einmal einen Hintergrund in der Firma, ich spare mir auch unheimlich Geld für die Werbung, es kommen viele Leute her, die hernach vielleicht mein Bier schätzen und ich gebe den Turm in dem Gesamtkunstwerk der Brauerei eine Sinngebung, die einzigartig ist. Und die auch wieder vielleicht, einen ganz, ganz kleinen Beitrag in der Aufklärung und Evolution leistet.“

Von Hundertwasser zur Evolution. Das sind die Bögen, die Leonard Salleck schlägt. Und dazwischen die für Besucher offene Brauerei Kuchelbauer. Brauerei? Mit einer Brauerei würde sich einer wie Leonard Salleck nie zufrieden geben.

„Ich habe die Absicht, diese Brauerei zu einem begehbaren Gesamtkunstwerk zu machen. Das kann man jetzt schon sehen draußen, diese 99 Meter lange Mauer, durch die Brauerei geht ein Weg und jetzt kommt auch noch der Hundertwasserturm, das hat alles eine Sinngebung, eine zusammenhängende, denn so was hat es überhaupt noch nicht gegeben. Meine Brauerei wird halt eine einzigartige Ikone. Und eine Ikone ist ein Sinnbild, in dem die Werte und das Gefühl, das mit irgendetwas verbunden ist, gezeigt und gelebt werden. Und das mache ich halt hier fürs Bier und die bayerischen Brauereien, will ich das Lebensgefühl und die Werte, die mit Bier und Brauerein verbunden sind, will ich hier zeigen und erlebbar machen.“

Brauerei-Chef Leonard Salleck hat am Iron – Man auf Hawaii teilgenommen, jenem spektakulärem Sportereignis bestehend aus Schwimmen, Radfahren und Laufen, und nennt sich selbst Hobby-Philosoph. Und Leonardo da Vinci hat es ihm auch noch angetan. Über das „Heilige Abendmahl jedenfalls hat er ein Buch geschrieben. Er ist dem Geheimnis von da Vincis Abendmahl auf die Spur gekommen, sagt er.

„Wahrscheinlich ist das so, dass Leonardo da Vinci eine ähnliche Situation in seiner Kindheit hatte wie ich, der wollte auch etwas werden, der war ein ledig geborenes Kind und war da praktisch nicht legitimiert zum Studieren und so was und wollte da Leistung bringen und hat sich einige Betätigungsfelder gesucht, wie ich mir auch und so bin ich da durch diese Zufälle so gut in dem seine Denkweise geschlüpft und gekommen.“

Bayerische Bierkunde, Teil 6:
Bier auf Wein, das lass sein.
Wein auf Bier, das rat ich dir.

Nicht alles, was sich reimt, ist richtig. Leonard Salleck muss los. Heute führt er selbst eine Besuchergruppe durch seine Brauerei.

„Jetzt sind wir im Sudhaus. Das Sudhaus ist das Herzstück einer Brauerei. Früher waren die Brauer recht stolz auf ihre kupfernen Kessel. Kupfer ist hier aber ideal genau wie in der Küche. Wenn Sie jetzt einmal aufpassen: Die Fernsehköche haben meist Kupferpfannen und Kupfertöpfe, weil sie nämlich die Wärme am besten leiten. Da kann man dann viel schneller aufheizen und auch intensiver kochen. Das ist sehr gut beim Bier für den Geschmack und die Qualität.“

Leonard Salleck hat sich bei der Führung verändert. Nicht mehr der ernste Gesichtsausdruck, nicht mehr das Nachdenkliche in der Stimme. Hier gibt er nicht den Einzelgänger, als den er sich selbst bezeichnet. Hier ist der joviale Brauereibesitzer.

„In so einer Sudkanne haben genau 29.000 Liter Platz. Das ist exakt die Menge, die ein anständiger Durchschnittsbayer im Laufe seines Lebens in 76 Jahren getrunken hat. Was der Brauerberuf für ein herrlicher Beruf ist. Wir können mit einem Sud einen Bayern für 76 Jahre befriedigen. Wer kann das?“

Schon hunderte Male hat er Besucher durch seine Brauerei geführt. Er kennt seinen Text, er kennt auch dessen Wirkung. Er weiß, welche Späßchen ankommen, was er den Besuchern an Informationen zumuten kann. Und er weiß, was die Leute eher langweilt, das lässt er dann weg.

