Homeless in Seattle

Fotos vom Leben der anderen - Rex Holbein hat Obdachlose fotografiert
Fotos vom Leben der anderen - Rex Holbein hat Obdachlose fotografiert © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Von Nicole Markwald · 26.08.2013
"Just say 'Hello'!" - der Architekt Rex Holbein in Seattle, Washington hat einen Kanal gefunden, über den hilfsbereite Bürger mit Obdachlosen in Kontakt treten können: Facebook. Holbein stellt die Obdachlosen mit Fotos vor - Spendenwillige antworten oder bieten kleine und große Hilfen an.
Donnerstagnachmittag im Büro von Rex Hohlbein. Er ist Architekt, sein Studio liegt malerisch im Grünen an einem Kanal in Freemont, einem Stadtteil von Seattle im US-Bundesstaat Washington. Rex hat Besuch: Garland ist da, 46 Jahre alt, stämmig, Rauschebart, Gitarre auf dem Schoß. Steve, 54 Jahre alt, sortiert in einer kleinen Tasche ein paar Habseligkeiten und zeigt stolz eine Mappe mit Zeichnungen. Steve ist obdachlos, Garland lebte über 20 Jahre auf der Straße. In Seattle schlafen jede Nacht rund 2000 Menschen auf Gehwegen, in Parks, unter Highwaybrücken. Und jeder Einzelne, erzählt Architekt Hohlbein, fühlt sich unsichtbar:

"One of the things that I've found out: Without any exception every person that is homeless feels invisible."

Er kam vor einiger Zeit mit einigen Obdachlosen ins Gespräch in der Mittagspause auf der Bank am Kanal, da, wo manche ihr Nachtlager aufschlagen, und entschied sich, ein ungewöhnliches Projekt zu starten: Er begann, sie zu fotografieren, Garland, Steve und all die anderen.

"Ich hatte vorher 'obdachlos' gegoogelt und bei den Bildern erschienen nur diese Klischees: Leute in der Gosse, auf der Bank, betrunken und Bierdosen um sich herum. Also entschied ich, dass ich geschmackvolle Bilder mache und schöne Geschichten erzählen werde."

Fast alle machen mit. Es sind schwarz-weiße Portrait-Aufnahmen, schlicht und auf ihre ganz eigene Weise anmutig. Gladys, vom Stamm der Yupik-Eskimos, die trotz schwerer gesundheitlicher Probleme immer zu lächeln scheint. Selvin, der eigentlich aus El Salvador stammt und täglich vor dem lokalen Waschsalon auf seiner Trommel musiziert. Oder John, ein 60-jähriger Kriegsveteran, der Holzarbeit liebt.

Zu sehen sind die Bilder auf einer Facebookseite. Sie heißt "Homeless in Seattle" und ist eine Art Treffpunkt, ein schwarzes Brett und Postfach geworden. John, der Kriegsveteran, hatte beispielsweise im Juni eine Operation wegen eines gebrochenen Kiefers. Um in Ruhe wieder zu Kräften zu kommen, bat Hohlbein auf Homeless in Seattle um etwas Geld für fünf Nächte in einem Motel. Wenige Tage später waren 2300 Dollar zusammengekommen, Johnny hatte drei Wochen lang ein Dach über dem Kopf. Diese Hilfsbereitschaft habe ihn umgehauen, sagt John:

"That blew me away, it still is."

Mal bittet Architekt Hohlbein auf der Homeless in Seattle-Seite um einen neuen Schlafsack, mal eine Winterjacke. Knapp 5000 Fans hat die Facebook-Seite inzwischen. An einer Wand im Büro von Rex Hohlbein hängen seine Portraitaufnahmen: Männer und Frauen, jung und alt, jede Hautfarbe. Seine Bürotür steht immer offen. Wer will, kommt vorbei und trinkt einen Kaffee oder darf die Toilette nutzen. So viel persönliches Engagement ist ungewöhnlich.

"Ich verlange von niemandem, dass er sich engagieren muss, wenn er nicht will. Aber wir sollten respektvoll miteinander umgehen. Wenn mein Projekt irgendein Ziel hat, vielleicht das, dass man die Leute auf der Straße mal anschauen sollte oder einfach mal 'Hallo' sagt."

"Just say hello" - drei kleine Worte, große Wirkung.

Link zum Projekt:
Facebok-Seite von "Homeless in Seattle"

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