„Da haben wir mal eine Bierapotheke eingerichtet. Da können Sie sehen, wie Bier gesund sein muss. Es gibt über 200 Medikamente und Arzneien, die sich vom Bier, vom Hopfen, von der Hefe und vom Malz herleiten. Da sind einige ausgestellt. Da sitzt da unser Betriebsarzt. Und wenn Ihnen irgendetwas fehlt nach unserer Bierprobe haben Sie Zeit, da können Sie raufgehen in seine Sprechstunde, das kostet nix. Sagen Sie ihm, was Ihnen fehlt und dann sagt Ihnen er, wie viel Weißbier Sie brauchen, dass Sie wieder beschwerdefrei werden. Rezept? Selbstverständlich! Eine Halbe ist besser wie keine halbe. Zwei Halbe sind besser wie eine Halbe. Und dann wird’s kritisch.“

Leonard Salleck führt auch einen Überlebenskampf. Nirgendwo ist die Brauereidichte so hoch wie in Bayern. Noch. Es werden immer weniger. Leonard Salleck aber will nicht zu denen gehören, die aufgeben. Er kann es einfach nicht.

„Vor 35 Jahren hat es in Bayern noch über 15 00 Brauereien gegeben, jetzt gibt es noch 620. Das ist aber immer noch ideal. Weil die Bayern soviel Brauereien haben, haben die eine ganz andere Beziehung zum Bier entwickelt, wie alle anderen Völker auf der Welt. Das sieht man am einfachsten am Pro-Kopf-Verbrauch. Der Durchschnitts-Deutsche, der trinkt jetzt im Durchschnitt noch 115 Liter im Jahr. Alle Jahr wird zwei Liter weniger. Der Durchschnitts-Bayer, der trinkt über 200 Liter. Das hat den Bayern nicht geschadet. Aber manchmal, wenn Fremde zu uns kommen, sind die ganz erstaunt, wie wir in Bayern mit dem Bier umgehen. Und mir wiederum, wir wundern uns, was die für ein Gestall haben.“

Am Ende wird Bier verkostet. Jeder Besucher hat fünf Euro für die Führung gezahlt. Jetzt wollen sie natürlich Bier trinken. Und Biergläser mitnehmen.

„Wenn ich eine, ein Bier trink ich nicht. Und wenn ich hierher gehe zur Brauereiführung, dann gehört es dazu, dass ich ein Bier trink.“

Die Führung ist zu Ende. Leonard Salleck hat seine Brauerei gezeigt, den Entwurf des Hundertwasserturmes und die originalgetreue Nachbildung des „Heiligen Abendmahls“ von Leonardo da Vinci. Und sein Buch hat er erwähnt. Gekauft hat das Buch heute keiner. Das sei ihm auch egal, sagt Leonard Salleck. Und es klingt, als meint er es ernst. Er will nur, dass es endlich von der Fachwelt zur Kenntnis genommen wird. Als er das sagt, ist wieder die Pose des jovialen Unterhalters von ihm abgefallen.

„Ich will kein Schauspieler sein. Ich habe nie als Laienschauspieler oder so Ambitionen gehabt. Und mit Redner und mit Politik habe ich überhaupt nichts am Hut. Oder mit Vereinen. Ich bin ein Einzelgänger, ich mache meine eigenen Dinge.“

Ich bin wieder leer ausgegangen. Statt Bier habe ich ein Mineralwasser bekommen. Die Marke hat mich noch mehr irritiert: Labertaler.

Bayerische Bierkunde, Teil 7:
Das Reinheitsgebot:
Ganz besonders wollen wir, dass forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen. Wilhelm IV, Herzog in Bayern, am Georgitag zu Ingolstadt anno 1516.

Die Holländer sind Weltmeister im Bierexport. Man kommt eben nicht daran vorbei. Aus der Bierstraße ist dann nichts mehr geworden. Ich habe sie mir im Internet angesehen. Von wegen Bierstraße. Eher ein Labyrinth. Klar, ganz Bayern besteht eigentlich nur aus Bier. Und aus Biertrinkern. Und Weißwürsten. Und Lederhosen. Und Gamsbarthüten. Und Dirndln. Und Volksmusikanten. Und Kühen. Aber nicht aus Bären. Prost, Bruno.